Ich weiß (wenigstens), dass ich nichts weiß!

Ein hochrangiger Politiker gibt ein Interview. Da er auch `Lehrer ist´, gehen einige Fragen natürlich in Richtung Schule – ohnehin ein beliebtes Thema. Manches finde ich gut:
dass er zum Beispiel meint, Lehrer zu sein, sei heute schwieriger als früher.
Eine ganze Reihe seiner `guten Ratschläge´ finde ich weniger gut:
dass es öde sei, wenn Lehrer heutzutage immer wieder nach mehr Lehrern und kleineren Klassen riefen;
dass Medien in die Schule gehörten, damit Kinder verständen, was jetzt `Welt´ bedeute und wie man sich verlässlich informiere;
dass wir mehr Ganztag bräuchten und fächerübergreifendes Lernen;
dass Rechtschreibung ebenso unnötig sei wie eine zweite Fremdsprache – schließlich gebe es korrigierende Schreibprogramme und Handys, die in Echtzeit `übersetzen könnten´. 

All das kann ich nicht teilen; aber natürlich bin ich keine Lehrerin, also ohne Expertise, und werde nicht gefragt. Spaßeshalber erlaube ich mir, nachzuschauen, wie lange und wann dieser Berufspolitiker als Lehrer tätig war: mit Unterbrechungen von 1988 bis 1995 – danach nicht mehr. Aha. Unwillkürlich fällt mir ein anderer Berufspolitiker ein, der mal Medizin studiert, aber nie als Arzt praktiziert hat. Auch er wird (noch Jahrzehnte später) um seine ärztliche Meinung gebeten, als wäre einmal erworbenes Wissen ewig abrufbar.

Mich überzeugt derartige Expertise jedenfalls nicht und das hat einen Grund: Nur weil ich fünf Kinder habe, werde ich in 30 oder 40 Jahren nicht automatisch Expertin in Sachen `Mutter kleiner Kinder´ sein. Das hatte sich schon erledigt, als mein Jüngster neun Jahre alt war: Damals wollte ich die dreijährige Tochter unseres Besuchs allein auf die Straße schicken, um meinen Kleinen zu suchen … Auch mein Wissen als studierte Agraringenieurin qualifiziert mich nicht dazu, Landwirten Ratschläge zu geben.

Ich weiß, wovon ich rede, wenn ich sage, dass Expertenwissen ohne direkten Praxisbezug eben keins ist. Stattdessen sollte man lieber diejenigen fragen und zu Wort kommen lassen, die ihren Job tatsächlich erledigen!

Meine Story des Tages

In unserer Tageszeitung steht ein langer Artikel; er gefällt mir. Es geht darum, dass die beiden Vorreiter-Länder der digitalen Schule, Schweden und Dänemark, inzwischen längst zurückrudern und wieder auf Bücher und Papier setzen. Das freut mich sehr: auch, dass es bei uns in der Zeitung steht.

Was wurden und werden wir belächelt als die ewig Gestrigen – die Spaßbremsen! – weil wir unseren Kindern erst spät ein Handy erlaubt haben und Wert auf altmodisches Zeug legten und legen: Bücher lesen und eine ordentliche Handschrift zum Beispiel. Unsere Skepsis sei unpopulär und unvernünftig, hieß es immer wieder, die digitale Technik komme sowieso („später tippen sie alle“) und lasse sich nicht aufhalten. Als wäre das ein hinreichendes Argument dafür, das Unaufhaltsame dann auch noch gutzuheißen und jeden Trend kritiklos mitzumachen, anstatt sich selbst eine Meinung zu erlauben!

In dieser `story des Tages´ wird die Bewertung der nationalen Digitalisierungsstrategie in Schweden erwähnt. In ihr heißt es unter anderem: „Je mehr Computer es in den Schulen gibt und je öfter sie eingesetzt werden, desto schlechter.“ Der Bildungsminister Dänemarks hat sich sogar entschuldigt bei einer `Generation digitaler Versuchskaninchen´. Sicherlich gibt es andere Experten und Studien, die das Gegenteil behaupten. Diese müssen herhalten als Begründung für die digitale Aufrüstung an deutschen Schulen – weil wir ja `so hinterherhinken´ in dem Bereich.

