Mein Sohn in Sambia hat sein Weihnachtspäckchen erhalten – und sich besonders über die sechs Haribo-Tüten gefreut. Er liebt Gummibärchen und bekommt diese dort nicht. Er werde sie sich gut einteilen, sagt er, und die eine oder andere Tüte verschenken. „Über solche Mitbringsel freuen sich die Langzeitmitarbeiter hier besonders“, sagt er. Ich bin so stolz auf ihn!
(Nicht) gut vorbereitet?
Wir als Eltern können und wissen eine Menge und bringen unseren Kinder alles Mögliche bei: Radfahren, Schwimmen, sprechen, höflich sein. Sie erlernen Musikinstrumente und wissen, dass niemand gern unterbrochen wird. Auch wenn sie es ungern zugeben, können sie gesunde Ernährung von `junk food´ unterscheiden – und eine Mahlzeit zu sich nehmen, ohne dass den Umsitzenden schlecht wird. Sie treiben Sport, gehen zur Schule, verdienen sich etwas zum Taschengeld dazu usw. Und natürlich stehen wir ihnen (wenn erwünscht) mit Rat und Tat zur Seite; wir wollen sie vorbereiten auf ein selbstständiges Leben.
Ich bin sicher, dass Kinder sehr viel mitnehmen von dem, was wir als Eltern ihnen `aktiv beibringen´: Gutes und weniger Gutes, Fertigkeiten und Verhaltensmuster. Dennoch gibt es Erfahrungen, auf die wir sie trotz aller unserer Mühen nicht vorbereiten und vor denen wir sie nicht bewahren können. Wie sich beispielsweise andere Menschen ihnen gegenüber verhalten, liegt weder in unserer Hand noch existiert eine Pauschallösung für herausfordernde Beziehungen.
Wir alle werden im Leben enttäuscht – von anderen, aber auch von uns selbst. Manchmal reicht es eben nicht aus, viel zu wissen und zu können: Einige emotionale Wunden sind unvermeidlich. Deshalb ist es gut, wenn Kinder erleben, dass auch Erwachsene manchmal unfähig und ratlos sind – und dass das nicht das Ende ist. Diese Wahrheit bereitet sie vielleicht besser auf ein selbstständiges Leben vor als die Illusion, auf alles eine Antwort zu haben.
Freunde
Eine Freundin lässt eine Bemerkung fallen, die mich verletzt. Ich fühle mich nicht gesehen und missverstanden. Wie gehe ich damit um?
Ich könnte mich innerlich über meine Freundin erheben und hinsichtlich ihrer Ignoranz nachsichtig sein. Denn: Sie hat keine Ahnung von meiner Alltagswirklichkeit.
Ich könnte mich auch über sie ärgern und diesem Ärger in mir Raum geben. Denn: Sie macht sich offenbar nicht die Mühe, mich zu verstehen oder sich in mich hinein zu versetzen.
Natürlich könnte ich auch versuchen, meine Freundin (und ihre Sicht) zu verstehen, und mit ihr im Gespräch bleiben, ohne auf sie herab zu schauen. Denn: Sie lebt – wie ich auch – in ihrer eigenen Blase und will mir nichts Böses. Sie sagt, was für sie schlüssig ist, ohne sich darüber Gedanken zu machen, ob das gleichermaßen auf mich zutrifft.
Variante eins und zwei sprechen mich spontan an – für diese Reaktionen muss ich mich nicht anstrengen. Variante drei fällt mir schwer: Sie erfordert einen Vorschussbonus an Verständnis meiner Freundin gegenüber. Auch wenn das genau das ist, was mir bei ihr gefehlt hat, kann ich mich dafür entscheiden. Denn diese Variante ist sicherlich die beste für unsere Freundschaft – und für meine Seele auch.
Mehr als genug!
„Meist gibt es nicht das, was man will“, sagt eine Bekannte, die ich im Supermarkt treffe. Die Regale sind voll, in ihrem Wagen liegt alles Mögliche. Ich wundere mich und denke an meine alte Heimat: Im Konsum um die Ecke lagen drei Sorgen Hartkäse – ein stinkender, ein milder, ein Gouda. Wir nahmen immer Gouda. Vor dem Bäcker warteten samstags die Leute in langer Schlange, bis die nächste Rutsche Brötchen fertig war – und es ein paar Meter voran ging. Wenn der Gemüsehändler ausnahmsweise ein paar Bananen hatte, war es hilfreich, mit ihm befreundet zu sein …
Die Auswahl war – verglichen mit heute – überschaubar. Es gab auch nicht immer das, was man wollte. Aber das Angebot unterschied sich enorm von dem, was wir heute und hierzulande für selbstverständlich halten. Trotzdem waren wir nicht unzufrieden, freuten uns aber natürlich besonders über Extras.
Heute gehören die Extras von damals selbstverständlich zum Standard-Sortiment, nur manchmal nicht in jeder Variante. Meist gibt es viel mehr, als ich will.
Ein Selbstversuch
Früher war es selbstverständlich, NICHT immer erreichbar zu sein: Als Absprachen noch analog liefen, verpasste ich sowohl Telefonanrufe als auch überraschende Besuche – meist, ohne es mitzubekommen. Damals hat es weder mir noch meinen Beziehungen geschadet.
Heutzutage sind wir digital vernetzt und immer erreichbar, das gilt auch für mich: Absprachen per Text-Nachricht sind fester Bestandteil meiner Tage. Manche davon sind unnötig und kosten eher Zeit, als dass sie Dinge vereinfachen. Daher möchte ich am IST-Zustand etwas verändern und suche nach einer guten Lösung. Ohne Regeln werde ich das Handy eher zu viel als zu wenig nutzen.
