Wichtig

Wer ist wichtig für mich? Nicht derjenige, der sich darauf konzentriert, wichtig für mich zu sein, sondern derjenige, der sich auf das konzentriert, was mir wichtig ist.

Auch wichtig

Wir pflegen unsere Haut, unseren Garten und unsere Freundschaften, achten auf unsere Ernährung und unser Gewicht, treiben Sport und halten uns körperlich fit, trainieren unser Gedächtnis und bilden uns weiter, reinigen unser Haus, unsere Zähne und unsere Kleidung, sind bemüht, einen guten Eindruck zu hinterlassen …

Wie viel wichtiger wäre es, wenn wir uns ebenso sorgfältig um unser Innenleben kümmerten, indem wir: darauf achten, womit wir unseren Geist füttern, unsere Gedanken rein halten (von Sorgen, Ärger und Neid) und uns bemühen, anderen respektvoll, wertschätzend und ermutigend zu begegnen.

Wichtig

Bein uns um die Ecke öffnet ein Schreibwarenladen mit Post-Filiale um 9 Uhr. Heute Morgen – kurz vor 9 – warf ich einen Brief in den Briefkasten; einige Leute standen vor der Tür. Einer der Wartenden klopfte ungeduldig an die Scheibe: `Wenn 9 Uhr dran steht, muss die Tür pünktlich um 9 Uhr aufgeschlossen werden´, schien der Mann zu denken. Klar, so ist das – in Deutschland jedenfalls.

In einigen afrikanischen Ländern läuft es anders. Eine Freundin von mir hat einige Jahre an der Elfenbeinküste gelebt. Zeitangaben orientieren sich an dem Grundsatz: `Komm ich jetzt nicht, komm ich später – es sei denn, ich habe Gäste!´. Es ist dort nicht so wichtig, pünktlich zu sein – `gastfreundlich´ ist viel wichtiger.

Im Supermarkt wird eine zweite (oder dritte) Kasse geöffnet, wenn mehr als drei, vier Leute anstehen. Nicht selten geht dem ein ungeduldiges „Zweite Kasse bitte!“ eines Kunden voraus. Die Kassiererin arbeitet zügig und ohne Pause – es geht darum, schnell fertig zu werden. Klar, so ist das – in Deutschland jedenfalls.

Eine Bekannte kommt ursprünglich aus Brasilien; im vergangenen Jahr war sie in ihrer alten Heimat. Im Supermarkt fiel ihr auf: Der Kassierer ließ sich Zeit und redete währenddessen ausführlich mit jedem Kunden. Niemand in der Schlange nahm daran Anstoß oder wurde ungeduldig – die Wartenden nutzten die Zeit ebenfalls für ein Gespräch. Es ist dort nicht so wichtig, schnell fertig zu werden – `entspannt´ ist viel wichtiger.

Ein Hobby

„Ich habe keine Zeit für ein Hobby“, sagt eine Bekannte in einer Vorstellungsrunde mit zehn Frauen. Schade ist das, finde ich, auch wenn ich ahne, wovon sie spricht: Alleinerziehend mit drei kleinen Kindern bleibt nicht viel Zeit für sie als Mensch. Dennoch würde ich gern widersprechen, lasse es aber. Zu sehr macht jeder seine eigenen Erfahrungen und mag sich diese nicht absprechen lassen. Ich denke zurück an die Zeit, als ich fünf kleine Kinder hatte, von denen das älteste gerade in die erste Klasse ging. Auch für mich war diese Lebensphase herausfordernd und zeitfressend. Ganz ohne Hobby fühlte ich mich dennoch nicht. Vielleicht war ich egoistisch; aber was mir wirklich wichtig war, baute ich irgendwie ein in meine Tage: Beim Laufen begleitete mich fast immer ein Kind – selbst radelnd oder geschoben im Kinderwagen. Geschrieben habe ich abends oder in der Mittagspause, ausgiebig gelesen selten oder nachts – und war dann am nächsten Tag entsprechend müde.

Heute sind die Kinder größer, meine Zeit ist anders gefüllt. Noch immer laufe, schreibe und lese ich gern, vielleicht etwas intensiver als früher. Ein weiteres Hobby ist nicht dazugekommen; mit dem Reiten bin ich noch in der Probephase. Ob daraus ein Hobby wird, wird sich zeigen. Nur was mir wirklich wichtig ist, werde ich dauerhaft einbauen in meine Tage.