Ich aber bewundere die ehrliche (und mutige) Kehrtwende der Skandinavier, die erkennen: „Wir brauchen eine gute Balance zwischen digitalen und analogen Medien.“ Sie ist mir lieber als die anhaltende Glorifizierung der Digitalisierung als DAS Allheilmittel für eine erfolgreiche Ausbildung unserer Kinder. Generationen vor uns waren nicht weniger schlau als wir, nur weil sie mit Buch, Stift und Papier zur Schule gingen. Auch ihretwegen tummelt sich so viel gesammeltes Wissen: ja, auch im Internet. Es lässt sich nicht vererben, sondern nur erwerben – und dafür müssen Menschen noch selber denken und sich Fähigkeiten aneignen, oft mühevoll.

Das Wissen, meine Meinung

Es scheint zum guten Ton zu gehören, immerzu und über alles Mögliche informiert zu sein: Dazu lesen wir Zeitung (auf Papier oder im Internet), hören Radio und schauen Nachrichten im Fernsehen. Manche gönnen sich nicht einmal im Urlaub eine Pause davon. Am Ende jedes Tages meinen wir, eine Menge zu wissen – und bilden uns eine Meinung. Aber jemand mit genau denselben Informationen kann komplett andere Schlüsse ziehen! Grund ist der sehr subjektive Bezugsrahmen jedes Menschen, das eigene Wertesystem, in das wir alle Informationen einpassen – vor allem unbewusst.

Am regelmäßigsten lese ich in der Bibel: investiere also in meine Werte. Hinsichtlich der weltweiten Nachrichten informiere ich mich dagegen vergleichsweise mäßig und erlaube mir trotzdem meine ganz persönliche Einstellung. Ich schätze, auch ein Mehr an Wissen sorgt nicht notwendigerweise für mehr Objektivität – und schon gar nicht für mehr Lebensschläue. Denn wie heißt es so schön? Wissen schützt vor Torheit nicht!

Ich weiß – fast nichts

„So viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.“
Jesaja 55, 9

Dieses Jahr ist ein gutes Pilzjahr, habe ich mir sagen lassen und sehe es auch selbst auf meiner Runde durch die Feldmark. Aus einem Fach-Artikel weiß ich, dass wir den Begriff `Pilz´ eher falsch verwenden: Was ich (und die meisten) damit meine, ist `nur´ der Fruchtkörper. Darunter/dahinter verbirgt sich viel mehr. In dem Artikel steht auch, dass Pilze weder Pflanzen noch Tiere sind und noch viel mehr – wovon ich fast nichts weiß.

In unserer Siedlung kenne ich mich aus: Der Straßenverlauf und die Häuser sind mir vertraut; oft kenne ich die Bewohner vom Sehen. Allerdings betrifft das nur die Fassade sowohl der Häuser als auch der Menschen. Hinter den Haustüren verbergen sich Lebenskonzepte, hinter den Gesichtern der Leute Erfahrungen, Gedanken und Gefühle – von denen ich fast nichts weiß.

Vor einigen Wochen war ich im Bodensee schwimmen. Das Wasser war kühl, die Luft warm. Nur ein paar Meter vom Ufer entfernt konnte ich unter mir nichts mehr erkennen. Der Bodensee ist teilweise sehr tief und bewohnt von Pflanzen und Tieren. Ich erinnere mich an das erfrischende Gefühl und die leichten Wellen; aber von dem, was sich im See befindet und abspielt, weiß ich fast nichts.

Ich gehe mit offenen Augen und Ohren durch mein Leben und denke über viele Dinge nach. In der Mitte meines Lebens habe ich eine gewisse Lebenserfahrung, mühe mich, andere zu verstehen, und hinterfrage häufig meine eigene Motivation. Dennoch reagiere ich für mich selbst befremdlich, wenn ich (vielleicht vermeintlich) starken Personen begegne: Von dem, was mich im Innersten herausfordert (und warum), weiß ich (leider noch immer) fast nichts. 

„Haltet euch nicht selbst für klug.“
Römer 12, 16b