Warten oder erwarten?

„Aber die auf den Herrn harren kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“
Jesaja 40, 31

Ich warte täglich darauf, dass Gott in meinem Leben wirkt – und erlebe das als herausfordernd und entspannend zugleich. Auf etwas zu warten ist ein äußerst aktiver Vorgang – und sehr offen. Ich müsste nicht warten, wenn ich allein weiterkäme oder `schon Bescheid wüsste´. Was auch immer passiert, kann mich überraschen: ein Paket in der Post, eine Antwort auf eine Frage, ein Rat oder Hilfe, dass etwas gelingt oder wie ich mit Schwierigkeiten umgehe.

Etwas Bestimmtes zu erwarten ist ebenso aktiv – aber sehr festgelegt. Ich weiß eigentlich schon, was ich will, und möchte nicht überrascht werden: Werden meine Vorstellungen nicht erfüllt, bin ich enttäuscht. Im schlimmsten Fall erwarte ich dann (täglich?), dass mein Leben anders wird, als es ist. Mich würde das nicht beflügeln, sondern ermüden.

Warten im Supermarkt

Letztens habe ich viel eingekauft. Die Kasse war leer, ich konnte gleich alles aufs Band legen. Die Kunden nach mir – ein älteres Ehepaar im Rentenalter – riefen umgehend nach einer zweiten Kasse. Es dauerte ein bisschen. Eine zweite Kassiererin kam nicht so schnell wie von den Kunden gewünscht. „Welche Kasse öffnen Sie denn?“, in der Frage schwang einiges mit: Eile, Hektik, Ungeduld.

Ich kann es verstehen, ein bisschen: Auch für mich gibt es Schöneres als einzukaufen. Ich lese lieber ein Buch oder gehe eine Runde joggen. Andererseits ist das Einkaufen von Lebensmitteln keine Strafe, sondern ein Privileg: Es gibt ALLES! Das Endergebnis ist wunderbar, denn ich hole nach Hause, was uns schmeckt und satt macht. Wahrscheinlich ist es gar nicht das Einkaufen selbst, was die Leute schnell hinter sich bringen wollen. Die Eile kommt erst in dem Moment, in dem es ans Warten geht. Warten an der Käse- oder Fleischtheke, warten an der Kasse.

Ich möchte diese Wartezeit an sich nicht als „verbrannte Lebenszeit“ verstehen. Manchmal rede ich mit einer Verkäuferin, einer anderen Kundin oder der Frau an der Kasse. In aller Ruhe – ich hatte schon sehr freundliche Begegnungen mit Menschen, die dort arbeiten oder selbst einkaufen. Es ist nicht schlimm, dass wir uns treffen; es kann sogar schön sein. Und selbst wenn ich nur warte, empfinde ich die Zeit nicht als verloren. Ich erlebe sie als einen Moment des Innehaltens. Das bekommt mir besser, als wenn ich der Ungeduld in mir Raum gebe.

Ich schätze, ich brauche kaum länger fürs Einkaufen als diejenigen, die schnell nach einer zweiten Kasse rufen. Letztlich ist es mir egal: Einkaufen und das damit verbundene Warten gehören zu meinem Leben dazu – wie lesen und joggen.