Briefe – nicht abgeschickt

Manchmal schicke ich Briefe nicht ab. Wenn ich nicht ganz zufrieden bin mit ihnen oder unsicher, ob sie losgeschickt werden können. Was mache ich mit ihnen? Ich werfe sie nicht weg, ich verstaue sie irgendwo. Bisweilen finde ich einen Brief wieder und lese ihn noch einmal. Meist geht es mir dann immer noch so: Ich bin nicht ganz zufrieden oder unsicher, ob er so losgeschickt werden sollte. Noch immer kann ich den Brief schlecht wegwerfen. Warum?

Die nicht abgeschickten Briefe sind meist solche, in die sehr ehrliche Gedanken geflossen ist. Oft sind sie mir nicht leicht gefallen – und meist finde ich sie sprachlich sehr gelungen. Wenn ich sie wieder lese, ist es so, als würde ich mit mir selbst kommunizieren. Also hebe ich sie weiter auf.

Heute habe ich einen wiedergefunden, den ich fast gänzlich vergessen hatte. Ich habe ihn gelesen und zögere. Die Frage, für wen ich ihn aufhebe, kann ich nicht beantworten. Ich werde ihn wahrscheinlich trotzdem nicht wegwerfen. Komisch.

PS: Ich bin kein Messie …

Das letzte Wort

Diskussionen leben von Argumenten. Klar: Über Fakten kann man sich austauschen, über Befindlichkeiten weniger. Mir gehen leider oft die Argumente aus. Ich bin anders schlau. An Stelle von begründbaren Fakten gibt es bei mir etwas anderes. Intuition, Instinkt. Diese lassen sich manchmal nicht leicht in Worte fassen und sind daher nur wenig überzeugend. Leider. Dadurch stehe ich in kontroversen Gesprächen schnell – symbolisch gesprochen – mit dem Rücken zur Wand.

Dennoch bin ich genau wie jeder andere Mensch interessiert daran, das letzte Wort zu haben. Dieses ist aber oft denjenigen vorbehalten, die eben noch ein Argument aus der Tasche ziehen können. Weil ich nicht zu ihnen gehöre, ist mein letztes Wort des öfteren: „Ich weiß, was ich weiß.“ Und egal, wie oft mein Mann sagt, so könne man doch nicht argumentieren (weiß ich selbst), oder es mit einem milden Lächeln quittiert und sich seinen Teil denkt: Es ist manchmal meine Rettung; und ich verwende es nur, wenn ich überzeugt bin, dass mein Gespür in der Sache wirklich von Belang ist.

Bei Malcolm Gladwell, einem meiner Lieblingsautoren, hat dieses Phänomen sogar einen Namen: „The power of thinking without thinking.“

Über Menschentypen wie mich sagt er: „Did they know why they knew? Not at all. But they knew.“ Ich weiß, was ich weiß.

Fertig geredet

Manchmal diskutiere ich mit meiner älteren Tochter. Sie ist 14 und eine engagierte Gesprächspartnerin. Aufmerksam, schnell und selten um eine Antwort, Ausrede oder Erwiderung verlegen. Es gibt Gespräche, in denen bringe ich sie dennoch zum Verstummen. Fast immer hängt es zusammen mit einer Aufgabe, die sie noch nicht erledigt hat. „Warst du letzte Woche mit dem oberen Bad dran?“ Was folgt ist unbeschreiblich. Ihr Mund schließt sich, die Augen sind weit geöffnet, die Haut strafft sich irgendwie: Einen Moment steht alles still. Ich nenne es ihr Wahrheitsgesicht. Sie redet nicht mehr, aber ihr Gesicht spricht Bände.

Entwaffnet – verbal

„Eine linde Antwort stillt den Zorn; aber ein hartes Wort erregt Grimm.“
Sprüche 15, 1

Es gibt wiederkehrende Gesprächsmuster bei uns: Ich bitte meinen Mann um die Erledigung einer – meist handwerklichen – Gefälligkeit. Er sagt, ich solle ihm einen Zettel schreiben. Eine Weile geschieht nichts. Einige Zeit später bringe ich mein Anliegen nochmals vor – mit mäßigem Erfolg. Schließlich suche ich das Gespräch oder besser die Auseinandersetzung und bereite mich innerlich vor aufs Schimpfen. Ich hole tief Luft und möchte mich aufregen darüber, dass eine Sache von zehn Minuten drei Anläufe von mir braucht. Und mein Mann? Entwaffnet mich. Mit einem Satz: „Süße, ich mach´ das am besten gleich – es gibt Dinge, die sollte man sofort erledigen!“

Uneindeutig und unverbindlich

Die digitale Kommunikation der jungen Menschen in unserem Haus erscheint uns Eltern als sehr uneindeutig und unverbindlich. Plus: Beide Attribute sind für uns negativ belegt.

