Als Kundin nur bedingt geeignet

Ich kaufe mir selten etwas neu. Vieles kann man gebraucht erwerben, ich habe schon ziemlich viel Zeugs, und mir fallen Entscheidungen grundsätzlich nicht so leicht. Die nahezu grenzenlose Auswahl an Konsum-Artikeln in unserer Kleinstadt, in ganz Deutschland und – durchs Internet – weltweit überfordert mich eher, als dass sie mich zum Zuschlagen motiviert.

Ich erinnere mich noch an den Kauf unseres Küchentisches – aus Holz. Der hatte mit damals vier kleinen Kindern relativ schnell die ersten Macken. Das stört mich nicht, wir wohnen hier. Es ist leichter für mich, mit Gebrauchsspuren zu leben, als einen neuartigen Status quo aufrecht zu erhalten. Mit dieser Einstellung fällt es schwer, viel Geld für neue Dinge auszugeben. Außerdem widerstrebt es mir, Dinge wegzuwerfen, die ihren Zweck erfüllen.

Dabei beobachte ich in mir einen gewissen Widerstreit von Gefühl und Verstand, was den Konsum betrifft: Technische Geräte stellen nur bedingt eine Versuchung für mich dar – deren Halbwertzeit ist mir zu kurz. Nur ein zweites Objektiv für meine Kamera könnte ich gut gebrauchen. Geht aber auch schon seit Jahren ohne. Andere Dinge haben durchaus einen Reiz für mich, vor allem schöne, zweckmäßige Klamotten. Nach einer gewissen Anzahl Jahren in einem sich wenig verändernden Outfit käme mir das eine oder andere neue Teil gerade recht. Wenn aber für den emotional motivierten Spontankauf Muße oder Gelegenheit fehlen, hat der Verstand Zeit zur Argumentation: „Brauchst du das wirklich? Du weißt doch, dass der Zauber des Neuen schnell verfliegt. Du hast genug.“

Manchmal frage ich mich, inwieweit mein Konsumverhalten meinen Lebensumständen geschuldet ist: Hätte ich mehr Geld oder Zeit und ersetzte ich regelmäßiger Altes durch Neues – wäre ich dann den Versuchungen des Konsums zugeneigter? Auch die Nähe zu einer Shopping Mall und modebewusstere Freundinnen wären sicher meinem eigenen Einkaufsverhalten zuträglicher. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier: Ich habe mir die Lust auf etwas Neues abgewöhnt wie den gedankenlosen Einsatz von Zucker. Vielleicht reicht meine jetzige Lebensphase aus, mich des Konsums an sich überdrüssig zu machen. Als Kundin bin ich derzeit nur für Edeka und Co. geeignet.

Selbstgespräch in laut oder leise

„Ich bin so doof!“, rutscht es mir raus, und mein Sohn antwortet prompt mit „Du bist nicht doof, Mama!“ Schön – er meint es ernst. Denn er weiß, dass solche Aussagen hängenbleiben können. Das hat er von uns: „Redet euch keinen Quatsch ein, keine Lügen. Irgendwann glaubt ihr die selbst.“ Wenn ich mit mir allein bin, korrigiert mich niemand. Da muss ich selbst darauf achten, dass ich mich in einem Selbstgespräch nicht rund mache.

Unbeobachtet (und vor allem ungehört) schimpfe ich unbeherrschter, rege mich auf oder lasse meinem Unmut (relativ) freien Lauf: „Wie kann die sowas sagen – ich fass´ es einfach nicht.“ Seltener singe ich vor mich hin: „Ich bin so toll, das habe ich aber gut hinbekommen“, oder murmele laut: „Das fährt nur so langsam, weil er in Gedanken ist, geht mir auch manchmal so.“

Dabei denke ich (denke ich zumindest!!!) ausgewogen über Situationen nach, versuche zu verstehen, versuche, das Positive zu sehen. In lauten Selbstgesprächen ist die Ausgewogenheit weg. Ist doch komisch, finde ich. Leise bin ich netter.

