Das Klima und so

„Wir müssen etwas tun fürs Klima!“ Keine Aussage wird in den Medien derzeit mehr diskutiert als diese – in großer Vielfalt: Das Einzige, worin sich alle einig sind, ist die Tatsache, dass wir Reichen dieser Welt nicht so weitermachen können wie bisher. Was genau wir ändern müssen, wie und in welche Reihenfolge? Hier gehen die Meinungen, Ansichten und Überzeugungen weit auseinander. Die einen wollen den Kohlendioxid-Austausch reduzieren, die anderen wollen Deutschland flächendeckend mit Windrädern versorgen und womöglich sogar wirtschaftsfähig halten. Einigen liegt die Vermüllung der Meere mehr am Herzen als das Abschmelzen der Polkappen. Ganz allgemein ist `der Regen´ ein Thema: zu wenig oder zu viel, sauer oder nicht. Außerdem sind nie da gewesene (?) Hitze- und Kälteperioden je nach Region und Interpretation eindeutige Beweise für unumkehrbaren Klimawandel …

Das Thema ist Legion, die theoretisch diskutierten Lösungsansätze ebenso:
insgesamt weniger Auto fahren, möglichst viel mit E-Autos fahren, gar kein Auto fahren …
insgesamt weniger Müll erzeugen, den restlichen Müll zumindest nicht in den Meeren landen lassen …
nur noch `second hand´ einkaufen – aber nichts `second hand´ nach Afrika verschiffen …
insgesamt Strom sparen, nur noch Öko-Strom verbrauchen, französischen oder doch lieber deutschen Atomstrom verbrauchen …
insgesamt mehr dämmen – unter Ausnahme denkmalgeschützter Gebäude … 
die Raumtemperatur im Winter auf maximal soundsoviel Grad Celsius drosseln und flächendeckend mit Wärmepumpen arbeiten …

Im ganz praktischen Leben verändert sich wenig bis gar nichts – zumindest bei den Menschen in meinem Umfeld:
Zwar besitzen viel mehr Leute ein E-Bike als noch vor zwei, drei Jahren, aber das Auto bleibt doch der Deutschen liebstes Fortbewegungsmittel.
Second hand-Läden sind tolle Fundgruben, aber eine modische Winterjacke, die passt, bekommt man dort nicht – und auch keine weißen Turnschuhe. 
Niemand tauscht die intakte Ölheizung in seinem alten Haus gegen eine alternative Heizung, aber das wäre aus Gründen der Nachhaltigkeit ohnehin keine gute Idee.
Und eine Bekannte erzählte mir neulich, sie würde Handtücher nach einer Benutzung in die Waschmaschine stopfen. Das ist zwar nicht besonders ressourcenschonend, aber eben eine alte Gewohnheit. Und die lässt sich eben nicht so einfach ablegen – selbst wenn es gut fürs Klima wäre. 

Mit dem Rad?

Klimaschützer wollen alles Mögliche verändern: Heizungen, Auto-Antriebe, den öffentlichen Nahverkehr. Dazu fordern sie, dass von Staats wegen stärker vorgeschrieben wird, wie der Einzelne sich verhalten sollte. Grundsätzlich bin ich für Klimaschutz, aber staatlich verordnete Auflagen sehe ich eher skeptisch. Stattdessen wünschte ich mir, dass individuelles Pro-Klima-Verhalten belohnt und gefördert wird – nicht nur teure Investitionen in Solaranlagen und erneuerbare Energien. 

Nehmen wir die Mobilität. Der öffentliche Nahverkehr auf dem Land oder in Kleinstädten ist weniger gut ausgebaut als in der Großstadt. Entsprechend fahren bei uns und im Umland einige Leute mit dem Rad und viele mit dem Auto. Es ist teuer, Buslinien einzurichten, mit denen kaum einer fährt. Günstiger ist offensichtlich die Einführung von Fahrradstraßen: Sie sollen den Umstieg aufs Rad attraktiver machen. Das ist gut gedacht – reicht aber nicht aus. Denn das Problem liegt meiner Meinung nach woanders: Wichtiger wäre es, Radfahrer und ihre Bedürfnisse überall und überhaupt zu beachten: Ein überraschender Wetterumschwung sorgte am vergangenen Samstagmorgen für verschneite Straßen sowie Rad- und Gehwege. Das Räumfahrzeug schob den Schnee von der Straße – wie immer – auf den daneben liegenden Radweg. Logischerweise fahren dann nur noch diejenigen Rad, die das ohnehin tun: weil sie kein Auto haben oder dieses aus Überzeugung stehenlassen. Für die anderen braucht´s bei schlechtem Wetter mehr als ein paar Fahrradstraßen …

Äußerst selten?

