Geschichten

Jede gute Geschichte braucht einen Anfang, einen Rahmen und ein Ende. Ein roter Faden hilft – sonst liest sie kein Mensch. Die besten Geschichten schreibt das Leben selbst, heißt es. Meins wäre sicherlich nicht geeignet, aber es stimmt: Die besten Geschichten sind so, wie ein Leben sein könnte:

einfach, aber nicht vorhersehbar,
nachvollziehbar, aber nicht langweilig,
überraschend, aber nicht durcheinander,
einzigartig, aber nicht unvorstellbar,
interessant, aber nicht konstruiert,
abwechslungsreich, aber nicht chaotisch,
komplex, aber nicht kompliziert,
anstrengend, aber nicht überfordernd

Solche Geschichten zu schreiben, ist nicht einfach. Ein Autor muss die Handlungsstränge fest in der Hand und den Überblick behalten. Viele versuchen es, nicht alle können es. Wem es doch gelingt, der hat Macht – über seine Geschichten und auch über seine Leser.

Neu?

„Geschieht etwas, von dem man sagen könnte: `Sieh, das ist neu?´ Es ist längst vorher auch geschehen in den Zeiten, die vor uns gewesen sind.“
Prediger 1, 10

Von einigen Dingen gibt es sehr viel – Bücher und Fernseh-Krimis zum Beispiel. Die schiere Masse kann einen erschlagen. Dass Menschen immer noch neue Geschichten einfallen, wundert mich. Natürlich ist Fantasie unbegrenzt; aber es muss ja realistisch bleiben – ausgenommen im Genre „Fantasy“.

Wir haben keinen Fernseher; aber durch Mediatheken und Video-Dienste im Internet wissen auch wir ein wenig, was läuft, und merken zweierlei. Erstens: Es gibt eine fast unüberschaubare Anzahl „erzählter“ Geschichten. Zweitens: Bestimmte Grundmuster tauchen immer wieder auf. Schwierigkeiten, Höhenflüge beziehungsweise alle möglichen und unmöglichen Konfliktlösungsstrategien – das Repertoire an menschlichen Aktionen und Reaktionen ist begrenzt. Die Geschichten sind nicht ganz neu, sie werden nur neu erzählt.

Im echten Leben ist es so ähnlich: Kinder glauben ihren Eltern nur ungern. Schließlich haben diese keine Ahnung von aktuellen Gegebenheiten. „Ihr seid anders aufgewachsen, ihr versteht das nicht“, ist ein häufiges Argument aus dem Mund meiner Kinder. Wir alle halten unser eigenes Leben für einzigartig, unsere Erfahrungen für „neu“ – und für uns ganz persönlich stimmt das auch.

Andererseits gibt es gewisse universale Grund-Erkenntnisse wie „Feuer ist heiß“, „Lügen haben kurze Beine“, „Ohne Vertrauen ist das Leben steril“, „Unter den Teppich gekehrte Konflikte sind kein Frieden“, „Begeisterung ist oft kurzlebig“. Und so weiter, und so fort. Eltern möchten ihren Kindern manche dieser allgemein gültigen Wahrheiten unbedingt mitgeben und ihnen andere gern ersparen. Aber Weisheit lässt sich nicht vererben – außer vielleicht beim Umgang mit echtem Feuer. Dass „wirklich neu“ nur selten zutrifft, versteht man erst, wenn sich die eigenen Erfahrungen wiederholen oder zumindest ähneln.