Egoistische Erwartung

Eine Freundin von mir will für neun Monate nach Amerika – sofern sie ein Stipendium dafür bekommt. Was ihr Mann dazu sagt, frage ich sie. „Das ist eine einzigartige Chance für mich. Ich erwarte, dass er nichts dagegen hat – alles andere wäre egoistisch. Er kann mich ja besuchen.“ Aha. Es stimmt: Die Chance für sie ist wahrscheinlich einzigartig, ebenso wie die Herausforderung für ihre Familie – auch wenn nur noch ein Kind zu Hause wohnt. Trotzdem scheint der Ehemann kein Mitspracherecht zu haben: Meine Freundin wünscht sich nicht nur sein `Ja´, sie erwartet es. 

Wie ich ihren Mann kenne, ließe er seine Frau auf jeden Fall ziehen – egal ob erwartungsgemäß oder freiwillig. Hinsichtlich der Zeit in New York ist es vermutlich egal, ob der eine Partner dem anderen einen Wunsch erfüllt oder sich einer Erwartung gemäß verhält. Für die Beziehung könnte es einen kleinen, aber feinen Unterschied bedeuten.

Natürlich ist es eine großartige Gelegenheit, ein drei viertel Jahr in New York leben und arbeiten zu können. Die neun Monate dort werden neu, spannend und abwechslungsreich sein – und sicherlich sehr schnell vergehen. Für die Zurückbleibenden bleibt der Alltag gleich, aber auch sie sind betroffen von der Amerika-Chance der Frau und Mutter. Deshalb ist es bei solchen Entscheidungen immer zu wünschen, gemeinsam eine gute Lösung für alle zu finden. Von vornherein zu erwarten, dass die eigenen Pläne abgenickt werden, halte ich dagegen für egoistisch.

Warten oder erwarten?

„Aber die auf den Herrn harren kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“
Jesaja 40, 31

Ich warte täglich darauf, dass Gott in meinem Leben wirkt – und erlebe das als herausfordernd und entspannend zugleich. Auf etwas zu warten ist ein äußerst aktiver Vorgang – und sehr offen. Ich müsste nicht warten, wenn ich allein weiterkäme oder `schon Bescheid wüsste´. Was auch immer passiert, kann mich überraschen: ein Paket in der Post, eine Antwort auf eine Frage, ein Rat oder Hilfe, dass etwas gelingt oder wie ich mit Schwierigkeiten umgehe.

Etwas Bestimmtes zu erwarten ist ebenso aktiv – aber sehr festgelegt. Ich weiß eigentlich schon, was ich will, und möchte nicht überrascht werden: Werden meine Vorstellungen nicht erfüllt, bin ich enttäuscht. Im schlimmsten Fall erwarte ich dann (täglich?), dass mein Leben anders wird, als es ist. Mich würde das nicht beflügeln, sondern ermüden.