Uneindeutig: „Saufen“ zum Beispiel ist ein Wort, hinter dem sich sowohl das nette Zusammensein bei einem alkoholfreien Bier verbirgt als auch das sinnfreie Trinkgelage, das ich damit verbinde. „Saufen“ kann alles sein. Wenn ich das weiß, klingt „Saufen macht Bock“ nicht mehr so schrecklich hohl.

Unverbindlich: „Mama! Wenn man sich im letzten Moment erst festlegt, bleibt viel Raum für Spontaneität. Hauptsache, alle sind sich einig, unverbindlich zu sein.“

Von der Seite hatte ich das noch nie betrachtet.

Gesprächsfluss

Mein großer Sohn ist ein guter Beobachter, sensibel noch dazu. Nach einer von ihm beobachteten Begegnung bemerkte er kürzlich: „Papa, wenn du immer `Warum?´ fragst mittendrin, dann unterbricht das den Gesprächsfluss. Du kannst doch einfach mal zuhören und nicken – auch wenn der andere Mist erzählt.“ Er hat recht, Nachfragen unterbrechen den Gesprächsfluss. Und in dem speziellen Fall war der Gesprächspartner einer, den der Einwurf `Warum siehst du das so? Ich sehe das anders.´ aus dem Konzept gebracht und verunsichert hat.

Wie geht es mir damit? Ich wünsche mir eine ehrliche Reaktion. Ich wünsche mir aber auch eine mir angenehme, liebevolle Reaktion. Eine Bestätigung meiner Kommentare ist angenehm. Aber ist das `Lass sie nur reden …´ in den Gedanken meines Gegenübers wirklich liebevoll? Auch wenn ich es nicht mitbekomme? Will ich es immer wissen, wenn ich Quatsch erzähle, gedankenlos daherrede, unüberlegt (und vielleicht unbewusst) beurteile?

Von Sokrates stammt der Rat, dass alles, was gesagt wird, durch drei Siebe gehen soll: Ist es wahr, ist es gut, ist es nötig? Das ist sicher eine hilfreiche Richtlinie für jedes Gespräch. Nur: Was mache ich, wenn wahr und gut einander auszuschließen scheinen? Wenn der andere meine gütige Zurechtweisung gar nicht als gut empfinden kann, sondern sich zurückgewiesen und nicht wertgeschätzt fühlt? Dann muss ich ihn vielleicht einfach mal in den Arm nehmen.

Vom Miteinander

„Wir können nicht miteinander reden.
Wir können nicht miteinander.
Wir wollen nicht.“

An dem Punkt kann der einzige Ausweg sein, dass einer einen Schritt macht – weg vom WIR – und sagt:

„Ich will versuchen, mit dir zu reden.
Ich will es versuchen mit dir.“

Dann besteht eine große Chance, dass der andere reagiert:

„Ich auch.“

Von hier ist es nicht mehr so weit zu:

„Wir wollen.
Wir wollen miteinander.
Wir können miteinander reden.“

Fazit: Der erste Schritt ist der halbe Weg!

Was wir in Gesprächen finden – manchmal

„Ein jeder hat zuerst in seiner Sache recht; kommt aber der andere zu Wort, findet sich´s.“
Sprüche 18, 17

Findet sich`s? Das kann ich nicht bestätigen. Solange ich mich nur mit mir selbst unterhalte – vielleicht. Da habe ich recht, ist alles logisch und ganz einfach. Sobald ich anderen Gesprächszeit einräume, wird es komplizierter. Da wird widersprochen, unangreifbar argumentiert, aus einem mir fremden Blickwinkel betrachtet oder einfach aneinander vorbei geredet. Da findet sich dann gar nichts mehr – am wenigstens ein gemeinsamer Nenner.