Hirten und Schafe

Ein Pastor ist ein Hirte. Ich bin ein Schaf. Ich bin zwar nicht so herdenkompatibel wie ein Schaf und auch nicht ganz so ohne eigene Meinung, aber ich bleibe ein Schaf. Wenn ich Orientierung brauche, suche ich einen Hirten – und ich bin froh, wenn dann da ein Hirte ist, dem ich vertrauen kann. Mein eigener Pastor ist glücklicherweise so einer, aber es gibt noch andere Hirten in meinem Leben. Einige kenne ich nur aus Büchern, und sie begleiten mich schon lange. Warum sie in meinen Augen gute Hirten sind? Sie lieben Jesus und die Bibel, suchen dort nach Wegweisung – für sich selbst und die Schafe. Sie sind ehrlich, überlegt, klug und trotzdem bodenständig und praktisch:

„…ich erfahre es bis zur Stunde, dass man erst in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben lernt. Wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen – sei es einen Heiligen oder einen bekehrten Sünder oder einen Kirchenmann (eine sogenannte priesterliche Gestalt!), einen Gerechten oder einen Ungerechten, einen Kranken oder einen Gesunden – und dies nenne ich Diesseitigkeit, nämlich in der Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge und Misserfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeiten leben, – dann wirft man sich Gott ganz in die Arme…“
Dietrich Bonhoeffer

„But if the Christian life means anything at all, it finally has to get into the worlds of what we do between waking and sleeping, into the realm of the routine, ordinary speech, habitual responses, casual reactions.“
Eugene H. Peterson

Meine beiden Hirten – der eine schon tot, gestorben, als er jünger war als ich heute (und so viel reifer), der andere weit weg in den Bergen von Montana. Beide inspirieren und ermutigen mich, sind manchmal Trost, oft Herausforderung für mich in meinem Alltag, in meinem Denken. Ihre Weisheiten sind für mich häufig einprägsamer als die eines Paulus – der immerhin ebenso erfrischende Briefe aus seiner Gefängniszelle geschrieben hat wie Dietrich Bonhoeffer. Liegt vielleicht daran, dass sie sich mehr mit den Gegebenheiten des Lebens heute herumschlagen mussten oder noch herumschlagen. Und weil sie die Bibel nicht nur in eine heutige Sprache übersetzen, sondern auch noch in meine heutigen Umstände.

Das ist wohl das, was ein guter Hirte macht, und da bin ich dann gern ein Schaf.

Gespräche – wie sie funktionieren (oder auch nicht)

Wir sind eingeladen zu einem Fest. Viele Gäste kennen wir nicht. Ein wenig fehlt uns der Schwung zu neuen Kontakten; dennoch ergeben sich Gespräche, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Mein Mann sitzt neben einem älteren Herrn, der angeregt erzählt und erzählt und erzählt. Ein nicht enden wollender Monolog ist die Antwort auf eine einzige erste Frage meines Mannes. Es geht von ganz allein von einem Thema zum nächsten. Nach dem Fest: „Dagmar, wenn ich jemals so kommuniziere, sag´s mir.“

Ich selbst sitze mit einem jungen Mann am Tisch, der in einem Gestüt arbeitet – das interessiert mich. Ich stelle also Fragen. Jede wird brav beantwortet, aber darüber hinaus erhalte ich weder weitere Informationen noch Hilfen, den Gesprächsfluss in Gang zu halten. Jeder Impuls muss von mir ausgehen, und da ich mich dem Thema als eher Unwissende nähere, sind meine Fragen vor allem am Anfang ungeschickt eng gestellt. Schnell beantwortet. Und weiter geht’s. Die braunen Augen meines Gegenübers schauen freundlich und durchaus bereit, mit mir im Gespräch zu sein – allerdings nur reagierend. Ich gerate etwas unter Druck. Mit der Zeit erhalte ich eine Vorstellung von seiner Tätigkeit.

Als wir wieder zu Hause sind, schweigen wir uns wissend an. Wir sind beide k.o. – mein Mann vom Zuhören, ich vom Fragenstellen. Gespräche sind manchmal kein Selbstläufer!

Verbindlichkeit adé

Das Dahinschwinden von Werten und Zwängen, die für meine Eltern noch Standard waren, erfüllt mich nicht nur mit Freude und Erleichterung, sondern auch mit leiser Wehmut und lautem Bedauern. Schön ist, dass ich nicht bis zur Selbstaufgabe pünktlich sein muss, um in meinem Freundeskreis noch eingeladen zu werden. Schön ist auch, dass man auf Anfragen mit einem klaren „Nein“ antworten kann: Ich muss Erwartungen nicht erfüllen, um als vollwertiges Mitglied einer Gemeinschaft akzeptiert zu werden. Unsere Kinder dürfen auch mal nicht zum Training gehen; in der Regel tun sie das aber doch, sind sie verbindlich.

