Manche Menschen lassen sich einfach nicht grüßen; ich weiß nicht, woran es liegt. Wir kennen und er-kennen uns, aber sie grüßen einfach nicht zurück. Da sind zum einen ein paar ältere Leute aus der Nachbarschaft, die ernst und unzufrieden wegschauen: zumindest, wenn ich ihnen begegne. Die andere Gruppe der nicht Grüßenden bilden Teenagern, die ich über meine Kinder kenne. Als sie noch jünger waren, sagten sie höflich `Guten Tag´ – wahrscheinlich auf Hinweis ihrer Eltern. Sind sie zunehmend allein unterwegs, schauen sie geflissentlich an mir vorbei oder tun so, als würden sie mich nicht kennen. Erfahrungsgemäß wächst sich das aus; trotzdem finde ich es irgendwie blöd. Ich hoffe, dass meine Kinder die eine Phase übersprungen haben – und ich in die andere nicht hineinrutsche.
Glücklich für immer? So lieber nicht!
In der Stadt sitzen zwei ältere Frauen mit Kopftuch auf einer Bank. Sie halten Hefte mit Botschaften vor ihrem Körper: `Glücklich für immer´. Ich gehe langsam weiter, bis ich begreife, was an der Szene nicht passt. Dann drehe ich mich noch einmal um und schauen den beiden ins Gesicht. Es kann an der Hitze liegen, aber sie sehen müde aus, sehr ernst, vielleicht sogar frustriert. Jedenfalls kein klitzekleines bisschen fröhlich – geschweige denn glücklich. Am liebsten würde ich zurückgehen und sagen: „Gehen Sie nach Hause, mit diesen Gesichtern überzeugen Sie niemanden.“ Aber ich weiß, dass die zu erwartende übliche Diskussion in einer Sackgasse enden würde – und gehe weiter. Zwar bin ich weniger sicher als sie, ein Patentrezept für fortwährendes Glücklichsein zu kennen. Aber ihr Beispiel überzeugt mich nicht.
Ein Fest
Nehmen wir an, jemand feiert ein Fest. Hinterher fragt man, wie es war – und bekommt drei völlig unterschiedlich Antworten:
Ein Gast fand es richtig gut,
für einen anderen waren es `nicht so ganz meine Leute´
und die Eltern der Gastgeberin sind / der Gastgeber ist froh, dass es vorbei ist.
Wir nahmen unsere 50sten Geburtstage zum Anlass, kein Fest zu feiern, sondern zu zweit auf Wanderreise zu gehen.
Hinterher waren wir beide richtig begeistert – und würden vier Jahre später am liebsten nochmal losziehen.
In der Arztpraxis
Eine Arzthelferin berichtet zwei anderen, dass etwas fehlt. „Hat der Herr* Doktor das nicht bestellt?“, fragt eine zurück. „Wenn keiner es dem Doktor sagt, kann er es nicht bestellen“, sagt die erste – und der Rest ist Schweigen. Irgendwie machen die drei dann weiter in ihrem Alltag, wahrscheinlich auch kollegial, effektiv und freundlich. Dennoch bin ich mir sicher: Friedemann** hätte seine helle Freude an einem ganz normalen Praxisalltag …
*Ich denke unwillkürlich an Obelix und sein `Herr Asterix´, wenn er sich über seinen Freund ärgert.
**Friedemann Schulz von Thun, der Kommunikationsexperte
Berühmte Menschen
Als ich ein Kind war, spielte ich einige Sommer lang mit zwei Schwestern, die ihre Sommerferien in der Nähe meiner Oma bei einer alten Großtante verbrachten. Eine von ihnen war etwas jünger als ich, eine etwas älter. Danach trennten sich unsere Wege. Die beiden Frauen machten anders Karriere und sind Jahrzehnte später berühmter als ich. Wahrscheinlich haben sie unsere gemeinsamen Sommer vergessen, denke ich. Weil sie berühmt sind (und ich nicht), erscheint es mir unmöglich, jemals wieder Kontakt mit ihnen zu haben. Sie leben zwar weiterhin in Deutschland, aber wir teilen keine gemeinsamen Schnittmengen.
Fast 40 Jahre später tritt mein Bruder mit beiden Schwestern in Kontakt, sehr förmlich per Mail. „Was macht eigentlich Dagmar?“, kommt als prompte Antwort – unprätentiös und normal, als sei es logisch, dass man sich nach einer alten Spielfreundin erkundigt. Ich bin erstaunt; ich hatte nicht damit gerechnet. Stattdessen hatte ich den beiden Starallüren unterstellt, die sie im direkten Kontakt gar nicht zu haben scheinen. Hinter jeder Berühmtheit steckt ein Mensch. Und der war auch mal Kind und saß mit dir oder mir im Sandkasten – beziehungsweise (wie in unserem Fall) am Badesee. Vorurteile sind vielleicht seltener berechtigt, als wir so denken.
