Anders als erwartet: besser

Beim Spazierengehen gelingt es mir leichter, in Ruhe zu beten. Draußen klingelt kein Telefon, ist kein Einkaufszettel zu schreiben, streift mein Blick nicht über den verstaubten Fußboden. Aber auch im Wald `stören´ Dinge meinen Fokus: andere Spaziergänger, der Klang des Kuckucks, ein Reiher am Teich oder ein Reh … Manchmal läuft es anders:

Ich gehe spazieren und laufe direkt hinein in einen ausgiebigen Regenschauer. Zwar habe ich eine Regenjacke an, merke aber, dass diese der niederprasselnden Wassersäule nicht standhalten wird. Umkehren mag ich dennoch nicht – und innerhalb der nächsten 45 Minuten arbeitet sich die Nässe durch alles hindurch, was ich auf dem Leibe trage. Ich könnte so schnell wie möglich wieder nach Hause gehen – und habe das sicherlich auch schon getan. Nicht so diesmal; ich arrangiere mich mit dem Regen und erwarte, dass Gott mit mir unterwegs ist. Es ist keine bewusste Entscheidung, eher ein trotziges: Jetzt erst recht!

Ohne Regen wäre es gemütlicher, klar. Aber nicht immer ist es das Beste, wenn eintritt, was wir uns erhoffen: Wenn es `junge Hunde´ regnet, ist sonst kaum jemand unterwegs, kein Tier zu hören oder zu sehen. Und Gott überrascht mich – ich bete gänzlich un-abgelenkt und spüre große Freude und tiefen Frieden. Als ich wieder zu Hause ankomme, sind nur meine Haare noch trocken und mein Gesicht; ich habe mich lange nicht so lebendig und zufrieden gefühlt.

Manches, was Gott uns gibt, ist nicht in unserem Sinne; wir wünschen es uns anders – und haben eine konkrete Vorstellung davon, wie. Vielleicht wäre es klug, uns stattdessen mit Gegebenheiten zu arrangieren. Denn nur, wenn wir loslassen, was wir haben wollen, bekommen wir den Blick frei für das, was Gott uns geben möchte. Oft ist das anders als erwartet: besser.

Der Bessere möge gewinnen?

Eine Weisheit Dantes lautet: „Möge der Bessere gewinnen.“ Ich stimme ihr ohne Zögern zu – auf den ersten Blick.

Auf den zweiten Blick: Denke ich wirklich so gerecht? Will ich immer, dass der Bessere gewinnt? Wenn Deutschland ausgeschieden ist bei der WM, der EM oder sonstwo – ja, dann kann meinetwegen der Bessere gewinnen. Solange Deutschland dabei ist, freue ich mich immer, wenn wir gewinnen – egal ob wir wirklich besser waren oder nicht. Ich kann auch mit einem unverdienten Sieg gut leben, jedenfalls viel besser als mit einer unverdienten Niederlage! Ebenso geht es mir bei meinen Kindern und ihren Mannschaften: Sie müssen schon grottenschlecht spielen oder unfair oder von Anfang an haushoch unterlegen sein, damit ich eine Niederlage wertneutral oder zufrieden hinnehme – wenn auch hauptsächlich um ihretwillen.

Es gibt sicherlich Bereiche, in denen ist es mir egal. Ob Deutschland beim Anbau von Mangos gut abschneidet zum Beispiel, das ist mir egal, das ist nicht unser Ressort, das können andere besser – und darüber freue ich mich dann auch. Oder wenn mein Sohn den Vorlesewettbewerb nicht gewinnt, auch das kann ich gut aushalten – denn: Vorlesen ist nicht seine größte Stärke, das können andere sicherlich besser. Gewönne er, würde ich mich freuen, klar. Aber eher für ihn; ich liebe ihn auch ohne Sieg, ich bin sowieso stolz auf ihn und freue mich, dass er überhaupt liest.

Wenn es im Rahmen des Erreichbaren erscheint, dass jemand etwas gewinnt, dem ich mich irgendwie verbunden fühle: dann bin ich letztlich immer für denjenigen. Dann bin ich total parteiisch. Auch wenn mir die deutsche Nationalmannschaft nur durch ihre Nationalität nähersteht als die französische, hätte ich mich für die Deutschen sehr gefreut. Persönlich kenne ich in keiner Mannschaft jemanden; jeder hat genauso hart trainiert und genauso viel Geld dabei verdient. Es könnte mir total wurscht sein. Auch ändert sich für mich nichts, das merke ich doch: Heute ist es schon wieder Schnee von vorgestern, dass dieses Jahr die Franzosen Weltmeister geworden sind – nur eine Notiz in der Statistik. Ein Freund von mir kennt sich besser aus als ich. Er sagt, die Franzosen waren dieses Mal einfach besser. Ich schätze allerdings, das ist letztlich egal. Am Ende zählt nur der Sieg. Von wegen „der Bessere möge gewinnen“!