Was man so mitbringen kann …

Zwei meiner Kinder fliegen Ende des Monats nach Sambia. Im Vorfeld wurden sie gefragt, ob sie ein paar Dinge mitbringen könnten, die man dort nicht oder nur für sehr viel Geld kaufen kann. Gern machen sie das. Die Auswahl der Wünsche ist vielfältig: Zartbitterkonvertüre ist dabei und gewöhnliche H-Schlagsahne, zwei karierte Mathe-Hefte (`weil ich nicht weiß, wo ich die bekommen kann – hier ist alles liniert´), Kaffee-Filtertüten, Salzstangen, Pfefferminztee und ein paar ausgedruckte Fotos …

Zwei Drittel davon habe ich im Haus, auf Vorrat. Die anderen Dinge bekomme ich hier in Deutschland in JEDEM Supermarkt. Besonders beschämt mich der Wunsch nach karierten Mathe-Heften. „Es können gern auch angefangene sein“, hieß es. Ausrangierte Turnschuhe wird mein Sohn auch mitnehmen; er weiß, dass die dort hoch im Kurs stehen. „Mit welchen Schuhen dort Fußball gespielt wird, das könnt ihr euch nicht vorstellen“, hatte er letztes Jahr erzählt, als er von seinem Auslandseinsatz wiederkam.

Wir kaufen also ein paar Dinge und holen andere aus dem Keller. Was bei uns `rumliegt´, ist für Menschen in Sambia mehr als ein Mitbringsel.

Friedemann und die Missverständnisse

„Was würde Friedemann dazu sagen?“, fragt mich mein Mann – und unwillkürlich müssen wir beide lächeln. Kommunikation ist schon lange und immer wieder Thema bei uns: Der eine sagt was, warum und wie, der andere hört was, warum und wie – und beides hat bisweilen kaum etwas miteinander zu tun. Wieso ist das so schwierig und, viel wichtiger. wie lässt sich das ändern? Vor kurzem hörte mein Mann (dienstlich) einen Vortrag von Friedemann Schulz von Thun; einiges war ihm schon bekannt. „Das hätte dich auch interessiert“, sagt er hinterher zu mir und meint: gutgetan.

Friedemann Schulz von Thun ist Kommunikations-Experte; von ihm stammt das Modell mit den vier Schnäbeln und den vier Ohren. Wir informieren, offenbaren uns, vermitteln Gefühle und Erwartungen – grob gesagt. Und wir hören ebenso. Die Krux ist, dass jeder anders tickt, anders geprägt ist und entsprechend konditioniert. Bestes Beispiel: „Die Ampel ist rot“, sagt der Beifahrer und kann sich dadurch als aufmerksamer Mitfahrer offenbaren, vielleicht auch als ängstlicher oder als bevormundender … Einige der möglichen Reaktionen sind: `Das hatte ich noch gar nicht gesehen, danke´ oder `Das sehe ich auch, lass mich in Ruhe´ oder `Oh, ich muss bremsen … oh, der andere will, dass ich bremse …´. Je nachdem, was genau und wie der Fahrer versteht, antwortet er – und sendet seinerseits eine Botschaft, die alles Mögliche an (nicht nur gedanklichen) Reaktionen in Gang setzt. Die Kunst ist es, transparent zu reden und zu hören; möglicherweise muss man dazu nachfragen. Missverständnisse haben es dann deutlich schwerer.

Bei uns geht es nie um Ampeln; wir lassen einander fahren und sitzen vergnügt (und still!) daneben. „Wir müssen noch dies oder das tun, uns hier oder dort melden, den Urlaub buchen etc.“ dagegen kommt ab und zu vor und löst eine Menge an Fragen aus: Wir? Wer genau? Wieso denkst du, dass ich dazu mehr Lust habe als du? Möchtest du, dass ich es tue? Warum sagst du das dann nicht? Und die erste Antwort beziehungsweise Gegenfrage, die inzwischen automatisch kommt, lautet: „Friedemann?“ Das bedeutet so viel wie: `Jetzt mal Butter bei die Fische.´ Im Ergebnis lächeln wir beide – und das hilft auch schon super gegen Missverständnisse.

Australisches Brot?

Eine Familie, die ich letztes Jahr in Australien besuchte, backte ihr eigenes Brot, mit Sauerteig und Körnern – dem, was wir in Deutschland gewohnt sind, sehr ähnlich. In Australien aß ich allerdings meistens Porridge und nur sehr selten Brot. Trotzdem brachte ich mir das Rezept mit, war aber skeptisch, ob ich dem `it´s very easy´ meines Freundes Bruce glauben konnte. Meine bisherige Erfahrung mit Sauerteigrezepten lief eher unter: erfordert Übung und kann leicht schiefgehen.