Bier oder Käse, das ist nicht die Frage
`Don´t worry beer happy´ steht auf dem T-Shirt eines Mannes, der mit einem leeren Einkaufswagen an der Ampel wartet. Er scheint schon ein paar Jahre mit diesem Motto unterwegs zu sein – unterm Shirt ist nicht mehr viel Platz für noch mehr (Bier-)Bauch. Vielleicht holt er sich gerade die nächste Ladung, denke ich, und auch: Was geht es mich an? Wenn er tatsächlich zufrieden ist so oder sogar glücklich? Sein Leben mit viel Bier ist nicht besser oder schlechter als mein Leben ohne Bier und mit viel Käse (oder was ich sonst noch schätze).
Gegen Sorgen hilft meiner Ansicht nach weder Bier noch Käse. Daher wäre ich eher für ein Shirt mit der Aufschrift `Don´t worry, keep praying´ zu haben: Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden! (Phil 4, 6)
Ein Rätsel
Von unseren Nachbarn bekommen wir ihre ZEIT – immer eine Woche nach Erscheinen. Ich lese sie gern, aber selektiv. Um das berühmt-berüchtigte ZEIT-Rätsel machte ich bisher immer einen großen Bogen: Es soll so schwer sein. Mein Schwiegervater knobelt jede Woche daran herum – und hat ein viel umfassenderes Allgemeinwissen als ich.
Warum, weiß ich nicht, aber letzte Woche probierte ich es einfach mal aus. Einige Anläufe (etwa drei bis vier Stunden) später habe ich heute tatsächlich fast alles erraten, um die Ecke gedacht beziehungsweise im Netz recherchiert. Zwei Buchstaben eines Wortes am Rande fehlen mir. „Dann kannst du ja jetzt das nächste machen“, sagt mein Schwiegervater am Telefon. Mal sehen, denke ich, vielleicht war das ein absoluter Glücksfall.
Gerade brachte die Nachbarin die neue alte ZEIT. Das Rätsel ist schrecklich leer, denke ich; es ist frustrierend, wieder bei Null anfangen zu müssen. Ich schaue trotzdem rein und weiß sofort, wer Holz splittern und Datenschützer zittern lässt: Hacker natürlich, dafür reicht mein Allgemeinwissen – geradeaus und ohne Google. Vielleicht gibt´s ja einen zweiten Glücksfall; ich schau mal, wie weit ich komme.
Haustiere mit Stachel
Vor unserer Tür ist ein Wespennest direkt unterm Dach. Die Wespen fliegen hektisch drumherum, rein und raus. Das stört mich nicht wirklich – nur wenn sich doch eine oder zwei ins Haus verirren: zum Beispiel durchs Badezimmerfenster. Kürzlich umsurrten mich gleich zwei Wespen beim Zähneputzen; mein Mann blieb herausfordernd gelassen. Irgendwann hatten wir die beiden wieder nach draußen befördert – dort ist mir ihr hektisches Gesumme egal. Irgendwann im Herbst wird´s den Wespen zu kalt und sie werden ihr Nest verlassen: Bis dahin muss ich wohl noch mit gelegentlichen Besuchen unserer Haus-Wespen leben.
Eigentlich
Wenn ich in Wald und Wiese unterwegs bin, habe ich kein Handy dabei. Ich will und muss nicht ständig erreichbar sein; das ging ja früher auch. Die zwei Frauen, die ich ab und an treffe, haben ihre Handys eigentlich auch selten dabei, sagen sie. Heute ist uneigentlich, denn: Nur so könnten sie sich spontan mit anderen Hundebesitzern zum gemeinsamen Gassi-Gehen verabreden. Aber eigentlich fänden sie es auch schöner, mal ganz ohne digitales Endgerät unterwegs zu sein. Da sei man mehr für sich, das habe was. Aber uneigentlich wäre es eben sehr praktisch, spontan noch mit anderen in Kontakt zu treten.
Ich kenne das Dilemma auch. Da will man zwar eigentlich ganz für sich sein, aber uneigentlich könnte es doch sein, dass irgendetwas wirklich Wichtiges passiert. Was aber ist so wichtig, dass es nicht eine Stunde (oder auch zwei) warten kann? Und wie viele eigentlich eher unwichtigen Nachrichten erreichen mich stattdessen, obwohl ich doch einfach mal meine Ruhe haben will?
Meist bin ich jedenfalls ganz vergnügt ohne Handy unterwegs – und habe nicht den Eindruck, etwas oder jemanden zu verpassen. Und eigentlich besteht immer noch die Möglichkeit, sich vorher mit jemandem zum Spazierengehen zu verabreden.
Hauptsache großzügig
Mit meinem Nachbar rede ich über Gefälligkeiten beziehungsweise Freundschaftsdienste, die aus vielerlei Gründen buchstäblich unbezahlbar sind. Manchmal ist die einzige Möglichkeit, sich zu revanchieren, dem anderen ebenfalls einen Gefallen zu tun. „Da gibt´s dann eine großzügige Grillung, und dann passt das wieder“, sagt er. Ich horche seinen Worten hinterher. Mir gefällt diese neue Wortschöpfung: Du hilfst mir / leihst mir was – und ich vergüte das nicht monetär, sondern anders. Im Sommer mit einer Grillung, im Winter gibt´s vielleicht eine Kochung oder – je nach Geschmack – eine Backung … Ganz egal was, Hauptsache großzügig!