Leider keine Kunst – kann weg

Eine meiner Töchter parkt ihre Stallschuhe meist draußen vor der Tür – dort stört mich weder ihr Anblick noch ihr Geruch. Ein besonders schmutziges Paar steht dort schon ein paar Wochen: Meine Tochter zieht sie momentan nicht an. Einer unserer Nachbarn bringt uns täglich die Zeitung; er ist ein kunstinteressierter Mann. Vor einiger Zeit dekorierte er diese Schuhe mit zwei Tannenzapfen. Mir gefiel das; ich betrachtete die Schuhe seither als Kunst-Installation – nicht direkt schön, aber interessant. Heute sprach mich derselbe Nachbar an: „Wem gehören denn diese hässlichen Schuhe vor eurer Haustür? Und wie lange sollen sie da noch stehenbleiben? Ich hatte ja schon vor einiger Zeit versucht, darauf hinzuwirken, dass sie verschwinden – leider ohne Erfolg. Mir wäre das peinlich so direkt vor der Haustür.“

Klassischer Fall von Missinterpretation: So waren die Tannenzapfen also gemeint; so hatte ich sie nicht verstanden. Was tue ich jetzt? Mir sind diese Schuhe `direkt vor der Haustür´ nicht peinlich; aber meinem Nachbarn vergrausen sie womöglich seinen täglichen Gang zu uns. Ich werde sie wegräumen. In diesem Fall gilt dann wohl: Ist keine Kunst, kann weg.

Ein Schwein

Nach Monaten kommt das Distanzlernen an seine Grenzen. In jedem Fach nimmt die Motivation ab, der Lernerfolg wahrscheinlich ebenso. Digital ist nicht mehr spannend, sondern nervig. Ab und an erleben wir eine Ausnahme – heute ist es Kunst. Diese Aufgabe ist kein bloßes Abarbeiten eines Auftrags, sie macht Spaß. Es spielt keine Rolle, ob das Werk die kreativen Sinne stärkt, und noch weniger, ob es bewertet wird oder nicht: Für eine halbe Stunde widmet sich mein Sohn einer Mimikmaske und lächelt dabei.

Ist das Kunst? Keine Ahnung.

Kann das weg? Nein! Denn das Schwein wird uns noch eine Weile an einen Lichtblick im tristen Distanzlern-Alltag erinnern.

Kunst und Können

Ich bin nicht sicher, ob Kunst von Können kommt. Kunst hat sicherlich eine Menge mit Können zu tun, aber Können allein reicht nicht. Auf dem Gebiet der Logik nennt man so etwas eine notwendige Bedingung: Man muss etwas können, um etwas Künstlerisches zu erschaffen. Hinreichend ist die Bedingung jedoch nicht – nicht jedes Können erschafft Kunst. Weitere notwendige Bedingungen in diesem Fall sind zum Beispiel Kreativität und Vorstellungskraft, Initiative, Durchhaltevermögen. Aber auch diese sind nicht hinreichend – sie einzusetzen, führt nicht zwangsläufig zu Kunst.

Eine hinreichende Bedingung ist zum Beispiel, wenn ich esse und davon satt werde. Die Geburt ist ebenfalls eine hinreichende Bedingung, nämlich für den Tod. Ich würde aus dem Bauch heraus sagen, dass hinreichende Bedingungen stärker sind als notwendige Bedingungen – und seltener vorkommen. Trotzdem kenne ich einige, mindestens fünf: Die bloße Präsenz unserer Kinder produziert zwangsläufig Unordnung, schmutzige Wäsche und leere Vorratsregale – und in mir eine fast bedingungslose Liebe. Allerdings ist auch das keine Kunst: Sie können es einfach!

Kunst und mehr

Installationen sind (offenbar nicht für jeden gleich erkennbare) Kunstobjekte, die etwas ausdrücken sollen. Ob der Betrachter versteht, was der Künstler meint, ist manchmal trotz eines vorhandenen Objekt-Titels fraglich. „Ist das Kunst oder kann das weg?“, hat sich schon die eine oder andere Reinigungskraft gefragt – und Installationen komplett oder teilweise entsorgt oder zweckentfremdet.

Ebenso unterschiedlich wie mit Kunst gehen Menschen mit ihren Gefühlen um. Vor allem Ärger, Wut und Zorn, die drei starken Emotionen, führen manchmal zu interessanten Resultaten. Kürzlich handelte sich unser jüngster Sohn von seinem Vater nicht nur ein, sondern gleich zwei `Nein´ hintereinander ein: „Du kannst dich jetzt nicht mehr verabreden; und du darfst den Frust darüber auch nicht in eine Einkaufstour – und somit in Süßigkeiten – ummünzen.“ Die Reaktion war ein wütender, aber sehr konstruktiver Gang durch unseren Garten und endete in einer mehr oder weniger schönen Installation ohne Titel.