Erziehung

„Das ist Erziehung“, sagt die junge Frau, als ich mich darüber freue, dass ihr junger Hund mich nicht ankläfft. „Naja, ein bisschen ist es auch die Persönlichkeit, oder?“, gebe ich zu bedenken. Schließlich ist der Kerl erst 16 Wochen alt. „Nein, das ist Erziehung.“ Sie ist vielleicht Anfang 20 und klingt sehr überzeugend: „Er kann bellen, aber wann er es darf und tut, das ist Erziehung.“ Hut ab, denke ich; schön, wenn das mit Hunden so einfach ist!

An meinen fünf Kindern erlebe ich nämlich, wie beschränkt der Einfluss von Erziehung ist. Ihr gegenüber stehen manchmal ganz viel Charakter und genetisches Erbe: Sind die Kinder intro- oder eher extrovertiert? Können und wollen sie reden über ihre Gefühle – und wenn ja: mit uns? Außerdem kollidieren unsere Regeln bisweilen erheblich mit ihrem Bedürfnis, sich frei entfalten zu können. Und nicht immer finden wir ein gutes Maß zwischen Ermutigen und Ermahnen. Dazu werden die Kinder ja auch noch älter und lassen sich zunehmend prägen von Freunden, die sie sich vollkommen selbstständig auswählen … Auf all unsere erzieherischen Bemühungen haben unsere fünf dann eben auch entsprechend unterschiedlich reagiert: Zwar kommen sie aus einem Stall, meistern das Leben aber jeder auf seine Art – eben ihrer Persönlichkeit entsprechend. Um im Bild zu bleiben, bellt der eine nie und ist die andere manchmal nur schwer zu bändigen.

Was mit dem einen Kind funktioniert, muss ich bei dem anderen gar nicht erst probieren. So schlau bin ich inzwischen – und schüttele alternative Erziehungsstile dennoch nicht aus dem Ärmel. Mit einem Hund wäre alles leichter gewesen, schätze ich. Aber ich hab` viel lieber eine Handvoll Kinder zu Hause und gehe dafür allein im Wald spazieren.

Was wäre, wenn?

„Ich will nicht abhängig sein von meinem Mann, deshalb bin ich schnell wieder arbeiten gegangen.“ Diese Logik ist mir schön öfter begegnet. Es heißt dann, Frauen stünden sonst schließlich – im Falle einer Trennung – mit leeren Händen da: in Bezug auf ein Auskommen und ihre Rente. Ich kann dieses Argument nur schwer nachvollziehen. Für mich war es nie schwierig, finanziell von meinem Mann abhängig zu sein. Er war und ist in anderer Hinsicht von mir abhängig: nämlich von dem, was ICH in die Familie einbringe.Ich stelle mich nicht darauf ein, dass wir uns möglicherweise trennen könnten – weder gedanklich noch in meinem Tun.

Ich bin weder arrogant, egoistisch oder naiv, sondern vertraue auf Gottes Hilfe und Beistand – wie in so vielen anderen Fragen auch. `Möglicherweise´ ist eine zu schwache Motivation, mir eine Arbeit zu suchen. Ich rechne ja auch nicht damit, dass eins meiner Kinder schwer krank wird oder mein Mann stirbt: beides sehr mögliche Szenarien, die ich (im Gegensatz zu einer eventuellen Trennung) überhaupt nicht beeinflussen kann. Trotzdem male ich mir nicht aus, was wäre, wenn jemand meiner Lieben krank werden oder sterben sollte. Stattdessen genieße ich das Leben mit ihnen und ihre Freude, ihre Fähigkeiten, Persönlichkeiten und so weiter. Genauso erlebe ich unsere Ehe eben auch, mit Höhen und Tiefen – ohne mir auszumalen, was wäre, wenn sie eines Tages zerbrechen könnte.

Besonders nicht interessiert

„Wie war Australien?“, fragt er mich. „Wunderbar“, sage ich, „ich war so richtig weg von meinem Alltag und konnte einmal richtig abschalten.“ Meine kurze Sprechpause nutzt er, um mir von seinen Urlauben zu erzählen, wie und wobei er richtig abschalten kann (beim Wandern), ab wann er sich wieder nach seiner gewohnten Umgebung sehnt (spätestens nach zehn Tagen) und dass man zweijährige Kinder unterwegs oft tragen muss … Die Krönung bildet ein längerer Bericht über eine unvergessliche Wohnwagen-Reise auf die Lofoten in den 90er Jahren. Unsere halbe Stunde ist um; ich fahre nach Hause. Der Mensch ist nett freundlich; ich kann ihm gut zuhören. Aber so dermaßen offensichtlich nicht interessiert zu sein am Ergehen anderer – wahrscheinlich, ohne es selbst zu merken: Das ist schon besonders.

Vom Segnen

`Gott segne dich!´ Wer anderen Gottes Segen zuspricht, weiß, dass das Entscheidende im Leben nicht aus uns selbst kommt: Gelingen und zuversichtliche Gedanken können wir ebenso wenig generieren wie Kraft für herausfordernde Zeiten, Freude und einen Blick für das Schöne, Dankbarkeit und Frieden im Herzen, Geduld mit und Liebe für unsere Nächsten usw. Mit all dem kann nur Gott uns beschenken – uns segnen eben. 

