Besonders und umsonst

Wir gehen selten essen; es ist nicht normal, sondern etwas Besonderes für uns. Deshalb darf es dann auch etwas mehr kosten als zu Hause; schließlich bezahlt man den Service mit und dass man sich auch nicht ums Kochen kümmern muss. Kürzlich waren wir (aus besonderem Anlass) in einem mexikanischen Restaurant. Es schmeckte in Ordnung, aber eher normal als besonders. Entsprechend erstaunten mich die Preise – wie heutzutage überall: ganz schön teuer. Ab und zu ist das in Ordnung. Und doch denke ich wehmütig an unseren letzten Urlaub im Herbst. Wir waren in Süd-England in einem Airbnb; sehr gute Freunde von uns wohnen dort in der Nähe. Wir hatten eine wunderbare Zeit zusammen, gingen viel spazieren und besuchten sie oft in ihrem kleinen Häuschen. Fast jeden Abend wurden wir bekocht. Meine Freundin ist eine sehr gute Köchin, ohne viele Worte davon zu machen. Sie benutzt kaum Rezepte und zaubert wie beiläufig sehr besondere und ausgesprochen leckere Gerichte –für uns: alle umsonst!

Beim Laufen

Die Vögel zwitschern, die Sonne scheint, die Luft ist lauwarm. Mitten im Wald stehen und blühen Krokusse: Frühlingsblüher. Ich frage mich, was die hier machen – aber egal. Der Winter wird sich sicherlich noch einmal aufbäumen mit Nässe und Kälte. Es wird ihm nichts nutzen, es ist Anfang März: Frühling liegt in der Luft und ich freu mich!

Frech und lächerlich

Kürzlich holte ich meinen Mann am Flughafen ab – nachts um 2 Uhr. Ich stellte unser Auto auf den fast leeren Parkplatz; mit mir warteten nur vier oder fünf andere Leute auf ihre Lieben. Drei Wochen später bekommen wir Post: mit einem Parkticket. Ich hatte nicht gesehen, dass man dort nachts fürs Parken zahlen muss. Das ist lächerlich, denke ich. Die Gebühr beläuft sich auf 47 Euro. Das ist außerdem frech, denke ich. „Mach dir nichts draus“, sagt mein Mann. Also spare ich mir die Schnappatmung für wirklich wichtige Dinge auf; wir überweisen das Geld und schenken den verantwortlichen Handaufhaltern nichts weiter: keinen empörten Gedanken und kein ärgerliches Gefühl.

Unnützes Zeug?

Unsere Kinder hatten beziehungsweise haben alle Latein in der Schule, einige auch Griechisch. „Was soll man denn heute noch mit einer Sprache, die keiner mehr spricht?“, fragte und fragt uns mancher. Na, zum Beispiel andere romanische Fremdsprachen leichter erfassen, Wort-Ursprünge im Deutschen erkennen und all das lernen, was zum LERNEN einer solchen Sprache dazugehört: Ausdauer beim Üben, genaues Hinschauen, Training des Sprachgefühls beim Übersetzen, ein besseres Verständnis von Grammatik, einen Einblick gewinnen in die Kultur, aus der wir kommen … Bei entschiedenen Neusprachen-Freunden bleibt die Skepsis trotzdem größer als das Verständnis.

Gestern waren wir in einem Konzert der Schulband: Gitarren, Schlagzeug, Klavier, Posaunen, Trompeten, eine Geige, Sänger … Die musizierenden jungen Menschen nahmen uns mit auf eine zweistündige Reise durch die Musik der vergangenen sieben Jahrzehnte. Es war wunderbar: überzeugende musikalische Fertigkeiten, ansteckende Spielfreude und beeindruckende Bühnenpräsenz. Einige der Musiker machen dieses Jahr Abi und werden höchstens für Gastauftritte zurückkommen. Ob sie in Zukunft noch Gelegenheit haben werden, in einer Band zu spielen – wer weiß. Kaum einer der Beteiligten wird aus seinem Hobby einen Beruf machen; sicherlich werden alle in Zukunft deutlich weniger Zeit für Musik haben als bisher.

