Fahrschulauto vor mir!

Sie sind überall, leicht zu erkennen und meist direkt vor einem: Fahrschulautos. In der Vergangenheit habe ich bisweilen – wenn möglich – die Spur gewechselt oder überholt. Von einem Fahrschulauto erwartet man, dass es einen ausbremst, und das hat mir nicht immer in den Kram gepasst. Dabei wollte ich weniger Zeit sparen als unbehelligt MEINEN Stil fahren.

Letztens las ich auf einem Fahrschulauto den Satz: „Vielen Dank für Ihre Geduld!“ Klar doch, dachte ich.

Es könnte mein Sohn sein in dem Fahrschulauto.

Wie fühlte er sich, wenn ich ihn durch meine ungeduldige Fahrweise spüren ließe, dass er mir vor allem eins ist – im Weg?

Macht nichts, dass es nicht ganz so zügig, geschmeidig und vorhersehbar läuft.

Ich habe Zeit.

„Reif“ für Oma

In unserem kleinen Lotto-Post-Kiosk-Geschäft traf ich eine gute Freundin von mir mit ihrer kleinen Tochter; sie sind 24 Jahre beziehungsweise sechs Monate alt. Weil meine Freundin länger und komplizierter zu tun hatte als ich, nahm ich die Kleine auf den Arm und schlenderte mit ihr durch den Laden. Und genau da ist es passiert: „Na, haben Sie auch schon ein Enkelkind?“, wurde ich von einer entfernten Bekannten gefragt. „Nein“, war meine schnelle Antwort, „aber vom Alter her könnte es passen.“ Das kurze Erschrecken, das mich durchrauschte, war eher der Vorstellung geschuldet, eines meiner Kinder könnte bereits Vater oder Mutter sein – mein Ältester ist 17 Jahre alt. (Biologisch und praktisch möglich ist ja eine Menge, aber – ehrlich gesagt – wünschen würde ich es mir und ihm nicht.)

Die Mutter des kleinen Mädchens könnte meine Tochter sein, klar, sie ist aber meine Freundin. Vom Alter her deutlich näher dran an meinem Sohn als an mir, von der Lebenserfahrung her eher in meinen Gefilden unterwegs. In den Jahren zwischen 17 und 24 altert und reift man ohnehin sehr und besonders als Mutter.

Was bleibt? Ich bin in jedem Fall jenseits dieser Altersklasse, ich gehe nur noch als Oma durch. Auch eine interessante Perspektive.

Meine kleine Schwester

In einer Mail an mich und eine dritte Person bezeichnete mich unlängst mein Bruder mit „meine kleine Schwester“ – wohl auch um mich zu unterscheiden von seiner großen Schwester. Interessanterweise fand ich diese Formulierung merkwürdig. Wie aus der Zeit gefallen. Ich selbst würde wahrscheinlich nicht „mein großer Bruder“ über ihn sagen, sondern einfach nur mein Bruder. Zwar fühlte ich mich nicht diskriminiert, aber – irgendwie kleiner.

„Klein“ oder „groß“ spielt in unserem Alter keine Rolle mehr, oder? Ich bleibe immer die kleine Schwester meines Bruders und meiner Schwester, aber es ist irrelevant. Oder?

In dem Umfeld, in dem ich seit über 20 Jahren lebe, bin ich in erster Linie Dagmar. Viele meiner Bekannten wissen gar nicht, dass ich überhaupt Geschwister habe. Meine gesamte Vergangenheit spielt keine Rolle. Scheinbar. In Wirklichkeit ist meine Vergangenheit immer Teil von mir und hat mich zu der Dagmar gemacht, die ich heute bin. Sogar dass ich jemandes kleine Schwester bin, wird sicher deutlich in meinem Leben, auch wenn ich es nicht bemerke. Es sei denn, mein Bruder bezeichnet mich so.

Das Eigentliche

„Es ist das Herz ein trotzig und verzagt Ding; wer kann es ergründen? Ich, der Herr, kann das Herz ergründen und die Nieren prüfen und gebe einem jeden nach seinem Tun, nach den Früchten seiner Werke.“
Jeremia 17, 9+10

Bei Frederick Buechner las ich kürzlich etwas über „the deepest self“. Seiner Ansicht nach existiert in uns ein „Ich“, das uns ausmacht und letztlich unwandelbar ist. Andere nennen es den Kern eines Menschen, seine eigentliche Persönlichkeit, die Summe seiner Charaktereigenschaften etc. Buechner schreibt über dieses „Ich“, dass aus ihm unsere Weisheit und unsere eigentliche Stärke kommen, dass unsere ehrlichsten Gebete dort ihren Ursprung haben, unsere besten Träume und glücklichsten Momente da beginnen.

