Entschleunigung

Es war einmal ein junges Mädchen, das lebte in den 70er/80er Jahren in Deutschland. Sie ging zur Schule (auch samstags), sie hatte Klavierunterricht (nicht sehr erfolgreich), über die Jahre hat sie geturnt, ist Trampolin gesprungen, später hat sie noch Handball gespielt. Sie hat viele, manchmal lange Briefe geschrieben. Ab und an musste sie im Garten helfen oder auch im Haus, aber insgesamt verlief das Leben wie ein langer ruhiger Fluss. An den Wochenenden war sie zu Hause; Feiern von der Schule, dem Handballverein, dem Klavierunterricht und all das gab es kaum. Youtube-Videos oder Tagesfernsehen? Nicht vorhanden. Und weil kaum jemand ein Telefon hatte, musste man sich aufs Rad schwingen, wenn man sich sprechen wollte.

Stattdessen gab es Zeit zum Lesen, zum Musikhören, zur Langeweile.

Später wurde das junge Mädchen erwachsen und bekam Töchter und Söhne. Diese gingen auch zur Schule (nicht samstags), spielten zum Teil Instrumente (und übten ab und an), machten Sport. Briefe schrieben sie nicht, aber sie lasen noch. Für Verabredungen konnten sie diverse Kommunikationswege nutzen: Skype, Mail, SMS, WhatsApp, zur Not auch das Telefon. Dadurch war für Langeweile wenig Platz, für Nur-Familienzeiten auch nicht.

Das Mädchen, das nun Mutter war, fühlte sich bisweilen abgehängt – das Lebenstempo um sie herum war höher als ihre eigene innere Geschwindigkeit: Zu stetig für kurzlebige Moden, zu abwägend für technischen Fortschritt, zu langsam für die Fülle an Ereignissen, Aktionen, Kontakten.

Sie hat dann gebremst, Nein-Sagen geübt, angebotene Veranstaltungen nicht wahrgenommen, Kommunikationswege nicht benutzt. Das war wohltuend, aber nicht leicht auf die ganze Familie zu übertragen. „Wir dürfen unser Leben doch wohl so füllen, wie wir das wollen“, hieß es dann seitens der Kinder. Stimmte vielleicht auch, aber diese Mutter hat einfach weiter dagegen gehalten. „Weniger ist mehr“, hat sie gesagt.

Und weil sie nicht gestorben ist, entschleunigt sie noch heute.