In der Zeit geht es gerade intensiv um die „Fridays for Future“-Bewegung. Davon kann jeder halten, was er will – man findet in allem Positives und Negatives. Kürzlich wurde in der Zeitung ein 15-Jähriger zitiert, der sich engagiert und über das beschlossene Klimapaket der Großen Koalition aufregt – wie jeder andere Fridays for Future-Aktive derzeit. Befragt zum eigenen Beitrag zum Klimaschutz sagte er, er fliege `äußerst selten´. Daran blieb ich hängen: Äußerst selten, was heißt das? Wie häufig ist das?

Ich bin in meinem Leben bisher sechs Mal geflogen (nach meinem 15. Lebensjahr), dieses Jahr kommt ein weiterer Flug hinzu. Ist das schon äußerst selten? Ich kenne Menschen, die von Berufs wegen wöchentlich Wege mit dem Flugzeug zurücklegen; andere fliegen jedes Jahr ein- oder zweimal in den Urlaub nach Ägypten oder in die Türkei. Diese Flüge scheinen alternativlos zu sein: Wer kann schon wie Greta Thunberg drei Wochen Zeit darauf verwenden, überhaupt erst am Ziel anzukommen?!

Zudem: Die wenigsten würden wohl gern mehr Geld für Flüge bezahlen. Aber ich vermute, wer in Ägypten Urlaub machen möchte, wird es wahrscheinlich weiterhin tun. Die wenigsten fliegen aus Überzeugung wenig oder gar nicht. Wer nicht fliegt, kann es sich nicht leisten oder will nicht – und für diese beiden bleibt eine Flugpreis-Erhöhung letztlich folgenlos.

Vielleicht habe ich zu wenig Ahnung, was die Auswirkungen von Protestmärschen angeht. Kann sein. Allerdings betrachte ich die derzeitige Klima-Diskussion mit einer gewissen Skepsis. Ich will mich nicht als besonders ökologisch bezeichnen; auch mein Gewissen kann eine gewisse Schärfung gebrauchen. Aber tendenziell erscheint es mir so, als würden wir von „der Politik“ lautstark eingefordern, dass endlich etwas getan wird – ohne unseren eigenen (sehr persönlichen) Beitrag zu der ganzen Misere wirklich zu benennen und zur Debatte zu stellen.

Diejenigen, die schon eine Weile äußerst selten

das Auto nehmen,
Plastiktüten benutzen,
Fleisch essen,
Obst vom anderen Ende der Welt kaufen,
mit der halbjährlich wechselnden Mode gehen,
duschen oder baden,
fliegen,
Wäsche im Trockner trocknen,
Fertiggerichte essen
und so weiter,

fragen sich mit einem gewissen Kopfschütteln, durch welche weiteren „äußerst selten“-Maßnahmen sie ab sofort die Welt retten sollen! Noch dazu sind das auch diejenigen, in denen sich durch die derzeitige Diskussion trotzdem noch ein schlechtes Gewissen regt – auch wenn sie sich nur einmal alle zehn oder 20 Jahre in ein Flugzeug setzen.

Was vor 40 Jahren Luxus war, ist heute Standard. Im Grunde wäre es schon ein hilfreicher Start, wir würden leben, konsumieren und uns bewegen wie die Generation vor uns. Ich befürchte aber: Kaum einer will das! Auf „die Politik“ auszulagern, was wir durch unseren Lebensstandard auslösen – ich halte es nur für die halbe Wahrheit.

Ganz abgesehen davon, dass sich von den Protestmärschen derzeit höchstens die Industrienationen beeindrucken lassen, nicht aber (bevölkerungsreiche) Länder, in denen Umweltschutz weder oberste Priorität hat noch finanzierbar ist.