Ich fand diese Gedanken zum einen äußerst tröstlich, zum anderen stimmten sie mich nachdenklich: Habe ich Zugang zu meinem Innersten? Wieviel davon ist für andere zu erkennen? Denn: Ich muss das eigentliche „Ich“ in mir ja auch leben lassen, ihm Raum geben. Um diesen Raum kämpfen jedoch allerhand „Dinge“: Umstände, Erwartungen anderer, Prägungen (derer ich mir sehr oft gar nicht bewusst bin) und am meisten wohl mein eigenes Wunsch-Ich. Und das weicht bisweilen ab von dem, was da ist.

Mein „Ich“, mein Herz(?) ist ein trotzig und verzagt Ding. Trotzig, weil es ganz eigen ist; verzagt, weil ihm viel Unsicherheit innewohnt: Bin ich das wirklich? Ich brauche Mut, es anzuschauen. Es ist nicht alles schön, was mich im Innersten ausmacht. Meine Motive sind nicht besonders rein und ehrlich und haben eben nicht immer den Anderen im Blick. Mich in meiner ganzen Fülle anzusehen, kann herausfordernd sein. Gern würde ich mich in meiner Selbstbetrachtung auf die „tollen“ Aspekte beschränken, aber die machen das Bild nicht vollständig. Ich glaube aber, dass nur dann mein wahres „Ich“ sichtbar wird, wenn ich auch meiner wahren Sturheit, Ungeduld, Selbstbezogenheit … nicht aus dem Weg gehe. Das Gesamtpaket bin ich, auch wenn mir einzelne Bereiche fremd sind oder nicht gefallen.

Es erfordert Mut, wirklich ehrlich zu sein; und zumindest in meinem Leben gibt es keinen Menschen, den ich so nah ran lasse, dem ich wirklich alles von mir offenbare. Vielleicht ist das auch nicht nötig, aber gleichzeitig spüre ich einen starken Wunsch in mir, verstanden zu werden und nichts verbergen zu müssen. Befriedigt wird dieser Wunsch für mich nur in der Begegnung mit Gott: Gott hält mich in Gänze aus – und hat mich dennoch lieb. Er ist der Einzige; kein Mensch kann das für mich sein, was Gott für mich ist. Ich erlebe diesen Gott oft als unnahbar und fern und allmächtig; aber ich erlebe ihn eben auch als freundlich und barmherzig. Er sieht mein Herz, mein Innerstes und zuckt nicht zurück, erschrickt nicht, wendet sich nicht ab. Dadurch lädt Gott mich ein, mich selbst auszuhalten und anzunehmen. Mit allem, was da ist. Meine Stärken und Schwächen zusammen will Gott gebrauchen und Früchte schenken, von denen in der Bibel die Rede ist. Buechner beschreibt sie so: „Aus diesem tiefsten „Ich“ kommen auch all die Momente, in denen wir besser oder stärker oder mutiger oder weiser sind, als wir eigentlich sind.“

Der Anlass zum Kleid

Eine Freundin erzählte mir von einem Konzert, in das sie eingeladen war. Das Motto: „Swinging Christmas“. Im Vorfeld gab´s viel Vorfreude und die typischen Frauengedanken: „Was ziehe ich an?“ Nach reiflicher Überlegung war klar: „Das ist Tanzmusik, ich brauche ein Kleid.“ Also kaufte sie günstig ein Outfit, passende Schuhe inklusive.

Gut vorbereitet, angemessen gekleidet und – vor allem – in Tanzlaune erschien sie zum Konzert und stellte fest: Niemand sonst hatte den Titel „Swinging Christmas“ zum Anlass genommen, sich auf einen Tanzabend einzustellen. „Overdressed“ saß sie still auf ihrem Platz und konnte nur mit dem Fuß wippen. Der Abend wurde trotzdem schön, aber: Jetzt hat sie ein Tanzkleid und passende Schuhe dazu. Was fehlt? Der passende Anlass zu diesem Outfit.

