Wer den Schaden hat …

Gleich am Anfang meiner Laufrunde geht es durch ein kleines Wäldchen. Auch Spaziergänger mit Hund nutzen diesen kleinen Trampelpfad, um die Feldwege zu erreichen. Entsprechend halte ich hier besonders die Augen offen, um eventuellen Hunde-Hinterlassenschaften auszuweichen. Trotz meiner erhöhten Aufmerksamkeit stolperte ich gestern über eine Wurzel. Zwei weitere Schritte hielt ich mich noch aufrecht, danach war ein Sturz nicht mehr zu vermeiden. „Bloß nicht in die Hundesch…“, schoss es mir durch den Kopf, da lag ich schon – zum Glück in jeder Hinsicht unversehrt. Ich stand schnell wieder auf und schaute mich um: kein Zeuge weit und breit.

Heute erzählte ich meiner Tochter davon, die sofort in (vollkommen unangemessenes) schallendes Gelächter ausbrach – auch ohne Hundehaufen. Wer den Schaden hat …

Zwischen Nutzen und Schaden

Mit vier Jahren trank meine Mutter unbeabsichtigt und unbeobachtet einen Schluck einer farblose Flüssigkeit. Danach mochte sie für einige Zeit überhaupt nichts mehr hinunterschlucken, denn es handelte sich leider um Essig Essenz: gut geeignet zum Würzen und Putzen, zum Trinken (unverdünnt) dagegen nicht. Auch deswegen war meine Mutter immer sehr vorsichtig, was (vermeintlich harmlose) Nahrungsmittel angeht. Trotzdem hatte auch sie später Essig Essenz im Haus – der Nutzen überwiegt den Schaden durch unachtsamen Gebrauch.

Außerdem stand im Garten meiner Eltern eine große Eibe. Meine Mutter ist botanisch bewandert (Apotheker-Wissen) und wusste, dass an Eiben so ziemlich alles giftig ist: Nadeln, Rinde und Samen; nur der die Samen umhüllende rote Samenmantel ist nicht giftig und schmeckt süß. Wenn man den Kern nicht zerbeißt, passiert einem nichts. Daher durften wir diese als Kinder manchmal probieren. 

Von einer Bekannten (promovierte Biologin) weiß ich, dass sogar Pferde sterben können, wenn sie übermäßig viel Eibengrün konsumieren. In unserem Garten wachsen trotzdem viele Eiben. Auch unsere Kinder wissen, dass Eiben giftig sind. Keiner von uns käme auf die Idee, deren Nadeln oder Rinde zu essen – und Pferde lassen wir nicht rein. Wir haben auch die roten Samenmantel schon mal probiert. Aber im Grunde stehen Eiben in unserem Garten aus anderen Gründen: Sie sind immergrün, lassen sich hervorragend in Form schneiden, treiben dankbar immer wieder aus und spenden schönes Grün für Adventsgestecke – der Nutzen überwiegt den Schaden durch unachtsamen Gebrauch.

Kaputt

Bei uns im Wohnzimmer hängt eine Lampe von IKEA in der Ecke. Genauer gesagt: Sie hing – viele Jahre. Letzte Woche ist mein Sohn mit dem Kopf so dagegen gestoßen, dass der Lampenschirm in irreparabel viele Teile zersprungen ist. Mein Sohn hat mit einem Tennisball Fußball gespielt – vor der Schule. Ich hatte ihn schon zweimal aufgefordert, aufzuhören und sich fertig zu machen. Genau dann passierte es. Es war nicht vorherzusehen und hätte zu jeder anderen Zeit geschehen können. Der Tennisball war nicht involviert; und dass mein Sohn meiner Aufforderung zum Fertigmachen nicht sofort gefolgt ist, war auch nicht die Ursache für den Zusammenstoß von Kopf und Lampe. Ich sagte trotzdem leider nicht: „Ist nicht schlimm, kann jedem passieren, ich weiß, dass es nicht Absicht war“, sondern: „So, und jetzt machst du dich fertig und fährst in die Schule.“ Was mitklang, war: „Siehste!“ Was ankam, war: „Du bist schuld.“

Mein Sohn hat sich nicht verletzt, obwohl die Lampenreste, die noch hängen, sehr scharfkantig sind. Weil er aber gehört hat, was ich nicht gesagt habe, ist er mit hängenden Schultern (nicht Gram-, sondern Scham-gebeugt) abgezogen, hat sich unverzüglich fertiggemacht und ist aus dem Haus. Ich habe ihm noch hinterher gerufen: „Mein Schatz, es ist nur eine Lampe, ich habe dich lieb!“ Ich bin aber nicht sicher, ob der angerichtete Schaden damit behoben werden konnte. Es ist nicht nur die Lampe kaputtgegangen…

Natürlich brauchen wir eine neue Lampe: So kann es nicht bleiben. Eine meiner Töchter sagte zwar: „Mama, wir könnten es so lassen – es sieht ein bisschen aus wie Kunst“, aber das ist Quatsch. IKEA hat das Modell nicht mehr im Programm. Im Klartext: Es wird dauern, bis hinten im Wohnzimmer in der Ecke wieder etwas anderes hängen wird als eine Glühbirne. Ich hoffe, die Scham meines Sohnes ist schneller wieder verflogen.