Waren all die Unterrichtsstunden deshalb umsonst? Oder dienten sie nur dem einen Zweck, den einen oder anderen Abend mit der Schulband zu gestalten? Mitnichten: Musik ist horizonterweiternd und man lernt mehr als nur das Spielen eines Instrumentes: Fingerfertigkeit und Koordination (mindestens der Hände), Ausdauer beim Üben, Training des Harmonie-Gefühls beim Zusammenspiel mit anderen, Mut, vor Menschen aufzutreten, und natürlich das Einfügen in eine Gruppe … Selbst wenn all diese Nebeneffekte irgendwann nicht mehr fürs Musizieren benötigt werden: Horizonterweiternd sind sie doch.

Ein Instrument oder eine alte Sprache – das sind zwei ganz unterschiedliche Dinge. Es hat sehr ähnliche Nebeneffekte, das eine oder das andere zu erlernen. Finde ich.

Vom Hörensagen

„Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen, aber nun hat mein Auge dich gesehen“, sagt Hiob über Gott (Hiob 42, 5), nachdem er den Tod seiner Kinder sowie geschäftlichen und gesundheitlichen Ruin durchlebt hatte. In der Zeit danach lernte er Gott anders kennen als vor all dem Elend – unmittelbar, aber nicht weniger geheimnisvoll: Er hatte einen Einblick bekommen von Gottes Macht und Herrlichkeit.

Wir haben uns daran gewöhnt, schlechte Nachrichten zu lesen oder zu hören: in der Zeitung, im Radio, im Internet. Sie schocken uns, wenn überhaupt, meist nur kurz – auch wenn es wirklich schlimme Dinge sind, die in der Welt passieren. Aber es handelt sich fast immer um Geschichten, die mit uns persönlich nichts zu tun haben und uns entsprechend wenig berühren – vom Hörensagen.

Schlechte Nachrichten entfalten eine andere Wirkung, wenn Menschen damit konfrontiert sind, die wir persönlich kennen. In den letzten Wochen war das der Fall: sozusagen Mord und Totschlag in unserem Dunstkreis. Wir blicken in die Abgründe einer gefallenen Welt – nicht aus sicherer (rationaler) Distanz, sondern aus der (emotionalen) ersten Reihe. Wir sind nicht die Hauptdarsteller, gehören aber zum Ensemble; `vom Hörensagen´ ist definitiv vorbei.

Meine Story des Tages

In unserer Tageszeitung steht ein langer Artikel; er gefällt mir. Es geht darum, dass die beiden Vorreiter-Länder der digitalen Schule, Schweden und Dänemark, inzwischen längst zurückrudern und wieder auf Bücher und Papier setzen. Das freut mich sehr: auch, dass es bei uns in der Zeitung steht.

Was wurden und werden wir belächelt als die ewig Gestrigen – die Spaßbremsen! – weil wir unseren Kindern erst spät ein Handy erlaubt haben und Wert auf altmodisches Zeug legten und legen: Bücher lesen und eine ordentliche Handschrift zum Beispiel. Unsere Skepsis sei unpopulär und unvernünftig, hieß es immer wieder, die digitale Technik komme sowieso („später tippen sie alle“) und lasse sich nicht aufhalten. Als wäre das ein hinreichendes Argument dafür, das Unaufhaltsame dann auch noch gutzuheißen und jeden Trend kritiklos mitzumachen, anstatt sich selbst eine Meinung zu erlauben!

In dieser `story des Tages´ wird die Bewertung der nationalen Digitalisierungsstrategie in Schweden erwähnt. In ihr heißt es unter anderem: „Je mehr Computer es in den Schulen gibt und je öfter sie eingesetzt werden, desto schlechter.“ Der Bildungsminister Dänemarks hat sich sogar entschuldigt bei einer `Generation digitaler Versuchskaninchen´. Sicherlich gibt es andere Experten und Studien, die das Gegenteil behaupten. Diese müssen herhalten als Begründung für die digitale Aufrüstung an deutschen Schulen – weil wir ja `so hinterherhinken´ in dem Bereich.

Ich aber bewundere die ehrliche (und mutige) Kehrtwende der Skandinavier, die erkennen: „Wir brauchen eine gute Balance zwischen digitalen und analogen Medien.“ Sie ist mir lieber als die anhaltende Glorifizierung der Digitalisierung als DAS Allheilmittel für eine erfolgreiche Ausbildung unserer Kinder. Generationen vor uns waren nicht weniger schlau als wir, nur weil sie mit Buch, Stift und Papier zur Schule gingen. Auch ihretwegen tummelt sich so viel gesammeltes Wissen: ja, auch im Internet. Es lässt sich nicht vererben, sondern nur erwerben – und dafür müssen Menschen noch selber denken und sich Fähigkeiten aneignen, oft mühevoll.