Am Telefon

Es war, ist und wird mir ein Rätsel bleiben, wieso Menschen in der Öffentlichkeit telefonieren – und dann auch noch im Lautsprecher-Modus. Die trauen sich was, denke ich, denen ist nicht viel peinlich. Ich habe schon Gespräche mitgehört über Themen, die mich wirklich nichts angehen und mich nicht interessieren: „… wie der mich behandelt hat …“, „… der Kostenvoranschlag muss dann noch einmal überarbeitet werden und geht neu raus …“. Ich kann dann nicht in Ruhe über meine eigenen Themen nachdenken oder einfach nur still sein. Stattdessen muss ich zuhören – ungefragt. Dabei will ich das alles gar nicht wissen! Manchmal bin ich deshalb drauf und dran, mich aktiv in das Gesagte einzumischen und (ebenso ungefragt) meine Meinung zu sagen. Vielleicht käme das Telefongespräch dadurch spontan zu einem vorzeitigen Ende? Zwar telefonieren diese Menschen in der Öffentlichkeit, aber dass die Öffentlichkeit sich daran beteiligt, ist ihnen wahrscheinlich doch nicht recht. Bisher konnte ich mich beherrschen: Ich trau mich einfach nicht, es wäre mir peinlich. 

Kollektivstrafe

Seit Wochen bekomme ich im Supermarkt keine Gelben Säcke. Stattdessen hole ich mir welche an der (für mich nahegelegenen) Müllumladestation – aber jedes Mal nur eine Rolle. Weil einige ihre Gelben Säcke zweckentfremdet nutzen, werden diese nur reduziert ausgegeben: egal ob man sie nutzt wie vorgesehen oder nicht. Kollektivstrafe nennt man das; normalerweise halte ich nichts davon. Auch in diesem Fall hat sie sehr unangenehme Konsequenzen – vor allem für die ältere, nicht mobile Dame, die weit weg wohnt von der Müllumlade. Kollektivstrafen sind zwar eventuell für den einen wirksam, aber für manch anderen sicher ungerecht. Man sollte gut abwägen und sie sparsam einsetzen!

Mut zur Lücke

„Immer wenn die Sonne scheint, denke ich, ich sollte meine Fenster putzen“, sagt meine Schwester am Telefon, „aber wer putzt denn im November Fenster?“ Ich nicht; aber den Impuls kenne ich auch: Mich motiviert die Sonne sogar zum Fensterputzen, wenn ich meine Fenster gerade geputzt habe!

Eine Freundin meiner Schwester ist pragmatisch und findet, Putzen sei total überbewertet: Anstelle einen halben Tag lang alle Fenster zu putzen, nutzt sie die Werbeblöcke im Fernsehen, um sich nebenbei mal dem einen und mal dem anderen Fenster zu widmen. Auch ich denke, man braucht Mut zur Lücke oder (weil die Sonne im November selten scheint) zu schmutzigen Fenstern. „… oder zum Fensterputzer!“, ergänzt meine Schwester – und wir lächeln beide.

Ungemütlich

Es ist (leichtes) Angriffswetter: den ganzen Tag Nieselregen, mal intensiv, mal weniger heftig, dabei acht Grad Celsius. Jeder Hund verkriecht sich heute wohl hinterm Ofen, aber ich brauche Äpfel und radele zum Hofladen. Mir ist kalt, der Bauer aber sieht das anders: „Nö, es ist nur ungemütlich, kalt ist es noch nicht.“ Er hat Recht, richtig kalt ist was anderes; trotzdem friere ich und denke voller Sehnsucht an den Sommer. Wenn wenigstens die Sonne scheinen würde! Da schiebt der Bauer hinterher: „Aber ungemütlich ist viel schlimmer als kalt.“ Eben!

Komfortzone

Mein Mann lächelt und hält mir einen Zettel vor die Nase. Komfortzone steht da, umrahmt von einem Viereck; außerhalb davon hat er meinen Namen notiert. Er hat Recht: Ich versuche gerade, mich herauszuwagen aus meiner Komfortzone – und es fällt mir schwer, dabei zu lächeln. Das, was ich schon seit über 20 Jahren mache, fühlt sich nämlich sehr komfortabel an: bekannt, vertraut und berechenbar. Momentan scheint es jedoch angebracht, etwas Neues zu wagen: unbekannt, nicht vertraut und auch nicht berechenbar. Ich weiß, dass ich mich in jedem Fall weiterentwickeln werde und dazulerne. Nur leider lässt sich so etwas nicht in der Theorie üben und erfahren: Ich muss losmarschieren. Der erste Schritt ist der halbe Weg, ich weiß – aber den muss ich halt machen. Es ist herausfordernd für mich, und ich weiß nicht, wie ich damit zurechtkomme. Deshalb zögere ich. In der Bibel finde ich einen Vers, der mich ermutigt und gleichzeitig enspannt: „Der Mensch wirft das Los; aber es fällt, wie der Herr es will.“ (Sprüche 16, 33)

Nicht so einfach

Wir tun so, als könnten wir uns einer Meinung nur dann anschließen, wenn derjenige, der sie vertritt, gesellschaftlich anerkannt ist. Aber schon Sebastian Haffner bemerkte zutreffend (in seinen Anmerkungen zu Hitler): Man könne `nicht alles, was Hitler gedacht und gesagt hat, nur darum schon als indiskutabel … verwerfen, weil er es gedacht und gesagt hat… Dass Hitler falsch gerechnet hat, schafft die Zahlen nicht ab.´ So einfach ist es nicht.