Ein Hund

Eine bekannte Familie hat zwei Hunde. Den älteren haben sie als Welpen bekommen; der andere hatte vor ihnen einige Monate als rumänischer Straßenhund `in den Knochen´. Hund 1 ist normal lebendig, gut erzogen und kinderlieb – ein unkomplizierter Gefährte, der sich gut in die Familien-Herde einfügt. Hund 2 ist noch in der Erziehung, auch kinderlieb und sehr ängstlich. Unkompliziert ist dieser Hund nicht – und wird es vielleicht auch nie sein. Man könnte ihn `verhaltensauffällig´ nennen.

Wenn ich spazieren gehe, treffe ich jede Menge Hundebesitzer mit ihren sehr unterschiedlichen Hunden: gut erzogene, desinteressierte, ungestüme und solche, die nicht hören. Die Hundebesitzer sind ebenso verschieden – manche haben ihre Hunde im Griff, andere widmen sich intensiver ihrem Handy. Eine Frau mit einem Rottweiler hat diesen immer nah bei Fuß und redet unablässig mit ihm. Ich weiß, dass dieser Hund als Welpe vom Vorbesitzer nicht gut behandelt wurde und daher manchmal unvorhersehbar agiert. Sein Frauchen muss ihn ständig davon abhalten, ungestüm davon oder auf andere Menschen oder Hunde loszustürmen. Sie macht das hingegeben und verantwortungsvoll. Ich möchte nicht mit ihr tauschen: Die Fortschritte, die dieser Hund in seinem Verhalten macht, sind für mich kaum zu erkennen. Er wird wahrscheinlich IMMER eine starke Hand, viel Liebe und Zuwendung brauchen, um sich in der Öffentlichkeit angemessen zu verhalten.

Wenn sich schon bei einem Hund die erste Prägung so stark auf sein Leben auswirkt: Wie viel entscheidender sind die ersten Jahre im Leben eines Kindes, das zu einem gemeinschaftstauglichen Menschen heranwachsen soll!

Kontaktaufnahme

Ich laufe gegen den Wind und nähere mich langsam einem vor mir gehenden Menschen mit Hund. Der Mensch dreht sich des öfteren um und sieht mich kommen, der Hund nicht. Als ich die beiden fast erreicht habe, bemerkt mich der Hund, erschrickt und kommt (zugegeben: schwanzwedelnd) auf mich zu. Ich halte an. Der Mensch hat Knöpfe im Ohr und telefoniert offensichtlich. Um den Hund von mir abzulenken, schnipst er wortlos mit dem Finger und zeigt von mir weg. Der Hund gehorcht zögernd; ich laufe weiter. Ein paar Sekunden später höre ich aggressives Rufen hinter mir: „Emma, hierher!“ Leicht alarmiert drehe ich mich um und sehe den Hund (zugegebenen: schwanzwedelnd) auf mich zu rennen. Wieder halte ich an. Einige weitere aggressive Rufe später („Emma, hierher, hierher!“) trollt sich der Hund und trabt zurück zu seinem Menschen; ich laufe weiter. Alles zusammen dauert kaum zwei Minuten, aber es beschäftigt mich die nächsten zwanzig:

Dass der Hund Kontakt aufnehmen wollte, verstehe ich – Hunde sind soziale Wesen und verhalten sich dementsprechend. Dass der Mensch keinen Kontakt aufnehmen wollte, verstehe ich nicht – Menschen sind soziale Wesen und verhalten sich manchmal anders.

Ohne Hund

Nach dem morgendlichen Familiengewusel und bevor ich mich meinen Aufgaben widme gehe ich oft spazieren. Dabei treffe ich immer einige Menschen auf meiner Runde, wir sind Gleichgesinnte. Dennoch bin ich ein Sonderling: Ich bin eine der wenigen, die ohne Hund unterwegs ist. Wahrscheinlich ist ein Hund ein wundervoller Gefährte, aber mir fehlt keiner – im Gegenteil: Ich bin froh, dass ich in meinem Tempo gehen und mit mir allein sein kann. Hinterher muss ich nur die Wanderschuhe putzen, keine Hundepfoten.

Manchmal bleibe ich spontan, entspannt und guten Gewissens zu Hause. Ohne Hund geht das.

Der tut nichts

Am liebsten sind mir die Hundebesitzer, die mit MIR reden, während sie von ihrem Hund behaupten, er tue nichts. Sobald sie mich erklärend ansprechen und sich vielleicht für das laute Gekläffe oder wilde Herumgespringe entschuldigen, glaube ich ihnen. Hundebesitzer, die in der Begegnung mit mir nur auf ihren Hund einreden, sind mir suspekt – tut mir leid. Wer den Kontakt zu mir nicht sucht, obwohl sein Hund neugierig (bedrohlich?) auf mich zu rennt oder abwartend (lauernd?) stehenbleibt, versäumt in meinen Augen die Gelegenheit, das Verhältnis von Joggern zu Hunden zu verbessern.

Ich bin in diesen Momenten verunsichert: Soll ich um Wegerecht bitten? Soll ich fragen, ob ich weiterlaufen kann? Nutzt der Hundehalter den vorbeilaufenden Menschen (mich) als willkommenes Trainingsobjekt für den zu erziehenden Hund – mit ungewissem Ausgang? Keine Ahnung, ich weiß manchmal einfach nicht, wie ich mich verhalten sollte. Liebe Hundebesitzer: Redet mit mir! Ein einfaches „Der tut nichts!“ wäre ein guter Anfang. „Der will nur spielen“ geht auch, hat aber nicht ganz so eine beruhigende Wirkung.