Mein Sohn hat abends kein Training. Unvorsichtigerweise beklagt er sich darüber in meiner Gegenwart. „Du kannst mit mir laufen gehen“, lade ich ihn ein, „danach fühlst du dich frisch.“ Er verdreht die Augen und sucht nach einer guten Ausrede. Als er keine findet, lässt er sich auf mein Angebot ein. Wie schön – für uns beide. Dennoch bin ich mir sicher, dass er mein Angebot beim nächsten Mal ausschlagen wird: Eine einzige Runde macht noch keinen Läufer.
Schleifstein und Therapie
Meine Freundin sagt, sie sei für ihren Mann sowohl Schleifstein als auch Therapie. Tolle Formulierung, denke ich, auch für mich zutreffend. Wie sehr mein Mann mich auch schätzt, in mancher Hinsicht arbeitet er sich an mir ab – immer wieder und nicht immer mit zufriedenstellendem Ergebnis. Umgekehrt gilt es natürlich ebenso und vielleicht sogar für Beziehungen aller Art: zwischen Eltern und Kindern, Kollegen, Freunden, Geschwistern …
Wir fordern uns heraus und tun uns gut, gehen uns auf die Nerven und fühlen uns miteinander in bester Gesellschaft, sind uns manchmal sehr fremd und doch herrlich vertraut: Schleifstein und Therapie halt.
Klar und deutlich
Jemand reagiert genervt auf meine Fragen (warum auch immer); ich ziehe mich zurück und weiche aus. Die Kommunikation ist gestört und wird kompliziert – ich bin befangen und scheine immer den falschen Zeitpunkt zu erwischen. Mit der Zeit werde ich unsicher und ärgere mich: So funktioniert das Miteinander nur mittelmäßig. Ich sollte ein klärendes Gespräch suchen, obwohl mir derartige Unterhaltungen nicht leichtfallen. Wie sag ich´s nur, denke ich – und was genau? Früher als gedacht, ergibt sich die Gelegenheit; ich ergreife sie (aufgeregt, aber entschlossen) und spreche an und aus, was mir Mühe macht. Es wirkt wie ein Gewitter, nur weniger erratisch: währenddessen überwältigend und durcheinander wirbelnd, danach ist die Luft zwischen uns wieder klar und sauber. Wie wunderbar! Ich will mir das merken – es wird nicht das letzte Mal gewesen sein.
Eine Frage des Alters
„Mein Sohn sagte mir erst gestern, wenn ich den Bauch nicht einziehe, sehe ich aus wie im vierten Monat“, erzählt mir ein Bekannter. Unweigerlich wandert mein Blick zu seiner Mitte – und siehe da: Er hat Recht! Ich muss schmunzeln und gleichzeitig tut er mir leid. Es liegt schließlich NUR am Alter:
Der Sohn kann essen, was und wie viel er will – und bleibt gertenschlank und wächst in die Länge.
Der Vater ernährt sich deutlich gesünder und bewusster – und bleibt gleichlang und entwickelt einen Schwimmring.
Aus-gesprochen
Ich mache Feierabend und treffe vor dem Büro eine Bekannte. 20 Minuten und ein Gespräch später sehe ich vor der gegenüberliegenden Drogerie den ehemaligen Fußballtrainer meines Sohnes mit seinen Kindern. Wieder 20 Minuten später kommt seine Frau – und ich steige endlich aufs Rad. Auf dem Weg nach Hause überhole ich einen Lehrer meiner Tochter und begleite ihn bis vor sein Gartentor: weitere 20 Minuten, die ich in angeregtem Gespräch verbringe. Zu Hause rolle ich dadurch fast zeitgleich mit meiner Freundin auf den Hof; wir sind verabredet: zu Gespräch und Gebet. Nach zwei Stunden verabschieden wir uns – und mein Telefon klingelt. Ach, ja, ich will ja mit meiner Freundin in England telefonieren! Anderthalb Stunden später legen wir auf: Sie muss kochen. Während unseres Abendbrots berichte ich meinem Mann `aus aller Welt´. Danach bin ich leergeredet und beginne mit einem ausgiebigen Schweigen!
Mit oder ohne Stiel?
