Blöde Kuh

Meine Freundin hatte am vergangenen Freitag eine beängstigende Begegnung mit einer ihrer Kühe: Die etwa 700 Kilo schwere Dame klemmte ihre `Chefin´ unerwartet am Fressgitter ein – mit dem Kuh-Schädel voran. Meine Freundin schaffte es irgendwie bis zum Durchschlupf und aus dem Stall heraus, aber daran erinnert sie sich nur vage. Dagegen sehr eindeutig sind die blauen Flecken an ihrem Körper, ein angeschwollenes Knie und das zersplitterte Handy aus der Hosentasche. Es sind die ganz realen Folgen einer sehr gefährlichen Situation, die auch anders hätte ausgehen können.

Drei Tage später kann meine Freundin schon wieder stehen, gehen und ihre Tiere versorgen. Dennoch spüre ich bei unserer Umarmung, dass nicht nur das Knie noch lädiert ist – der Schreck sitzt ihr im wahrsten Wortsinn noch in den Gliedern. Wir beide wussten es schon die ganze Zeit, spätestens seit Freitag ist es konkret: Corona mag ein gefährliches Virus sein; das größere Lebensrisiko für diese Bäuerin ist – eine blöde Kuh.

Risikobereit

Ich würde mich nicht als risikofreudig einschätzen; dennoch vermeide ich nicht alle Risiken um jeden Preis. Einige nehme ich in Kauf und lasse mich durch sie nicht bremsen in dem, was für mich Lebensqualität ausmacht. Außerdem hoffe ich – wie viele andere auch –, dass „alles gut geht“:

Ich fahre Auto, obwohl ich weiß, dass jährlich viele Menschen bei Autounfällen sterben.
Ich habe Kinder, obwohl Elternschaft riskant ist: Kinder kosten, bestimmen Tages- und Nachtabläufe und machen mich emotional verletzlich – mein Leben lang.
Ich verzichte auf Wechselduschen, obwohl sie mein Immunsystem stärken würden.
Ich überlasse meinem 19-jährigen Sohn das Auto, obwohl Menschen seines Alters oft in Unfälle verwickelt sind.
Ich esse nicht gewaschenes Obst, obwohl die Luftverschmutzung in den vergangenen 30 Jahren deutlich zugenommen hat.
Ich erlaube meinen älteren Kindern, ein Handy zu benutzen, obwohl ich ahne, dass der Konsum digitaler Medien mehr schadet als nutzt.
Ich bin verheiratet, obwohl Ehen scheitern können.
Ich lasse mich bisher nicht gegen Grippe impfen, obwohl Menschen an ihr sterben.

Denn: Ich lasse der Angst vor möglichen Risiken nicht das letzte Wort – sie ist kein guter Ratgeber. Das gilt auch für meine Einstellung zum Corona-Virus, das ich ernst nehme, aber nicht fürchte. Grundsätzlich bin ich zufrieden, wie wir in Deutschland damit umgehen. Manche der ergriffenen Vorbeuge-Maßnahmen halte ich jedoch für unverhältnismäßig und bezweifle ihren Sinn. Sie beeinträchtigen nicht nur die Lebensqualität, sondern schränken die Freiheit ein und spalten unser Volk. Ich bin erschrocken, wie sehr „Corona“ die Berichterstattung in den Medien beherrscht. Meiner Einschätzung nach überbewertet dies das Virus und schürt die Angst. Andere wichtige Themen kommen zu kurz. Diese „Nebenwirkungen“ empfinde ich als besorgniserregend; sie sind für mich realer als die Gefahr, an Covid-19 zu erkranken.

Wenn ich diese Meinung vertrete, gelte ich leicht als ignorant, fahrlässig oder einer Verschwörungstheorie zugeneigt. Dabei bin ich einfach nur besorgt und möchte lieber meine Meinung sagen als aus Angst schweigen. Vielleicht werde ich deshalb belächelt, gemieden oder mit wütenden Gegenargumenten bedacht: Dieses Risiko nehme ich in Kauf.

Risiko

Wenn ich „Risiko“ höre, denke ich an Dinge, die ich nicht tun würde. Unter anderem sind das: Bungee Jumping, Fallschirm-Sprünge, Rasen auf der Autobahn, Solo-Weltumseglungen, Bergsteigen im Himalaja. Oder ich denke an Alex Honnold. Er ist ein amerikanischer Kletterer, der ohne Sicherung gerade Felswände hochklettert. Zwar bereitet er sich akribisch auf seine Free Solo-Klettereien vor, übt mit Seil, ist körperlich in exzellenter Verfassung, mental fokussiert und wirkt nicht lebensmüde. Trotzdem hielt ich ihn wegen seiner spektakulären Unternehmungen bisher für eher risikobereit. Kürzlich hörte ich ein Interview mit ihm, das mich umdenken ließ: Honnolds Vater starb mit Mitte 50 an einem Herzinfarkt, hatte ein eher stressiges Leben ohne Sport geführt und sich eher ungesund ernährt. Aus Alex Honnolds Sicht ist eine derartige Lebensweise riskanter, als ohne Sicherung, aber gut vorbereitet, 1.000 Meter in die Höhe zu klettern.

Jeder kennt heutzutage die Zusammenhänge zwischen ungesunder Ernährung und geringer Lebenserwartung. Dennoch rauchen Menschen, ernähren sich ungesund und gehen ganz bewusst das Risiko ein, an den Folgen ihres Lebenswandels „vor der Zeit“ zu sterben.

Auch aus dieser Perspektive heraus ist mein eigenes Leben wenig risikofreudig – gesunde Ernährung, regelmäßig Sport, kein Stress. Vor Jahren hatte ich zusätzlich Wechselduschen im Programm, allerdings nur wenige Jahre. Es war mir schlicht zu kalt. Ein bisschen risikobereit bin ich also doch. (Oder bequem.)