Viel Mensch, wenig Automat

Automaten zeichnen sich dadurch aus, dass sie zuverlässig gleichbleibende Resultate liefern, wenn man sie mit den richtigen Zutaten versorgt: Zahlenmenge rein – Ergebnis raus; Geld rein – Schokoriegel raus oder so ähnlich. Diese Klarheit ist bestechend vorhersehbar und sehr beruhigend. 

Ein Mensch, der entscheiden muss, wägt automatisch ab, und zwar nicht nur sachliche Argumente: Niemand ist frei von gänzlich irrationalen Beweggründen, wenn auch oft unbewusst. Meist treibt uns eine Mischung aus Verstand und Gefühl – die Kombinationsmöglichkeiten sind Legion.

Ich zum Beispiel folge häufiger wider alle Vernunft meinem Gefühl oder (ab und zu) umgekehrt. Andere kämen in derselben Situation zu einer völlig anderen Einschätzung der Lage: Viele Wege führen bekanntlich nach Rom. Entscheidungsfindung hängt nicht nur ab von den bloßen Fakten, sondern in hohem Maße von der Persönlichkeit. Das ist spannend, schwer vorhersehbar, manchmal anstrengend – und wunderbar anders als bei Automaten!

Ein Gesetz

Die einrichtungsbezogene Impfpflicht ist umstritten. Egal was man davon hält, fest steht: Sie ist nur äußerst schwer umzusetzen und verschärft den Mangel an Pflegekräften – ohne Not. Daher nutzen manche Bundesländer die Regelung nicht und lassen Mitarbeiter der Pflege auch ohne vollständigen Impfstatus weiter mitarbeiten.

Dieses Verhalten trifft auf große Erleichterung bei den betroffenen Personen und deren Arbeitgebern. Andere kritisieren, dass eine solch offensichtliche Unterwanderung eines Bundes-Gesetzes ein schlechtes Beispiel ist für die grundsätzliche Akzeptanz von Vorschriften. Beide Positionen haben ihre Berechtigung, das ist ein Dilemma.

Die eine Sichtweise hat das Gesetz im Blick: Ein Gesetz ist dazu da, dass es befolgt wird. Wir Deutschen sind gut darin, Regeln nicht zu hinterfragen, sondern uns regelkonform zu verhalten. Es könnte das Vertrauen in den Rechtsstaat schwächen, Gesetze anzuzweifeln und mit Ansage zu ignorieren.

Andererseits: Ein Gesetz, das niemandem messbar hilft und manchen klar schadet, ist keine gute Idee. Es zeugt von Größe und der Bereitschaft, verantwortlich zu handeln, wenn man ein solches Gesetz nicht umsetzt. Wer das tut, hat die Menschen im Blick. Langfristig stärkt man dadurch ihr Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit unseres Landes. Blinder Gehorsam ist selten die beste Alternative.

Kontaktaufnahme

Ich laufe gegen den Wind und nähere mich langsam einem vor mir gehenden Menschen mit Hund. Der Mensch dreht sich des öfteren um und sieht mich kommen, der Hund nicht. Als ich die beiden fast erreicht habe, bemerkt mich der Hund, erschrickt und kommt (zugegeben: schwanzwedelnd) auf mich zu. Ich halte an. Der Mensch hat Knöpfe im Ohr und telefoniert offensichtlich. Um den Hund von mir abzulenken, schnipst er wortlos mit dem Finger und zeigt von mir weg. Der Hund gehorcht zögernd; ich laufe weiter. Ein paar Sekunden später höre ich aggressives Rufen hinter mir: „Emma, hierher!“ Leicht alarmiert drehe ich mich um und sehe den Hund (zugegebenen: schwanzwedelnd) auf mich zu rennen. Wieder halte ich an. Einige weitere aggressive Rufe später („Emma, hierher, hierher!“) trollt sich der Hund und trabt zurück zu seinem Menschen; ich laufe weiter. Alles zusammen dauert kaum zwei Minuten, aber es beschäftigt mich die nächsten zwanzig:

Dass der Hund Kontakt aufnehmen wollte, verstehe ich – Hunde sind soziale Wesen und verhalten sich dementsprechend. Dass der Mensch keinen Kontakt aufnehmen wollte, verstehe ich nicht – Menschen sind soziale Wesen und verhalten sich manchmal anders.

Mensch und Material

Wandern im Dauerregen stellt höchste Ansprüche an Mensch und Material, wobei der Mensch zuerst einknickt: Die Sicht ist schlecht, die Stimmung sinkt mit jedem Kilometer. Nach zwei Stunden – und noch nicht am Ziel – wünschen wir uns nur noch, dass der Regen aufhört oder wir ankommen, am liebsten beides. Das ist der Moment, in dem das Material nachgibt: „Welches Fassungsvermögen haben meine Wanderstiefel?“, frage ich mich. Mein Fuß ist von Wasser umgeben; „quitsch-quatsch“ macht es bei jedem Schritt. Wir gehen weiter, denn: Wenn auch das Material seinen Geist aufgibt, hält der Mensch noch durch. Ich gebe der Frage keinen Raum, wie die Schuhe bis zum nächsten Tag wieder trocken werden sollen. Sonst wäre es auch um den Menschen geschehen.

Eine weitere Stunde später strahlt uns unser Gastgeber für diese Nacht an. Er spricht mit starkem schottischen Dialekt, wir verstehen nicht jedes Wort. Was hängenbleibt ist: „… dry room, take off … wet – I will sort it all out for you!“ Seine Worte trösten den Menschen, sein Trockenraum dient dem Material. Am nächsten Morgen sind wir erfrischt und all unser Zeug trocken – Mensch und Material sind bereit für die nächste Etappe.