Es ist nämlich ausgesprochen schade und äußerst unglücklich für die Charakterbildung, wenn man unangenehmen Terminen oder Personen fernbleibt und sich den Weg des geringsten Widerstandes als den einzig gehbaren und der eigenen Seele zumutbaren aneignet. Auf diesem werden so überlebensnotwendige Fähigkeiten wie Durchhaltevermögen und Frustrationstoleranz, Kreativität und Flexibilität nicht gelernt. Und wie wichtig erweisen diese sich im manchmal so langweiligen und unspektakulären Alltag!

Leugnen zwecklos

Mein Mann kommt mit einem der Briefe auf die Terrasse, die ich ihm normalerweise immer auf die Treppe lege: Alles, was offiziell oder nach Rechnung aussieht, landet auf seinem Schreibtisch. „Ich soll als Zeuge auftreten“, und schon weiß ich, welcher Art Schreiben er da in den Händen hält, grinsend, sein Blick wandert vom Brief zu mir und wieder zurück. „Was für ein Foto ist das denn?“, fragt unsere Tochter. Na, ein schlechtes – Qualität miserabel, Mutter unvorteilhaft getroffen, weil ernst (oder konzentriert), schwarz/weiß, ohne Charme.

„Ja, das kann ich bestätigen, dass du das bist, Dagmar“, lächelt mein Mann, „sind aber nur zehn Euro diesmal“. Zum Glück, ich war nicht soviel zu schnell wie damals, als ich in einer 30er Zone gedankenversunken 54 Stundenkilometer gefahren bin und 350 DM löhnen musste – und noch einiges mehr an Konsequenzen zu tragen hatte… Diesen Lapsus werde ich nie los.

Ob ich es wahrhaben will oder nicht: Ich sehe immer gleich schrecklich aus auf diesen Fotos vom Polizeioberkommissariat. Wenn ich mich unbeobachtet fühle – egal, ob ich es tatsächlich bin oder nicht -, sind Fotos von mir nur für die Papiertonne geeignet. Eindeutig ich, aber nicht schön…

Worte – geschrieben oder gesprochen

Ich kann Geschriebenes besser behalten, das war schon immer so. Wenn ich lernen musste, dann reichte mündlich nicht – in der Schule, im Studium; und auch heute bleiben Gedanken besser hängen, die ich mir aufschreibe. Die anderen verschwinden schnell im Hintergrund meines Gedächtnisses, sind oft nicht mehr so leicht abrufbar. Und: Ich bekomme lieber einen Brief als einen Telefonanruf, bin selbst schriftlich besser sortiert als mündlich.

Andererseits gehen gesprochene Worte tiefer, jedenfalls bei mir. Sie können sehr aufbauen (oder sehr verletzen). Je älter ich werde, umso mehr bleiben sie hängen: Ich weiß noch genau, wie unser Ältester vor drei Jahren zu mir kam. Ich saß weinend auf dem Sofa, weil ein mir lieber Mensch nahe am Sterben war: „Mama, lass Gott einfach machen“, hat er damals gesagt – und diese Weisheit eines 14-Jährigen hat mich unglaublich getröstet und mir wirklich geholfen, meine Sorge loszulassen.

Im Schriftlichen sind es Zusammenhänge und Gedankengänge, die klar werden und mich prägen. Im Mündlichen sind es einzelne Sätze, die treffen. Ich brauche beides.

Energiebilanz zweifelhaft

Manche Frauen scheinen unbegrenzt davon zu haben – Energie. Ich nicht. Was andere Leute schaffen, lässt mich schwindeln: Job, Kinder, Ehrenamt, Marathonläuferin als Hobby oder Ausgleich, abends noch einen Tanzkurs mit dem Ehemann, kulturinteressiert am Wochenende unterwegs, was Bücher angeht immer up to date, politisch nicht nur informiert, sondern mit einem klaren Standpunkt ausgestattet. In all diesen Bereichen fühle ich mich weniger ambitioniert, müder, wahrscheinlich auch weniger bereit, mich zu engagieren. Kann ich leider nicht auf mein fortgeschrittenes Alter schieben: Die Frauen, von denen ich spreche, sind in demselben.