Künftig möchte ich erst gegen Mittag auf das Mobiltelefon schauen – und dann noch einmal kurz vor dem Abendbrot. Dafür lege ich das Gerät tagsüber außer Sicht- und Hörweite.
Am Ende des ersten Tages habe ich einen Anruf verpasst (bedauerlich) und eine SMS, die eine zeitnahe Antwort erfordert hätte (nicht so schlimm). Ich denke stolz `war ja einfach´.
Schon am zweiten Tag merke ich, dass meine neuen Regeln nicht nur helfen, sondern mich auch einengen: Ich `muss´ gleich morgens etwas per Text-Nachricht klären und gestalte den Vormittag dann (wie praktisch) mit Hilfe meines Handys: Gewohnheiten lassen sich offensichtlich doch nicht `einfach´ ändern.
Ich versuche es morgen wieder.
Was ich könnte und was ich will
Ich könnte drei Stunden täglich einer Arbeit nachgehen. Ich bezweifle, dass ich das schaffe: Es würde meine Tage sehr füllen und mich unflexibel machen, was spontane Begegnungen angeht und die schriftliche Korrespondenz, die mir so wichtig ist. Eine berufstätige Freundin ermutigt mich: „Machen“, sagt sie, „ich würde drei Stunden auf einer halben Po-Backe absitzen. Das wäre doch eine Gelegenheit, wieder in einen richtigen Job rein zu schnuppern.“
Innerlich zucke ich zusammen: Ich bin gut beschäftigt, auch ohne richtigen Job. Es ist völlig egal, ob das, was ich tue, für meine Freundin tages- beziehungsweise er-füllend wäre. Entscheidend ist, ob ich für diesen richtigen Job meine Komfortzone verlassen möchte.
Wahrscheinlich könnte ich mehr schaffen und drei Stunden einbauen in meinen Tagesablauf. Ich würde sicherlich dazulernen, mich herausfordern, Geld verdienen – einerseits. Andererseits wäre ich weniger flexibel, sondern straffer organisiert und hätte weniger Ruhe in dem, was ich ohnehin und weiter schaffen muss. Die Frage ist, ob ich das will. Die Antwort lautet: jetzt noch nicht.
Kommunikation – so, so und so
Einer meiner ältesten Freunde ruft mich an und bedankt sich für meinen Weihnachtsbrief. Dieser kam erst nach dem Fest bei ihm an, aber er hatte geduldig darauf gewartet – wissend, dass ich schreiben würde. In meinem Brief habe ihn besonders der Inhalt zwischen den Zeilen erfreut, sagt er.
Von ihm kam zu Weihnachten keine Post, aber das macht nichts: Ich telefoniere auch gern mit ihm. Er erzählt, ich erzähle, die Zeit vergeht schnell, ohne dass `alles gesagt´ ist.
Bald werden wir unser Gespräch fortsetzen – hoffentlich face to face: Einmal im Jahr treffen wir uns.
Real?
`Be real´ ist eine neue Erfindung der Zeitvernichter: Man fotografiert etwas und richtet gleichzeitig die Kamera auf sich selbst. Die beiden Bilder zusammen sind ein `be real´ – ein Abbild meiner momentanen Realität – und werden für die digitale Gemeinschaft ins Netz gestellt. Es dauert maximal zwei Minuten. Ich finde das weder spannend noch lustig noch besonders real. Ich weiß, wie wenig aussagekräftig ein Foto ohne Kontext ist – und wie mangelhaft eine Momentaufnahme die Gesamtsituation beschreibt.
„Ich muss noch mein `be real´ für heute machen“, sagt meine Tochter. Dabei spielt sich die Realität fernab ihres Handy-Displays ab – und vorzugsweise in der Zeit, während sie nicht mit einem `be real´ beschäftigt ist.
Vom Tanzen
Ich komme von einem Termin nach Hause; meine Tochter schnippelt Salat; in der Küche läuft Musik. Sogleich helfe ich bei dem, was fürs Abendbrot noch gebraucht wird. Kurz darauf erschallt ein Lied, das mir in die Füße fährt. Glücklicherweise hindert mich ein wenig Bewegung nicht daran, die Bratwürstchen in der Pfanne zu wenden. In solchen Momenten bin ich mir ganz sicher: Im tiefsten Innern bin ich eine Tänzerin.
Immer online?
Ein Journalist macht aus einem Geschehen eine Nachricht. Das Wichtige kommt zuerst und ausführlich, das Unwichtige später und kurz, manches findet nie den Weg in die Öffentlichkeit. Was zur Nachricht wird, sollte schnell verfügbar sein, verständlich aufbereitet und so umfassend wie nötig. Dabei konkurrieren viele verschiedenen Medien um viele Leser: je mehr, desto besser. Wer im Nachrichten-Geschäft tätig ist, müsse daher `immer online´ sein, erzählt mir ein Bekannter – und möglichst schneller als die Konkurrenz.
`Immer online´: Ich frage mich, ob das etwas für mich wäre. Während ich darüber nachdenke und bete, kommen mir Argumente dafür und dagegen in den Sinn. Der Umgang mit Worten reizt mich, es ist sicherlich horizonterweiternd, ich bekäme Geld dafür … Andererseits möchte ich nur für Menschen `immer online´, also jederzeit erreichbar, sein: nämlich für meine Kinder und meinen Mann. Von ihnen lasse ich gern meine Tage bestimmen und gestalten. Vieles von dem, was in der Welt geschieht, betrifft mein tägliches Leben nicht wirklich – auch wenn es sich noch so bedeutungsvoll liest.