Gute Kommunikation ist kein Selbstläufer, jedenfalls nicht bei uns im Haus: Wir provozieren, was das Zeug hält, geben nur ungern nach, unterbrechen lautstark und oft. Von „findet sich´s“ keine Spur. Erst nach langer Suche und erbitterten Kämpfen kommen Einigungen zustande: „Geh endlich raus aus meinem Zimmer!“ „Warum?“ „Geh einfach raus!“

Aber auch wir erleben Sternstunden. Eine unserer Töchter, die Kaninchenbesitzerin, geht nicht so gern allein in den Keller und noch weniger gern im Dunkeln raus zum letzten Füttern. „Kommt einer mit?“, fragt sie dann. Es kann Streit gegeben haben vorher oder auch gleichgültiges Stillschweigen. Einer geht immer mit, keiner lacht sie aus, keiner überlässt sie ihrer Angst – da findet sich´s dann doch: Die Liebe zu ihr, das Verständnis für sie, die Hilfe in ihrer Not: „Los, ich komm´ mit!“

Alleinunterhalter

Die Frau, die ab und an meine Zähne reinigt, ist geduldig. Und kommunikationsfreudig, auch wenn ich manchmal nicht antworten kann. „Mmh, mmh“, „Häh?“, so oder ähnlich lauten die meisten meiner Kommentare zu ihren Informationen. Nicht dass mich nichts davon interessiert, was sie erzählt. Aber es ist nun einmal schwierig, mit geöffnetem Mund klar zu artikulieren. Zudem halten sich die Möglichkeiten in Grenzen, selbst richtungsweisend ins Gespräch einzugreifen. Sehr bedauerlich. Bevor ich etwas sagen kann, ist sie schon beim nächsten Thema – dabei hatte ich zum ersten noch einen richtig guten Gedanken.

Wahrscheinlich fehlen ihr meine Kommentare überhaupt nicht. Sie ist es gewohnt, dass ihre Patienten wenig bis gar nicht reden. Sie rechnet mit meiner Sprachlosigkeit und wirkt so, als könne sie besser damit leben als ich.

Erwartungen sind toll – und anstrengend.

Vor einer Woche habe ich einen Brief geschrieben, ehrlich und herausfordernd. Seither warte ich auf eine Antwort, ich erwarte eine Antwort. Ich denke,  ich bin ganz offen für jede Reaktion meines Gegenübers. Aber ich rechne damit, dass überhaupt etwas zurückkommt. Bisher bin ich enttäuscht.

Bei jedem Gespräch, das ich anfange: Irgendetwas erwarte ich immer. Dass man mir zuhört, dass sich Fragen klären oder eine Diskussion angestoßen wird. Dass Beziehung entsteht. Manchmal werde ich enttäuscht, manchmal befriedigt. Je festgelegter meine Erwartung ist, umso leichter kann ich enttäuscht werden – negativ ausgedrückt. Je klarer meine Erwartung ist, umso mutiger bin ich – positiv ausgedrückt.

Auf der anderen Seite: Wenn mich jemand etwas fragt oder bittet, fühle ich mich unter Druck gesetzt – negativ ausgesetzt. Oder aber ich bin dankbar für die Klarheit in der Formulierung – positiv ausgedrückt.

Wie frei ich bin, wie stark ich bin, wie genau ich mich kenne und weiß, was ich will: All das bestimmt meine Antwort auf eine Anfrage. Entspreche ich dieser oder lehne ich sie ab? Winde ich mich wortgewaltig nichtssagend oder ignoriere ich?

Ich muss zugeben, dass ich es schöner finde, wenn meinen Erwartungen entsprochen wird. Auf Ablehnung bin ich schlecht vorbereitet. Anders herum kann ich schlecht „Nein“ sagen, auch wenn das meine ehrliche Antwort ist. An Gelegenheiten zum Üben mangelt es nicht: Fast täglich werde ich konfrontiert mit dem, was der Brite so schön „conflict of interests“ nennt. Es scheint ein normaler Zustand zu sein, sobald Menschen irgendwie miteinander in Kontakt treten. Trotzdem macht mich das Warten dieses Mal ganz kribbelig. Je länger ich ohne Antwort bleibe, umso größer wird die Sache, um die es in meinem Brief ging. Damit hatte ich am allerwenigsten gerechnet!