Seit fast zehn Monaten bin ich wieder hier und backe selbst Brot, mindestens eins pro Woche. Bruce hat recht: Das Rezept ist einfach; das Brot gelingt jedes Mal und schmeckt; mein Brot-Back-Selbstbewusstsein ist erheblich gestiegen.

Seit 2014 gehört deutsche Brotkultur für die UNESCO zum immateriellen Kulturerbe – weil wir so viele und so tolle Brotsorten haben wie kein Land sonst auf der Welt. Bei Australien dagegen fällt einem eher Vegemite ein oder Meat Pie und, wenn schon Brot, dann ist das eher hell, luftig und nährstoffarm. Mein Haupt-Mitbringsel ist daher eine paradoxe Inspiration: Ich backe deutsches Brot nach `australischem´ Rezept!

Wir kennen uns (nicht)!

Auf dem Weg durch unsere Nachbarschaft begegnete mir vor ein paar Wochen eine Frau. Wir grüßten uns, weil man sich in der Nachbarschaft eben grüßt, dachte ich. Bis dato war sie mir nie als `hier um die Ecke´ ansässig aufgefallen. Die Frau erzählte ganz vertraut von ihrer Tochter – gerade so, als würde sie mich kennen. Ich dagegen konnte sie überhaupt nicht zuordnen und dachte: `Vielleicht ist es die Mutter irgendeines Mitschülers irgendeines unserer Kinder.´ So etwas passiert mir manchmal: Ich habe kein gutes Personengedächtnis und kann Menschen außerhalb des gewohnten Kontextes (in diesem Fall: vielleicht Elternabend?) schlecht zuordnen.

Heute saß dieselbe Frau aufgrund eines Stadtteilflohmarktes vor ihrem Haus. „Gerade habe ich zu Tina gesagt: `Dagmar war auch schon hier´“, ruft sie mir bei meinem zweiten Vorbeigehen zu. Welche Tina …?, frage ich mich, lasse mir meine Sprachlosigkeit nicht anmerken, lächle und nicke freundlich. Sie kennt nicht nur mein Gesicht, sondern auch meinen Namen – und wahrscheinlich noch viel mehr. Ich kenne nur ihr Gesicht (und auch das erst neuerdings) und bin gespannt, wohin sich unsere Bekanntschaft noch so entwickelt.

Nur das nicht!

„Ich möchte nicht nur mit den Kindern zu Hause bleiben …“, sagt eine junge, (noch) kinderlose Frau zu mir. Sie weiß, dass ich lange nicht berufstätig war; in der Vergangenheit sprach sie immer positiv von dem, was ich `geleistet habe´. Wahrscheinlich war das ernst gemeint und dennoch wirkt sie jetzt fast entrüstet: Nur mit den Kindern zu Hause bleiben, das klingt nach sehr wenig und kann einem nicht reichen – ihr jedenfalls nicht.

Eventuell gehört sie zu den Frauen, die gern berufstätig sind und (oder: weil sie) ihren Traumjob gefunden haben. Vielleicht geht es ihr auch darum, selbst Geld zu verdienen für all das, was man heute so braucht. Alles ist in Ordnung – bis auf das Wörtchen `nur´, es stört mich. Ich würde niemandem sagen: `Eh, du gehst nur ins Büro, arbeitest nur bei der Müllabfuhr, bist nur Lehrer für Kunst …´

Nur macht aus mit den Kindern zu Hause eine Tätigkeit, die auf keinen Fall gleichwertig ist zu anderen Jobs. Unabhängig davon, ob und wofür das Geld am Ende des Monats reicht oder nicht, was (nebenbei gesagt) vollkommene Privatsache ist: Sich ohne Entgelt um den eigenen Haushalt und Kinder zu kümmern (ob als Vater oder Mutter) hat keinen Wert an sich. Es sei denn, man bemüht sich um Haushalt und Kinder anderer Menschen und bekommt dafür Geld. Das eine ist offenbar Arbeit und das andere nicht – ich verstehe nur nicht, wieso.

Irgendwie keine gute Idee

„Ein Tattoo hat nur Nachteile: Es kostet, tut weh und du wirst es nicht wieder los“, sagt meine Freundin, „und wenn man dann so alt ist wie wir, sieht es aus wie ein zerknittertes Gemälde.“ Ich finde auch, dass es bessere Ideen gibt, seinen Körper aufzuhübschen. 

