Die Größe eines Großen

Das Grab Friedrichs des Großen liegt unauffällig an der Seite des Schlosses Sanssouci. Erst wenn man direkt davor steht, kann man die Inschrift auf der Grabplatte lesen – und sieht, dass hier ein König begraben ist. Wie nebensächlich sieht diese letzte Ruhestätte aus, was wohl genau in Friedrichs Sinne ist: Neben seinen Hunden wollte er begraben werden, möglichst bei Nacht mit kleinstem Gefolge im Schein einer Laterne. Letztlich ist es fast genau so gekommen – allerdings erst 200 Jahre nach seinem Tod und nicht ganz so unbemerkt.

Ich stehe an seinem Grab und bin ein bisschen stolz auf dieses Erbe: Wenn einer der bekanntesten preußischen Könige die Größe hat, auf Pomp und Trara zu verzichten, komme ich gern aus Preußen!

Bescheiden oder stolz?

„Der Mensch sieht, was vor Augen ist; der Herr aber sieht das Herz an.“
1. Samuel 16, 7

In unserer Gemeinde hat fast jeder eine Aufgabe. Da sind zum Beispiel das Küchenteam, die Musiker und die Leute an der Technik. Einer hat das Geld im Blick, andere Mitarbeiter organisieren das Kinderprogramm, einige predigen. Wir alle halten regelmäßig das Gebäude in Schuss, zwei Handvoll kümmern sich betend um die innere Ordnung. Jeder trägt seinen Teil dazu bei, dass die Gemeinde lebt – äußerlich und innerlich. Dabei kommt uns die eine Aufgabe vielleicht bedeutsamer vor als die andere, aber Gott hat eine gänzlich andere Perspektive. Für ihn ist unsere Einstellung entscheidend als das, was wir tun: Ich kann mich fröhlich und bescheiden einbringen oder innerlich voller Stolz auf meinen Dienst sein. Der menschlich verständliche Gedanke `Ohne mich läuft hier nichts!´ ist nicht nur falsch, sondern auch vollkommen kontraproduktiv. Denn letztlich schadet er der Gemeinde (innerlich) mehr, als mein Tun ihr (äußerlich) nützt. Denn: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?“ (Matthäus 16, 26) Das gilt für den Predigtdienst, der viele inspiriert, ebenso wie für die sehr vergängliche Tätigkeit des Putzens, die niemand sieht.

Stolz

`Stolz´, das habe einen negativen Touch, schreibt mir eine Freundin. Für sie schwinge da eine gute Portion Überheblichkeit, Unbelehrbarkeit oder auch Unnahbarkeit mit. Stolz entspränge einem Vergleichsdenken, bei dem man selber gut abgeschnitten habe. Sie hat Recht – aber das ist nur die halbe Wahrheit, finde ich.

Stolz hat für mich auch einen sehr positiven Aspekt. Er hat etwas mit Selbstachtung zu tun und mit einer Würde, die man sich nicht nehmen lässt. Solch ein Stolz ist eine innere Stärke und zielt nicht darauf ab, sich besser zu fühlen als andere. Diese Form von Stolz bewundern Mitgefangene an Dietrich Bonhoeffer während seiner Inhaftierung: `Wer bin ich? Sie sagen mir oft, ich träte aus meiner Zelle, gelassen und heiter und fest, wie ein Gutsherr aus seinem Schloss. Wer bin ich? Sie sagen mir oft, ich spräche mit meinen Bewachern frei und freundlich und klar, als hätte ich zu gebieten. Wer bin ich? Sie sagen mir auch, ich trüge die Tage des Unglücks gleichmütig lächelnd und stolz, wie einer, der Siegen gewohnt ist.´

Diesen Stolz meint Dietrich Bonhoeffers Vater, als er nach dem Krieg sagt: `Da wir aber alle über die Notwendigkeit zu handeln einig waren und die Söhne sich auch im Klaren waren, was ihnen bevorstand im Falle eines Misslingens des Komplotts, und mit dem Leben abgeschlossen hatten, sind wir wohl traurig, aber auch stolz auf ihre gradlinige Haltung.´ 

Und wenn ein fröhliches `Ich bin stolz´ meine eigenen Anstrengungen wertschätzt – auch das ist in meinen Augen positiv: `Es hat mich Mühe gekostet, ich habe durchgehalten und etwas zu einem guten Abschluss gebracht!´ Seien wir ehrlich: Die wenigsten Erfolge entwachsen dem Nichtstun.

Natürlich braucht es immer viel mehr als mein eigenes Tun: eine gute Basis, günstige Umstände und hilfsbereite Mitmenschen zum Beispiel – sehr viel liegt nicht in unserer Macht. Das Wissen darum darf uns demütig machen, aber es muss uns den Stolz auf dein eigenen Beitrag nicht vollends austreiben. Finde ich.

Abhängig und stolz!

In einem Artikel lese ich von der schier unerträglichen Situation der Mädchen und Frauen in Afghanistan: Seit die Taliban wieder an der Macht sind, ist Schulbildung für sie unmöglich; sie werden (wieder) unterdrückt und zwangsverheiratet. Vor allem diejenigen, die in den vergangenen Jahren lernen, studieren und arbeiten konnten, spüren schmerzlich, was sie binnen kürzester Zeit verloren haben. Ein Satz macht mich nachdenklich: `Wie könne jemand, der vorher frei war und nun von jemand anderem abhänge, stolz sein?´ 

Auch ich bin abhängig; wir alle sind es – ob wir es merken oder nicht: von Lebensumständen, Möglichkeiten und Menschen. Mit manchen Zwängen müssen wir uns abfinden oder arrangieren, manche sind uns vielleicht sogar angenehm: Kinder sind zwar völlig abhängig von ihren Eltern, gleichzeitig aber völlig frei in ihrem Verhalten – die Letztverantwortung tragen sie eben nicht. Es ist kein Problem, von jemandem abhängig zu sein, wenn derjenige es grundsätzlich gut mit uns meint und wir ihm vertrauen können. Dann können und dürfen wir – trotz aller Abhängigkeit – auch stolz sein, glaube ich. Für die Mädchen und Frauen in Afghanistan gilt dies leider nicht.