Ein besonderer Tag

Weil ich nachts wach gelegen habe, starte ich ziemlich müde in meinen Tag. Vor mir liegt ein buntes Portfolio an Dingen, die ich tun muss, sollte oder möchte: diverse Schreibtisch-Jobs einerseits und dazu profaner praktischer Kram. Die Reihenfolge bleibt mir überlassen; das ist nicht immer eine gute Sache. Ich fange einfach `irgendwo´ an und hoffe, dass ich am Ende des Tages einiges geschafft haben werde.

Im Laufe des Tages springe ich vom Schreibtisch zum Wäscheständer, fahre einkaufen und führe ein Telefon-Interview; nochmal Wäsche, außerdem saugen und bügeln – und wieder ein bisschen schreiben. Es fühlt sich an wie ein großes Durcheinander und die Zeit verfliegt. Nach und nach landen immer mehr Projekte in der Kategorie `erledigt´.

Es gibt Tage, an denen mir ein derartiges Hin und Her den letzten Nerv raubt und ich kaum etwas abhaken kann. Heute aber empfinde ich die Abwechslung von Denken und Tun als wunderbar erfrischend. Meine Laufrunde am frühen Abend bildet den anstrengenden, aber gelungenen Abschluss eines besonderen Tages.

Weite, Tiefe, Enge, Nähe …

Ich kenne jemanden, der beruflich viel fliegen muss. Mehrmals im Monat fliegt er innerhalb Europas hin und her, manchmal führt ihn eine „Geschäftsreise“ auch nach Übersee oder Saudi Arabien. Er kennt mit Sicherheit viele Flughäfen; Ein- und Auschecken ist für ihn Routine, Koffer packen und aus dem Koffer leben ebenso. Er hat ein Zuhause, aber er ist eben auch viel und weit unterwegs und genießt die Abwechslung.

Wie wenig das mit meiner Lebensnormalität zu tun hat, wurde mir klar, als ich kürzlich mit dem Fahrrad unterwegs war. Mein alltäglicher Radius beträgt ungefähr zwei bis sechs, maximal zehn Kilometer. In diesem engen Bereich spielt sich mein und unser Leben ab – Schule, Sportvereine, Laufrunden, Freunde und Bekannte, unsere Gemeinde. Hier sind wir zu Hause, kaufen ein, treffen Menschen; hier gehen wir zum Arzt oder ins Kino. Nicht alles ist wunderbar, aber bekannt und sehr vertraut. Von außen betrachtet könnte mein Leben gleichförmig wirken und langweilig, aber das ist es nicht: In diesem so abwechslungsarmen Sein begegne ich immer wieder denselben Menschen – ja. Aber unser Miteinander ist doch sehr komplex. Die Nähe zu anderen birgt Konfliktpotential und Möglichkeiten der Selbsterkenntnis – und hoffentlich der Selbstreflexion. Das gibt meinem Leben nicht unbedingt räumliche Weite, aber eine gewisse Denk-Tiefe.

Dagegen erlebte ich mein letztes Unterwegssein als oberflächlich: Das Flugzeug an sich ist bei Fernreisen praktisch; Flughäfen allerdings sind für mich sterile Orte – dieses anonyme Aufeinanderhocken von vielen Menschen im Sicherheitsbereich, berufsmäßig freundliches Bodenpersonal, gelangweilte Verkäufer in Duty-free-Shops. Die Flughäfen von Hannover und London wirkten – bis auf die Größe – ähnlich und austauschbar. Aber die Städte sind völlig verschieden und die Menschen ebenso. Von jetzt auf gleich war nichts mehr vertraut und bekannt. Auf den ersten Blick mag das spannend sein, sogar attraktiv und inspirierend. Das wurde es aber erst hinterher: Ich brauchte die Enge meines abwechslungsarmen Zuhauses, um meine Erfahrungen in der weiten Welt zu sortieren und einzuordnen.