Vermeintlich?

In einem Gespräch über mein Studium formuliert meine Mutter, das mit meiner Berufswahl sei ja `komplett in die Hose gegangen´. Sie meint damit nicht, dass ich es schlecht abgeschlossen hätte – aber ich habe nie in diesem Beruf gearbeitet. Dennoch erscheint mir ihre Bewertung etwas krass; ich sehe es (mittlerweile) ganz anders: Wege sind nicht erst dann erfolgreich beschritten, wenn wir ein bestimmtes, vorher anvisiertes Ziel durch sie erreichen. All meine Schritte bisher (auch die vermeintlich erfolglosen) haben mich zu der gemacht, die ich bin – und für das befähigt, was ich jetzt tue.

Eine Freundin von mir ist Kinderärztin und arbeitet seit über 20 Jahren als Assistenzärztin in verschiedenen Krankenhäusern. Kaum einer tut das so lange, die meisten zweigen vorher ab – in Richtung Oberärztin oder Chefärztin –, steigen in eine Praxis ein oder eröffnen selbst eine. Meine Freundin macht das, was sie macht, sehr gut; sie hat keine Ambitionen, Oberärztin zu werden. Dennoch spürt sie manchmal sehr deutlich, dass sie dem `normalen Karriereweg´ kaum entspricht. Aber all ihre Schritte bisher (auch die vermeintlich erfolglosen) haben sie zu der gemacht, die sie ist: erfahren, lebensfroh, unkompliziert und sehr unprätentiös.

Es ist gut, ein Ziel zu haben und dieses dann auch zu erreichen. Mindestens genauso gut ist es, den Platz gut auszufüllen, an dem man sich eben gerade befindet. Das kann ein anerkannter Beruf sein, eine Beförderung, ein Titel oder ein bestimmtes Zertifikat, aber auch das 08/15-Leben einer nicht berufstätigen Hausfrau und Mutter. Nicht hilfreich ist es (wie immer), wenn wir den eigenen Erfolg daran messen, was andere – mit derselben Ausbildung, in demselben Alter – vermeintlich alles erreicht haben. (Und ich weiß, dass meine Mutter das bestätigen würde.)