Tolles Material – und wunderbar weich!

Im Geschäft stehe ich vor den Sommerkleidern und suche ein reduziertes, auf das ich im Internet gestoßen war. Leider finde ich es nicht, sondern hauptsächlich nicht-reduzierte Modelle – noch dazu nicht ganz in meiner Größe. „Das ist ein ganz tolles Material“, sagt die Verkäuferin, „der Stoff fließt wunderbar und ist ganz weich.“ Damit hat sie recht und ich gehe mit zwei Teilen in die Kabine. „Sitzt es?“, klingt es mir hinterher. Ich finde das erste Kleid zu groß und zeige, wo und warum. Das müsse so sein, lautet die Antwort: „Sie könnten ja diese Falte hier mit ein paar kleinen Stichen fixieren, das kann man machen.“ Sicher nicht, denke ich; ich möchte, dass es ohne Nacharbeiten passt.

Die Verkäuferin sieht mein Zögern und legt nach: „Das ist ein ganz tolles Material, der Stoff fließt wunderbar und ist ganz weich.“ Aha, genau, das stimmt, aber auch das zweite Kleid passt mir nicht wirklich – diesmal sind es Farbe und Preis. „Ich schau mal, ob das reduzierte Kleid, das Sie suchen, noch in einer anderen Filiale verfügbar ist“, sagt die Verkäuferin und geht zum Computer. Eine Kollegin hilft – jetzt kümmern sich zwei Damen um mich: „Das ist ein ganz tolles Material …“ Ich weiß, ich weiß, so langsam geht mir dieses geschäftstüchtige Gerede auf den Keks. Ein paar Minuten später verabschiede ich mich; meine Bestellung ist auf dem Weg. In einer Woche rufen sie mich an, aber mit `wunderbar weich´ sollte mir dann bitte keiner kommen!

Eine Kleinigkeit – gehört sich trotzdem nicht

Ich sitze mit einer Freundin in einem Café. An einem der anderen Tische sitzen ebenfalls zwei Frauen. Einer von beiden rutscht die Serviette aus der Hand – sie lässt sie auf den Boden fallen und winkt ab. Servietten-Müll wird morgen nicht mehr hier liegen; irgendwer muss diese Serviette aufheben. Das weiß ich und die Frau weiß es auch, aber offenbar ist es ihr egal. Die ganze Situation dauert keine 20 Sekunden. Später wird einer der Kellner die Serviette aufheben und sich nichts dabei denken – verglichen mit anderen Dingen ist das eine Kleinigkeit. Kann alles sein. Aus meiner Sicht ist ein derartiges Verhalten dennoch vollkommen ungehörig.

Im Schatten

Da wird ein Schwede, mal wieder, erst Olympiasieger im Stabhochsprung und verbessert dann seinen eigenen Weltrekord auf die beachtliche, wahnwitzige, fast unvorstellbare Höhe von 6,25m. Der Zweitplatzierte freut sich über 5,95m – ebenfalls sehr hoch, aber eben doch deutlich darunter. Und ich denke an die vielen Sportler, die irgendwie im Schatten anderer stehen.

Solange Manuel Neuer zwischen den deutschen Fußballpfosten hin und her springt, bleibt für Sven Ulreich (beim FC Bayern) und Marc-André ter Stegen (in der Nationalmannschaft) eben oft nur die Bank.
Und so sehr sie bewundert und geschätzt wird: So manche junge Frau wünschte sich vielleicht, nicht gerade zur selben Zeit wie Simone Biles nach Turn-Sternen greifen zu wollen …

Und das sind nur die, die es bis nach ganz oben schaffen. Wie viele großartige Sportler müssen sich mit dem Schattenplatz des Ewig-Zweiten zufriedengeben oder die (Ersatz-)Bank drücken? Der Unterschied zwischen Ruhm und Ehre auf der einen Seite und dem zweifelhaften Glanz des Vizes liegt wahrscheinlich selten an einem `nicht gut genug´. Manchmal ist es einfach nur unverschuldetes schlechtes Timing, das einem den Weg in die Sonne des Erfolgs versperrt.

Olympia

Was würden wir machen ohne große Sport-Ereignisse wie Olympia? Wir hätten mehr Zeit für laue Sommerabende auf der Terrasse und weniger Anlass für Nationalstolz; wir hielten uns selbst für ziemlich sportlich und wüssten weniger darüber, wie leistungsstark der menschliche Körper tatsächlich sein kann. Ob Sport uns interessiert oder nicht: Eine Olympiade ist eine tolle Sache!