David und ich

„Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen“, heißt es in Psalm 18 (Vers 20). Der Satz stammt von dem jungen David, der Goliath mit seiner Schleuder mutig entgegentritt, weil er weiß, dass Gott für ihn kämpft. Ein anderer Satz von David lautet: „Ich bin matt geworden und ganz zerschlagen; ich schreie vor Unruhe meines Herzens.“ (Psalm 38, 9) Er passt eher zu einem traurigen, mutlosen und frustrierten David, der in seinem Leben sowohl zum Ehebrecher als auch zum Mörder wurde.

Auch bei mir gibt es diese Momente, in denen ich mich fühle, als wäre mir alles möglich; nichts kann mich stoppen, Gott und mich. Dann starte ich mit Schwung in meine Tage, egal ob die Sonne scheint oder es regnet, ob ich viel oder wenig zu tun habe. Ich kenne aber auch das Gefühl, dass ich nur funktioniere – oder nicht einmal mehr das. Wenn mich zum Beispiel ein Hexenschuss ausbremst und mir alles zu viel ist, was mir normalerweise so leicht von der Hand geht. Oder aber ich habe einfach keine Lust auf Routine-Arbeiten, die meinem Leben Sinn und Struktur geben. Selbst das, was mir Spaß macht, ist dann nicht attraktiv. Diese Tage sind sehr selten, aber manchmal kommen sie aus heiterem Himmel und lassen sich nicht so einfach überwinden.

Ich habe kein gutes Rezept gefunden, wie ich damit umgehe: Selbst zum Spazierengehen kann ich mich dann kaum aufraffen; meine Gebete klingen leer. Aber wenn ich angesichts eines Mäuerchens aus Schwere am liebsten rufen würde: „Scotty – wegbeamen!“, dann tröstet mich der Gedanke an David, der diese Phasen auch kannte und ehrlich benennt. Die Bibel nennt ihn einen Mann Gottes (1. Samuel 13, 14).

Ist die Mauer wirklich weg?

Das Jubiläum des Mauerfalls ist in aller Munde, aber wem bedeutet es was? Jeder hat seine ganz eigene Wahrnehmung von dieser unserer Deutschen Geschichte und bewertet sie eben auch ganz unterschiedlich: Ganz und gar gleichgültig, enttäuscht und frustriert oder immer noch dankbar und begeistert.

Ganz und gar gleichgültig: Es gibt viele Gründe dafür, mit dem Wunder des Mauerfalls nichts zu verbinden. Man kann zu jung sein, keine Verwandtschaft „drüben“ haben und, und, und. Trotzdem ist sie ein Fakt. Hervorgegangen ist sie aus einer großen Unzufriedenheit der Ostdeutschen mit ihrem Staat, ihrer Regierung – aber vor allem aus einer tiefen Sehnsucht nach Freiheit. Freiheit von Bevormundung, Freiheit der Gedanken, Meinungen und Überzeugungen bis hin zu freien Wahlen und freiem Reisen. All das wurde mit dem Mauerfall ziemlich bald Realität; aber für viele (vor allem West-)Deutsche hat sich dadurch erstmal gar nichts geändert: Die Mauer ist nicht mehr da – na und?

Enttäuscht und frustriert: Neben den Gleichgültigen gibt`s die Kritiker. Wir Ost- und Westbürger sind gleichermaßen nicht frei von Vorurteilen. Dass im Osten die AfD so stark ist, wundert die Westler; dass die Westler noch immer besser verdienen, ärgert die Ostler. Das errichtet gedankliche Mauern: Sicher gibt es Menschen, die noch immer in alten Grenzen denken – oder sie sich vielleicht sogar zurückwünschen. Auf beiden Seiten.

Dankbar und begeistert: Und dann sind da Leute wie ich. Natürlich ließ (und lässt) sich meine DDR-Vergangenheit nicht leicht abschütteln. Sie ist Teil von mir. Die äußere Mauer, die 1989 fiel, stürzte nicht von jetzt auf gleich auch in meinem Inneren ein: Es fiel mir schwer, mich beruflich frei und neu zu orientieren, mein Mann hat sich noch jahrelang über meine Angst vor Verkehrspolizisten amüsiert, ich kann bis heute mit Dominanz nicht gut umgehen etc. Und TROTZDEM – bin ich so dankbar! Was haben wir für einen Schatz mit dieser Vereinigung, was für eine Kostbarkeit ist uns anvertraut – und es ging ohne militärischen Einmarsch, ohne Blutvergießen. Ich weiß nicht, warum, aber ich vertraue darauf, dass es irgendwann gar keine Mauern mehr in unserem Land geben wird – äußerlich und innerlich.