Vom Können

„Dass unsere Ehe möglicherweise scheitern könnte“, habe ich geschrieben, „reicht nicht aus als Motivation, mir einen Job zu suchen.“ Das stimmt, eine andere muss her. Derzeit suche ich einen Job, der außerhalb der Familienarbeit liegt. Wieso? Weil ich damit tatsächlich Geld verdienen und meine anderen Gaben einsetzen könnte.

Auf dem Arbeitsmarkt gelte ich jedoch als `unerfahren´, als `nicht vom Fach´. Im Gegensatz zu Menschen, die sich von einer Berufstätigkeit in die andere bewerben, scheint mein Tun der letzten 20 Jahre unerheblich zu sein: Dabei hat die Familienarbeit mich Dinge gelehrt, die in einem Job gut nutzbar wären. Das wissen leider nur wenige Arbeitgeber. Ich halte also Ausschau nach einem, der nicht an Zertifikaten, sondern an Kompetenzen interessiert ist.

Denn ich kann einiges:
Deutsch und Englisch – habe aber keinen Abschluss in Germanistik oder Anglistik,
tippen, telefonieren und organisieren – bin aber keine Sekretärin,
Termine und Ereignisse planen und koordinieren – darf mich aber nicht Event-Manager nennen …

Außerdem kann ich:
auf unterschiedlichste Bedürfnisse eingehen,
empathisch reagieren,
Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden,
Prioritäten festlegen,
im Trubel die Ruhe bewahren,
konsequent entscheiden, wo´s langgeht, und gleichzeitig flexibel den gegenüber bleiben, die mitgenommen werden müssen,
lernen …
und sehr gut kochen: meist ohne Rezept.

Vom Können

Ich muss kurz warten, denn: Ein LKW-Fahrer steuert sein Fahrzeug samt zweiachsigem Hänger rückwärts von der Straße in eine relativ enge Einfahrt. Er schafft es beim zweiten Versuch und ohne etwas zu beschädigen – Bäume, Straßenschilder oder ungünstig geparkte Autos. Ich kann und darf LKW fahren, aber DAS könnte ich nicht – und würde es nicht versuchen.

Alex Honnold ist ein amerikanischer Kletterer. Eine Dokumentation beschreibt, wie er allein und ohne Sicherung eine 1.000 Meter hohe Steilwand besteigt. Beim Zuschauen bekomme ich feuchte Hände. Die Kameramänner in der Wand sind ebenfalls Kletterer, aber DAS, was Honnold da gemacht hat, könnten sie nicht – und würden es nicht versuchen.

Zwischen `können´ und `können´ liegen manchmal Welten.

Ohnmacht

Wir können auf den Mond fliegen, Organe transplantieren, mit Atomuhren minimalste Zeitabweichungen messen, durch Teleskope das Universum erforschen. Zwischen Himmel und Erde ist uns viel und scheint uns fast alles möglich. Wenn es allerdings darum geht, Menschen miteinander zu versöhnen, spüren wir eine große Ohnmacht. Dabei entscheidet sich hier alles: Was nutzt uns all unser Können, wenn wir es nicht miteinander teilen?

Lernen – üben – können

Autofahren ist keine Kunst, sondern ein Handwerk. Man lernt, übt und kann es irgendwann.

Mein zweiter Sohn hat das Autofahren gelernt und die Führerscheinprüfung bestanden. Er darf jetzt fahren, aber er kann es noch nicht so gut. Das ist normal: Auch das Autofahren braucht die Tat. Sehr gut vorbereitet ist er vor allem durchs Nicht-Autofahren, weil er viel Rad fährt. Er kennt sich aus – in der Stadt und im Straßenverkehr. Das reine Fahren – Gas geben, kuppeln, schalten, bremsen – muss er noch ein bisschen üben; selbstständig am Verkehr teilnehmen kann er schon.

Kunst und Können

Ich bin nicht sicher, ob Kunst von Können kommt. Kunst hat sicherlich eine Menge mit Können zu tun, aber Können allein reicht nicht. Auf dem Gebiet der Logik nennt man so etwas eine notwendige Bedingung: Man muss etwas können, um etwas Künstlerisches zu erschaffen. Hinreichend ist die Bedingung jedoch nicht – nicht jedes Können erschafft Kunst. Weitere notwendige Bedingungen in diesem Fall sind zum Beispiel Kreativität und Vorstellungskraft, Initiative, Durchhaltevermögen. Aber auch diese sind nicht hinreichend – sie einzusetzen, führt nicht zwangsläufig zu Kunst.

Eine hinreichende Bedingung ist zum Beispiel, wenn ich esse und davon satt werde. Die Geburt ist ebenfalls eine hinreichende Bedingung, nämlich für den Tod. Ich würde aus dem Bauch heraus sagen, dass hinreichende Bedingungen stärker sind als notwendige Bedingungen – und seltener vorkommen. Trotzdem kenne ich einige, mindestens fünf: Die bloße Präsenz unserer Kinder produziert zwangsläufig Unordnung, schmutzige Wäsche und leere Vorratsregale – und in mir eine fast bedingungslose Liebe. Allerdings ist auch das keine Kunst: Sie können es einfach!

Können reicht nicht

Unser jüngster Sohn ist elf Jahre alt. Unlängst verkündete er, sich eine PS4 kaufen zu wollen, das Geld habe er. Was er nicht hat, ist unsere Erlaubnis, sein Geld so zu investieren. Er findet das total blöd. Ich finde, es ist eine sehr greifbare Illustration des Unterschiedes zwischen Können und Dürfen.