Vom Segen gordischer Knoten – oder so

Mein Sohn erzählt in einer Sprachnachricht von seinen Erfahrungen beim Mathe-Lernen für die Uni: „Vorgestern acht Stunden lernen – nichts verstanden, gestern acht Stunden lernen – nichts verstanden. Ich sehe schwarz für die Klausur, aber jetzt gehe ich ins Bett.“ Er klingt müde und ein wenig resigniert. Ich denke an einen `gordischen Knoten´, aber ich habe nur eine blasse Idee davon: irgendetwas, was normalerweise platzt oder zerschlagen wird. Das wäre auch in diesem Fall super, und dann könnte mein Sohn – oder einer aus seiner Lerngruppe – schreien `Heureka, ich habs!´ und sie würden für die Klausur nicht mehr schwarz sehen, sondern ein helles Licht. Aber meiner Erfahrung nach passiert das mit den persönlichen Lebensknoten höchst selten. Wir wünschten uns eine Instant-Lösung, ein schnelles Gelingen, aber das ist nicht das, was geschieht. Stattdessen verlaufen derart schwierige Umstände prozesshaft, meist zäh und langsam.

Mir fällt ein echter Knoten ein: der an den Kartoffelsäcken von meiner Freundin. Diese sind nicht nur fest verschlossen, sondern durch das Tragen zieht das Gewicht der Kartoffeln den Knoten zusätzlich fest. Wenn ich sie aufknoten will, geht das erstmal ÜBERHAUPT NICHT. Es passiert nichts, wenn ich daran herum werkel; und am liebsten würde ich mir ein Messer nehmen. Nur habe ich im Keller selten eins zur Hand und bin außerdem ein bisschen ehrgeizig. Also probiere ich weiter und bleibe dran. Noch eine ganze Weile geht nichts voran – scheinbar! Tatsächlich tut sich doch etwas, ich bekomme einen Zugriff und der Knoten gibt nach, zunächst fast unmerklich. Dann ist er nicht gleich auf, es bleibt noch ein bisschen Fummelei; aber ich spüre genau diesen Moment, in dem der Knoten `verloren´ hat und ICH gewonnen.

Und diesen Moment wünsche ich meinem Sohn, diesen Moment, von dem er im Nachhinein sagen wird: „Das war der Augenblick, in dem wir anfingen zu verstehen. Dann blieb es noch Arbeit, dann mussten wir noch weiter lernen, es blieb mühselig. Aber da wussten wir: Wir können es schaffen.“

Und also setze ich mich hin und bete für meinen Sohn und seine Leute. Ich bete, dass sie nicht nur anfangen, Mathe zu verstehen, sondern dieses Prinzip verinnerlichen: Es lohnt sich, dranzubleiben und durchzuhalten – auch wenn sich offensichtlich nichts zu tun scheint. Das ist so eine wertvolle Erfahrung, und sie stärkt den Charakter viel mehr, als schnelles Gelingen es jemals könnte.