Es war einmal … 

Meine Mutter schickt mir einen Gruß mit der Post. In den Umschlag legt sie ein unbeschriebenes Kärtchen – vorn beklebt mit gepressten Pflanzen. Ich denke sofort an meinen Biologie-Unterricht während der Schulzeit. Herbarien waren weder meine erste Gabe noch meine größte Leidenschaft. Meist war ich zu ungeduldig und nicht gründlich genug: Die kleinen Stengelchen zerbrachen und die Blütenblätter sahen eher zerquetscht aus als schön gepresst, manchmal leicht angeschimmelt. Bei der Karte meiner Mutter bröselt und schimmelt nichts; ich sehe auch keine Klebstoffspuren. Sie ist eindeutig handgemacht, total einzigartig, ein bisschen unvollkommen – wie aus der Zeit gefallen. Mal sehen, wem ich damit eine Freude machen kann.

Kräftemessen

Wir könnten darüber lachen – wenn es nicht auch ein bisschen lästig wäre: Das Wasser in unserem Keller verhält sich wie das Grundwasser unter unserem Grundstück. Regnet es viel und steigt das Grundwasser, dann bekommen wir im Keller nasse Füße. Wenn das Grundwasser sinkt, pumpen wir den Keller aus und freuen uns über trocknende Böden und Wände. Zwei Tage später regnet es wieder genug, um das Grundwasser über die Keller-Ufer treten zu lassen – und das Spiel geht von vorn los. Gummistiefel sind noch immer das wichtigste Utensil im Haus, wenn wir zum Beispiel die Waschmaschine bedienen oder Eis aus dem Tiefkühlschrank holen wollen. Auch das Fahrradflicken findet im Keller statt, meine Laufsachen lagern dort – und einiges mehr.

Natürlich sind zehn Zentimeter Wasser im Keller nicht wirklich problematisch. Wir freuen uns trotzdem jedes Mal, wenn es danach aussieht, als hätten wir wieder trockenen Boden unter den Füßen. Leider waren unsere Bemühungen bisher immer nur kurz von Erfolg gekrönt; langfristig plätschert das Grundwasser ohne Anstrengung am längeren Hebel: Ein paar Regentage bringen unsere Bodenplatte immer wieder zum Schwimmen. Das Kräftemessen mit den Urgewalten der Natur können wir niemals für uns entscheiden – so oft wir uns auch vorgaukeln, wir hätten die Situation im Griff. 

Selten haltbar

Freundschaften sind einem Wandel unterworfen: Die wenigsten bleiben für ein ganzes Leben gleich intensiv. Ich schätze mich glücklich, ein, zwei, drei Freunde aus Schulzeiten zu haben: Diese Beziehungen kann nichts erschüttern, auch wenn man sich monate- oder manchmal einige Jahre lang nicht sieht. In den vergangenen Jahrzehnten fühlte ich mich einigen anderen Menschen auch sehr nahe – aber meist nur phasenweise.

Später im Leben geschlossene Freundschaften scheinen nur in Ausnahmefällen lange haltbar zu sein. Ohne mir ersichtlichen Grund trennen sich die Wege wieder: Die Kinder sind nicht kompatibel; in die vollen Terminkalender passen irgendwann nicht mehr genug Treffen; das, was anfangs bereichernd wirkte, wird mehr und mehr anstrengend; auch innerhalb desselben Wohnortes gilt manchmal `aus den Augen, aus dem Sinn´ – was auch immer. Freunde kommen und gehen. Wir haben Glück: Eine relativ junge Freundschaft (nur 20 Jahre alt) hält doch, auch wenn Ortswechsel persönliche Begegnungen erschweren. Sie hat schon ein paar unterschiedliche Lebensphasen überdauert. Die Beziehung verändert sich, ja, aber sie ist noch da.

Ein Fest: klar und leicht

Ein Freund lädt uns zu seinem Geburtstag ein. Was er sich wünscht, will ich wissen. Die Antwort kommt prompt: Gar nichts, er habe alles und wolle auch nicht wieder ein Buch bekommen – was er lesen möchte, kaufe er sich selbst. Er würde sich freuen, wenn wir kämen: Die seit einigen Jahren gleiche Gästeliste habe sich ebenso bewährt wie der gekaufte Kuchen, den er uns kredenzen werde.

Ich finde diese Klarheit wunderbar: Er weiß, was ihm gefällt, und macht sich und uns das Zusammensein leicht.