Ein alter Brief

Meine Mutter schickt mir einen 22 Jahre alten Brief von mir. Damals lebte ich anders als heute, aber es waren mir dieselben Dinge wichtig – oder einen Brief wert: Ich berichte nicht nur von einer stressigen Situation, sondern auch, wie ich diese empfand und darauf reagierte. „Ich war die ganze Zeit ganz ruhig; ich wusste, ich kann das schaffen – das tat richtig gut“, lese ich. Es geht mir heute noch genauso: Wenn es brennt, werde ich ruhig und tue etwas.

Natürlich ist dieser eine Brief nur eine Momentaufnahme; dennoch bestätigt er, was ich schon länger denke: Wir bleiben uns selbst treu – so sehr die Jahre, das Leben und unsere Beziehungen uns auch prägen, zurecht schleifen und verändern. Im Kern bleiben wir, wer wir sind. Wahrscheinlich tritt unser wahres ICH mit den Jahren sogar deutlicher hervor. Scheinheiligkeit und Oberflächliches verschwinden – jedenfalls hoffe ich das. Je älter wir werden, umso bedeutungsvoller werden zwei Dinge: Wir wollen authentisch leben und uns auf das Wichtige konzentrieren.

Wichtig

Zur Zeit reduzieren wir alles auf das Nötigste – Kontakte, Kultur, Konsum, Bildung… Was analog nicht möglich ist, ersetzen wir teilweise digital oder streichen es ersatzlos. Dadurch merken wir zweierlei: dass nichts wirklich selbstverständlich und nicht viel wirklich wichtig ist.

Nicht selbstverständlich? Diese Erfahrung ist grundsätzlich gut und öffnet uns die Augen: Wir werden dankbar für das, was wir normalerweise gar nicht mehr als besonders wahrnehmen.

Nicht wirklich wichtig? Wir brauchen wenig, um glücklich und zufrieden zu sein. Wenn wir ehrlich sind, gilt das nur für kurze Zeit. Langfristig möchten wir so nicht leben – reduziert auf das wirklich Wichtige. Denn die scheinbar nicht wichtigen Dinge sind wunderbar und machen unser Leben bunt und leicht und fröhlich.

Was ist schon (un)wichtig?

Ich merke mir Telefonnummern, Geburtstage sowie diverse Termine und habe im Supermarkt meinen Einkaufszettel im Kopf, auch wenn dieser tatsächlich zu Hause auf dem Küchentisch liegt. 

Worüber wir uns abends streiten, habe ich morgens wieder vergessen. 

Wichtige Dinge merke ich mir, die unwichtigen vergesse ich – was will ich mehr?!

Nicht das Wichtigste!

Mein Sohn sieht mich fragend an, als ich kurz nach dem Weggehen wieder ins Haus stürme. „Ich habe das Wichtigste vergessen“, erkläre ich. „Die Maske?“, fragt er zurück. Innerlich zucke ich zusammen und denke: ´Nein, die Maske war nie, ist nicht und wird nie das Wichtigste für mich sein.´

In diesem Fall meine ich den Einkaufszettel, der auf dem Küchentisch liegt – noch vor einem halben Jahr wäre dieser auch meinem Sohn als erstes eingefallen. Wie die Zeiten sich ändern!

Dringlich oder wichtig?

„Ich kann es mir nicht leisten, schlechte Qualität zu kaufen“, sagt jemand, den ich schätze. „Ich kann es mir leisten, manche Dinge gar nicht zu kaufen“, sage ich. Wie viel wir besitzen und wie wenig davon wir wirklich nötig haben – dazwischen lebt und herrscht der Gott des Konsums!

Werbung richtet sich an unser Empfinden für „wichtig“ und „dringlich“: „Dies und das ist wichtig für dich! Du solltest dem ersten Kaufimpuls nachgeben und heute noch zuschlagen, ein solches Angebot kommt so schnell nicht wieder.“ Dabei ist Eile kein guter Ratgeber. Je länger ich ohne etwas auskomme, umso weniger dringlich wird mir die Anschaffung selbst…

Was ich alles besitzen würde, wenn ich immer dem ersten Kauf-Impuls gefolgt wäre – eine Menge Zeug. Was ich mir alles leisten kann (aber nicht muss), weil ich dem ersten Kauf-Impuls nicht gefolgt bin – auch eine Menge Zeug. Beide Mengen haben glücklicherweise nichts zu tun mit der Befriedigung meiner wirklich wichtigen Wünsche…