Woran liegt das? Innerlich fühle ich mich jung, noch nicht fertig, noch lernend, unerfahren gar. Andererseits laufe ich nur noch fünf, keine zehn Kilometer mehr, putze mein Haus weniger regelmäßig von oben bis unten, lese manches Buch nicht zu Ende und die Zeitung so, dass ich hinterher eher ratlos bin als umfassend informiert. Und ich brauche viel Schlaf. Mehr als vor zehn oder fünfzehn Jahren, als der Nachtschlaf noch regelmäßiger unterbrochen war. Die Altersphase, in der man kaum noch Schlaf braucht, habe ich noch nicht erreicht. Verwandle ich mich in ein Murmeltier? Oder ist das normal?

Diskrepanz zwischen Ist und Soll

„Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.“
Paulus in Römer 7, 19

„Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Keuschheit…“
Paulus in Galater 5, 22+23

Es gibt Situationen, Worte, Dinge, die in mir eine Reaktion auslösen, die sich teilweise von mir nicht mehr selbst kontrollieren lässt. Vielleicht will ich es auch nicht. Das geschieht häufig gänzlich unerwartet; und auch wenn die Auslöser sicherlich immer wieder ähnlich sind, überrascht mich meine eigene Ohnmacht in der jeweiligen Situation genauso immer wieder.

Inzwischen weiß ich, dass ich allergisch reagiere, wenn ich mich nicht ernst genommen fühle. Geschieht das, so werde ich wütend, reagiere beleidigt, ziehe mich innerlich zurück. Ob der andere es tatsächlich so gemeint hat oder nicht, ist dabei weniger wichtig als das bei mir erzeugte Gefühl. Da ist eine Wunde in meinem Inneren, an die lass ich keinen ran, an die komme ich selbst nur schwer ran. Im Ergebnis bin ich nicht liebe- und verständnisvoll, freundlich, geduldig, großmütig und barmherzig, um Ausgleich bemüht und versöhnungsbereit…, sondern in Verteidigungshaltung und (bisweilen sehr) angriffslustig. Aus der Perspektive des anderen verstehen? Wozu? MIR geht es gegen den Strich, ICH werde gerade doof behandelt, MEINE Gefühle werden verletzt.

Gut dass es Paulus genauso ging – manchmal. Gut dass Paulus genauso wie ich wusste, dass nur Gott unser Inneres verändern kann – hoffentlich immer mehr.

Meine Erfahrung ist nicht deine Erfahrung

Erfahrungen kann man schlecht für jemand anderen machen: Ein Sohn ist zum Austausch in Irland. Zwischen der Spannung (der erste Flug, wie wird das wohl?) und Anspannung (unbekannte Gastfamilie, wie wird das mit der Sprache?) schwankte das Kind – je näher der Abflugtag anrückte, desto mehr. Weder das Schöne des ersten Fluges noch die Erfahrung, mit fremden Menschen umgehen zu müssen und nicht zu wissen, wie man mit „denen“ klarkommen wird, konnten wir ihm abnehmen. Dafür wird das Erlebte auch ganz SEINS sein. Nicht vermittelbar, nicht teilbar, seine Erfahrung, sein Erleben, sein Erinnerungsschatz irgendwann. So ist es mit allem – auch mit den weniger positiven Ereignissen des Lebens.

Zwar würde ich meinen Kindern gern manches ersparen, aber schlau ist das nicht. Dass Niederlagen und Fehler nicht das Schlechteste sein müssen beim Großwerden zum Beispiel, das kann man nicht theoretisch verstehen. Dass Horizonterweiterung immer mit dem Verlassen der Komfortzone verbunden ist und darum oft beängstigend, ungewohnt und anstrengend, ebenso. Auch die Kraft von Worten – in aufbauender und in verletzender Weise – begreifen sie am ehesten durch Ermutigung und leider eben auch verbale Attacken. Und so weiter und so fort.

Was sie aus Erfahrungen lernen und wie diese sie prägen und beeinflussen, das ist dann noch einmal eine ganz andere Frage. Ersparen kann ich sie ihnen nicht, mit ihnen darüber reden schon.