Ein Geburtstag wie aus dem Bilderbuch: bestes Wetter, ein gemütlicher Garten, Bierbänke, ein abwechslungsreiches Buffet (zu dem ich nur eine einzige Sache beigetragen habe), gegrillte Köstlichkeiten. Gegen Ende der Feier kommt ein kühler Weißwein auf den Tisch – und ein Karton mit langstieligen Weingläsern. Es ist warm, aber sehr windig. Daher nehme ich mir (wie gewohnt pragmatisch) anstelle eines Weinkelches eins der Allzweckgläser; auf mich wirken diese deutlich standfester. Prompt ernte ich skeptische Blicke und von meiner Freundin einen Kommentar: Stillos sei es, einen Weißwein aus solch einem Glas zu trinken. Ich frage mich (und in die Runde), warum. Die Ansichten gehen auseinander; wir können uns nicht einigen. Ich entscheide mich für den Selbstversuch – und siehe da: Mir schmeckt der Weißwein in diesem Garten-Setting auch aus einem stiellosen Saftglas. Dass das auf andere vielleicht stillos wirkt, ist mir egal.
Das wars
Lange war es noch winterlich kühl und ich nur spärlich im Garten aktiv. Für unsere Buchsbaum-Zünsler dagegen waren die letzten Wochen offenbar frühlingshaft genug: Erfolgreich raspelten sie sich durch die zwei noch verbliebenen Buchsbäume an unserer Terrasse. Übrig bleibt ein trauriger Anblick; ich hole kurzentschlossen die Astschere. Eine halbe Stunde später liegen die halbzerfressenen Büsche vor dem Kellereingang. Nur ein paar Stümpfe markieren ihren ursprünglichen Standort – und zeigen meinem Mann, wo er (gelegentlich!) das Wurzelwerk ausbuddeln darf. Ich gewöhne mich schnell an die freie Sicht und habe kein Mitleid mit den nun heimatlosen Raupen. Sie müssen sich woanders eine Bleibe suchen oder werden verhungern …
Gestresst – genervt – gelassen
In der Wochenmitte: Jemand wünscht mir einen schönen Nachmittag: Ich solle mich vom Stress des Vormittages erholen. Nach kurzer Überlegung antworte ich, dass mich der Arbeitsvormittag nicht stresst – weder der Zeitdruck oder meine eigene Unzulänglichkeit noch das manchmal knirschende Miteinander. All das ist für mich nicht so wichtig, dass es mich stressen würde. Solange mit meiner Familie alles in Ordnung ist (ohne dass alles super läuft), bleibe ich gelassen.
Zwei Tage später fahre ich genervt von allem Möglichen einkaufen. Vor dem Supermarkt treffe ich eine Freundin, die mich fragt, wie´s mir geht. Ich sage, dass mein Tag bisher suboptimal läuft – in etwas drastischeren Worten. Sie zögert ein bisschen und erzählt mir dann, zu welcher Familie das verunglückte Kleinkind gehört, von dem ich kürzlich in der Zeitung las. Sogleich werde ich kleinlaut und still und denke an meine eigenen Worte: Solange mit meiner Familie …
Unerwartet: mehr als eine Notiz
Im alten Kinderzimmer meines Sohnes suche ich eine Facharbeit von ihm. Zwischen allerhand Papier finde ich sie – und einen abgerissenen Notizzettel, auf dem er notiert hat, wofür die Kinder mir dankbar sind:
Schuhe kaufen,
kochen + Wäsche,
hinter uns herräumen,
Hausaufgaben und Schreibübungen,
zu Freunden gefahren,
immer hinter uns gestanden + motiviert,
geduldig gewesen,
Extras für uns gekauft (Guthaben, Klamotten),
getröstet
Ich suche eine Facharbeit und finde: viel mehr als das.
Für und Wider
Es ist ungemütlich, zwischen den Stühlen zu sitzen: nicht zu wissen, wie man sich entscheiden oder wem man es lieber recht machen sollte.
Es ist auch unangenehm, zwischen die Fronten zu geraten: als unbeteiligter Dritter hineingezogen zu werden in den Streit von zwei anderen.
Einerseits: Auf den ersten Blick hört sich `zwischen den Stühlen´ besser an – die Konsequenzen bleiben eher harmlos; `zwischen den Fronten´ sind Kollateralschäden oft unvermeidlich.
Andererseits: Um das Machtgerangel anderer kann ich einfach einen Bogen machen; die inneren Kämpfe der Entscheidungsfindung lassen sich nicht ebenso leicht lösen.
Was mir in jedem Fall weiterhilft: Mut zur Lücke!