Aufwand und Nutzen

Ein Sohn mäht eine dreiviertel Stunde lang den Rasen – und gleich wirkt der Garten aufgeräumt und gepflegt.

Mein Mann putzt eine Stunde lang die Fenster in der unteren Etage – und sofort durchflutet strahlendes Sonnenlicht unsere Räume.

Eine Tochter kocht anderthalb Stunden – und serviert uns anschließend ein leckeres Abendessen, das für zwei Mahlzeiten reichen wird.

Die andere Tochter lernt jeden Tag einige Stunden – kurzfristig fürs Abi und langfristig (hoffentlich) für ein ordentliches Allgemeinwissen.

Ich jäte zwei Stunden Unkraut in unserem Garten – und hinterher sieht man: nichts.

Keine große Sache

Auf Äpfeln aus dem Supermarkt klebt oft ein kleines Schild – meiner Meinung nach unnötig, aber nicht zu ändern. In jedem Fall muss das Schild abgezogen werden, bevor man den Apfel waschen und essen kann. Es gehört in den Müll; das ist keine große Sache. Dennoch finde ich diese Schildchen fast täglich irgendwo anders: auf der Arbeitsplatte direkt neben der Spüle, auf einem benutzten Frühstücksbrettchen, an der Klinke der Kellertür. Es ist einerseits faszinierend, wie konsequent die Kinder sich der Müllentsorgung in diesem Fall verweigern. Sie wählen den Weg des geringsten Aufwands. Andererseits ist es frustrierend, wie konsequent die Kinder die Müllentsorgung in diesem Fall jemand anderem überlassen – meistens mir. 

Ich sollte die Schildchen konsequent ignorieren, bekomme das aber nicht hin. Es macht mir weniger aus, den Kindern ihren Müll hinterher zu räumen, als den Müll der Kinder in meinem Wohnraum zu ertragen. Konsequent wäre es, die Schildchen direkt in die Zimmer der Kinder zu bringen – so wie ihre anderen Besitztümer, die sie anstrengungslos fast täglich irgendwo liegen lassen. Allerdings scheinen meine (Auf-)Räumaktionen meine Kinder NICHT zu beeindrucken; und der Weg zum Mülleimer ist für mich kürzer. Also entsorge ich die Schildchen selbst, es ist keine große Sache: Ich wähle den Weg des geringsten Aufwands.

Aufwand und Nutzen

Wir rechnen gern nach Aufwand und Nutzen und beurteilen nach: Lohnt sich das? Wenn wir etwas kaufen, interessiert uns der Preis; für eine Arbeit erwarten wir einen angemessenen Lohn. Bei mir selbst ist der Ertrag meist nicht monetärer Art: Wenn ich koche, soll das Essen schmecken und uns satt machen; um den Garten kümmere ich mich, damit er sich eignet als grünes Naherholungsgebiet; ich putze, weil es das Wohngefühl verbessert. Sogar Erziehung dient einem Ziel – lebenstaugliche Menschen.

Aber was ist mit den beiden Fotobüchern, die ich kürzlich für unseren Ältesten gestaltet habe? Sie haben viel Zeit und auch Geld gekostet und gefallen ihm sehr – aber wahrscheinlich wird er sie nicht oft anschauen in seinem Leben. Außerdem verändert sich durch die Bücher nichts in unserem Verhältnis: Mein Sohn liebt mich nicht mehr oder weniger, fühlt sich ohnehin wertgeschätzt und erinnert sich auch ohne Fotosammlung an viele der Situationen, die in den Büchern festgehalten sind.

Ginge es nur nach Aufwand und Nutzen, müsste man im Fall dieses Projektes sagen: Es `rechnet´ sich nicht – oder jedenfalls schlecht. Aber die Arbeit daran hat mir viel Spaß und mich sehr dankbar gemacht. Sie hat sich eben doch `gelohnt´.

Aufwand und Nutzen

Mein Mann und ich fahren zu einer Geburtstagsfeier in eine Stadt, die 450 Kilometer entfernt von uns liegt. In ihr haben wir beide vor über 20 Jahren gewohnt, es leben noch Freunde dort. Mittlerweile kommen wir selten dahin, sehr selten: Der Geburtstag ist ein guter Anlass, alte Weggefährten mal wieder persönlich zu treffen.

Insgesamt sind wir etwa 30 Stunden weg, von denen sitzen wir neuneinhalb im Auto – wir sind gut durchgekommen. Dennoch ist die Fahrt anstrengend: Da die Infrastruktur in Deutschland nicht im besten Zustand ist, wird an vielen Stellen an ihr herumgewerkelt.

Viereinhalb Stunden „dauert“ die Feier. Wir treffen alte Bekannte wieder und Menschen, die wir noch gar nicht kennen. Die Gespräche sind unterschiedlich intensiv, erfordern aber alle auf ihre Art unsere Aufmerksamkeit und Initiative. Mit dem Geburtstagskind haben wir am wenigsten zu tun; allerdings hatten wir das vorher geahnt.

Sechs Stunden schlafen wir – eindeutig zu wenig, aber mehr ist einfach nicht drin.

Die restlichen zehn Stunden sind wir zu Besuch und im Gespräch mit einem Freund, bei dem wir übernachten können. Anfangs müssen wir uns herantasten, wir haben uns lange nicht gesehen. Am Ende sind zehn Stunden nicht genug.

Vom Verstand her ist es ein immenser Aufwand für ein paar Stunden Zusammensein.

Vom Gefühl her hat es den Beziehungen zu unseren Freunden genutzt, dass wir uns mal wieder persönlich begegnet sind.