Entscheiden

„Entscheide lieber ungefähr richtig als genau falsch.“
Johann Wolfgang Goethe
„Wer jede Entscheidung zu schwer nimmt, kommt zu keiner.“
Harold Macmillan
„Ich würde eher eine falsche Entscheidung treffen als gar keine.“
Robert McNamara

Die drei sind sich einig: Entscheiden an sich ist gut, aber nicht leicht. Auch für mich ist es oft eine Qual, die Wahl zu haben – ganz besonders, wenn die Alternativen Pest und Cholera heißen. Trotzdem: Wenn ich mich entscheide, lege ich mich fest – und übernehme aber die Kontrolle. Entscheide ich mich nicht und halte mir alle Optionen offen, verliere ich dafür die Orientierung. Das fühlt sich kurzfristig vielleicht nach Freiheit an; auf Dauer ist es für mich aber anstrengender, als eine Entscheidung zu treffen.

Der erste Schritt

Manche Aufgaben schiebe ich vor mir her: Das sind vor allem solche, die nicht überlebenswichtig sind und aber sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Dazu gehört zum Beispiel, wenn ich aus Familienfotos etwas Schönes machen möchte. Für derartige Herausforderungen gilt: „Der erste Schritt ist der halbe Weg.“

Wörtlich genommen ist das natürlich großer Quatsch: Die ersten zwei Stunden gehören den Überlegungen, wie ich am besten sortiere und was alles daraus werden soll – und fallen angesichts der Gesamtdauer kaum ins Gewicht. Die halbe Strecke hin bis zum Fotobuch oder -kalender ist dann aber noch lange nicht geschafft. Im Gegenteil: Es kann sein, dass der erste Schritt eher dem Tropfen ähnelt, der auf einem heißen Stein sofort wieder verdunstet – vom Vorsortieren sehe ich hinterher nichts mehr.

Der erste Schritt mag noch so unscheinbar sein und am Ende nicht mehr zu messen – er ist trotzdem unvergleichlich wichtig und zwingend nötig für alles Folgende. Er heißt „Entscheidung“ und findet im Kopf statt.

Am Ende vieler Schritte stehe ICH

Hätte, hätte, Fahrradkette – wer kennt diesen Spruch nicht! Es gilt für Gutes Schwieriges: Eine halbe Stunde früher losfahren – und nicht im Stau landen. Sich bei bestem Wetter aufmachen zu einem Spaziergang und den spontanen, unangekündigten ´once in a lifetime`-Besuch eines alten Freundes verpassen.

Mit 20 fuhr ich zum ersten Mal nach Österreich, auf eine Alp. Ich hatte kurz Aufenthalt in Wien, glaube ich, ein junger Mann sprach mich an – ob ich eine Unterkunft gebrauchen könne. Obwohl dem nicht so war, kamen wir ins Gespräch über meinen gewünschten Aufenthalt in Kanada als eine, die für Kost und Logis auf Höfen arbeitet. Er hatte das auch schon gemacht, allerdings in Australien. Eine Adresse gab er mir: „Die sind echt nett.“ Kurzentschlossen schrieb ich hin – und erhielt keine Antwort. Trotzdem buchte ich einen Flug nach Australien (und nicht nach Kanada), kaufte einen Rucksack, reichte zwei Urlaubssemester ein. Eine Woche vor dem Abflug rief ich bei der Familie an: „Yes, come over, we´re looking forward to meeting you!“ Australische Gelassenheit.

Von dieser Anlaufstelle aus wurde ich weitergereicht – zum Bruder mit der Schaffarm, zur Schwester in der Hauptstadt, zu einem Schmied. Ein halbes Jahr war ich in „down under“ – und könnte ganz viel darüber schreiben…

Die Begegnung am Bahnhof von Wien war kurz, den jungen Mann habe ich nie wiedergesehen. Aber sie hat Weichen gestellt für mein Leben, deren Folgen ich jetzt noch spüre. Irre. Entscheidungen an Wegkreuzungen sind folgenschwer – in jeder Richtung. Ich werde so oder so verändert und geprägt. Das kann uns mutig einfach losgehen oder auch den nächsten Schritt gut abwägen lassen. Ist wohl typabhängig. Aber jedes Losgehen führt uns nicht nur irgendwohin, sondern macht uns letztlich zu dem Menschen, der wir am Ende sind.