Er ist dann mal weg!

Luftlinie sind es 7.442,4 Kilometer von Celle in Deutschland nach Chingola in Sambia. Dort wird mein Sohn die nächsten elf Monate verbringen; das ist weit weg und klingt nach einer langen Zeit. Ich kann ihm nicht helfen, wenn er Hilfe braucht – aber das ist manchmal ebenso, wenn er neben mir steht. Wir werden nicht persönlich miteinander sprechen oder uns in den Arm nehmen können – aber das liegt nur an der Entfernung und hat nichts mit unserem Verhältnis zu tun. Er wird Dinge erleben, von denen ich keine Ahnung habe, und Probleme selbst lösen müssen, die mich nicht betreffen. Und ein wenig wird er uns (digital) daran teilhaben lassen, das reicht.

Bliebe er innerhalb Deutschlands, wären wir räumlich dichter beieinander. Für ihn wäre das leichter – einerseits: Er könnte unkomplizierter auf uns zurückgreifen und würde das auch tun. Am anderen Ende der Welt ist er dagegen auf sich selbst zurückgeworfen und muss sich sein eigenes soziales Netz neu schaffen. Das ist zunächst fremd und mühsam. Andererseits schaut er über seinen persönlichen Tellerrand und darf sich ausprobieren: Fern der Heimat ist er ein unbeschriebenes Blatt und kann Kontakte knüpfen, die mit dem Bisherigen nichts zu tun haben. Er ist so frei, wie er es jetzt gerade mal sein kann. Was für eine tolle Gelegenheit!

Ich gönne meinem Sohn die Zeit und freue mich auf unser Wiedersehen in elf Monaten. Das klingt nur lang, ist es aber nicht: Die letzten 19 Jahre mit ihm sind schließlich auch wie im Flug vergangen.

Der Weg und das Ziel

Es ist gut, ein Ziel zu haben und darauf fokussiert zu sein – darin sind Männer tendenziell besser als Frauen. Ich als Frau (dagegen) empfinde Ziele eher als grobe Richtungsangabe: Sie lassen sich theoretisch klar benennen, werden aber in der Praxis manchmal von realen Umständen `vernebelt´. Der Weg dagegen ist für mich sehr konkret und deutlich mehr als ein zu bewältigendes Hindernis, um das eigentliche Ziel zu erreichen. Meist bin ich viel länger `unterwegs´ als `am Ziel´. Auf dem Weg kann und muss ich flexibel sein; er ist DAS unverzichtbare Mittel zum Zweck. Denn: Vor dem Ziel kommt IMMER der Weg.

Sie ist weg

In einem Schreibwaren-Geschäft bei uns in der Stadt gab es einen Inhaberwechsel. Zwei Wochen war der Laden deswegen geschlossen; in der Zeit wurde renoviert und umgebaut – jetzt ist alles ein bisschen übersichtlicher und wirkt großzügiger. Das Sortiment ist ähnlich geblieben, bis auf einige außergewöhnliche (Deko-)Artikel. Diese fehlen mir nicht: Was ich brauche, bekomme ich nach wie vor. Dennoch vermisse ich etwas – es scheint, als hätte das Geschäft seine Seele verloren. Ist es eine Frage der Gewöhnung? Ich weiß es nicht. Die vorherige Inhaberin erfüllte dieses Geschäft in ganz besonderer Weise – sogar wenn sie manchmal nicht anwesend war. Erst jetzt, da sie sich endgültig verabschiedet hat, spüre ich traurig: Sie ist weg.

Der halbe Weg

„Der erste Schritt ist der halbe Weg“, heißt es. Stimmt. Ganz oft jedenfalls. Es ist keine Schande, wenn dieser einem schwerfällt. Unterwegs stellt man dann sehr oft fest: „Der Weg ist das Ziel.“ Und das Zögern vor dem ersten Schritt erscheint einem im Nachhinein unnötig. Einmal losgegangen entsteht eine eigene Dynamik. Einmal angekommen ist die Freude kurz – ein Ziel ist kein Ort zum Verweilen. Aus der schwierigen Entscheidung vor dem ersten Schritt wird im Nachhinein manchmal der – leicht arrogant klingende – Satz: „Kenn ich, weiß ich, war ich schon.“

Dabei überbewertet man dadurch vielleicht das Ziel – obwohl das „Dahinkommen“ viel länger dauert, uns viel mehr prägt, von viel größerer Bedeutung ist.