Dekorations-Gen

Ich habe es nicht, das Deko-Gen. Zwar sieht es nicht sonderlich kahl aus bei uns, aber ein „Händchen für Dekoration“, gern auch regelmäßig wechselnd, jahreszeitlich verschieden geprägt etc. – dieses Händchen haben andere, ich nicht.

Finde ich das schade? Ein bisschen schon, denn: Ich mag es, wenn andere Leute ihre Wohnräume geschmackvoll dekorieren. Ich finde es sogar schön und habe klare Vorlieben, was mir gefällt und was nicht. Nur selbst bin ich darin wirklich schlecht – Schulnote mangelhaft, würde ich sagen. Daher genieße ich schön dekorierte und gestaltete Räume anderswo und fühle mich inspiriert, setze aber seltenst etwas Gesehenes in eigene Kreationen um.

Fehlt mir was? Hmmm. MIR nicht, ich kann auch ohne schöne Dekoration in meinen eigenen vier Wänden gut und zufrieden leben. Anderen Menschen fehlt bei mir vielleicht etwas: Vor allem denjenigen, die selbst nicht so gut dekorieren können und denen meine kreative Gestaltung besonders auffallen und ihr Herz erfreuen würde. Diese Leute sind mir herzlich willkommen, auf ihre Kosten (deko-mäßig) kommen sie bei mir jedoch nicht.

Ich höre Stimmen!

Der erste Schritt ist der halbe Weg – das stimmt bei fast allen Vorhaben, die man nicht nur mit lauter Freude absolviert (oder absolvieren muss). Manchmal brauche ich den ersten Schritt sogar fürs Laufen: Wenn das Wetter nicht so mitspielt, wenn der Körper „Keine Lust!“ schreit. Meist gehe ich dann trotzdem, denn ich weiß – es tut mir gut, dem Herzen, dem Kreislauf, dem ganzen Körper und auch dem müden Geist. Eine Stimme in mir treibt mich: „Die Bewegung ist gut für dich, frische Luft ist super, hinterher fühlst du dich gut – und bist besser drauf.“

Abhalten will mich nur mein innerer Schweinehund, und den soll man ja bekanntlich überwinden: Der Sieg des Geistes über die Trägheit. Kürzlich war er auch zugegen, als ich mich aufmachte: „Ach, du hast doch gar keine Lust, es regnet doch ohnehin gleich wieder richtig los; dein Immunsystem wird auch nicht stärker, nur weil du regelmäßig Ausdauersport an der frischen Luft betreibst – alles großer Quatsch!“ In dem Stil erklang ein leises Stimmchen in meinem Hirn. „Du kannst mich mal, ich geh trotzdem“, habe ich mir gedacht und dem ersten Schritt (Schuhe an- und umziehen) weitere folgen lassen.

Was soll ich sagen? Er ließ sich weder überwinden noch abschütteln, der innere Schweinehund. Eine halbe Stunde lang hat er auf mich eingeredet: „Du bist so lahm, wärst du doch zu Hause geblieben, geh´ ein Stückchen, ruh dich aus…“, und so weiter und so fort. Nicht hilfreich, ich hatte den ganzen Weg über einen gewichtigen Begleiter.

Das ist nicht immer so, aber ich weiß es vorher manchmal nicht. Mal sehen, welche Stimme nächstes Mal lauter ist.

Vorbereiten

„Unser Essen ist unkompliziert“, hatte ich vor Weihnachten noch über mein Weihnachtsessen geschwärmt, „Chicken Tikka Masala ist lecker und lässt sich gut vorbereiten.“ Merkwürdigerweise hatte mein Unterbewusstsein sowas wie „geht schnell“ abgespeichert. Als wäre die Tatsache der guten Vorbereitbarkeit ein Garant dafür, dass etwas wenig Arbeit macht. Wenn erstmal alles vorbereitet ist, stimmt es sogar: Dann muss man das Gericht nur noch aufwärmen, den Reis dazu kann man gut kochen und – wie ich von meiner Oma gelernt habe – zum Warmhalten ins Bett stellen.

Nicht bedacht hatte ich, dass dem Aufwärmen doch die eine oder andere (eben!!!) Vorbereitungsaktion vorangehen muss. „Gut vorbereiten“ beinhaltet, dass der Moment des Genusses vorentlastet wird. Die Last trägt man selbst noch immer, nur zu einem anderen Zeitpunkt. Wenn man zu diesem sonst nichts zu tun hat, ist es ja gut; das kommt nur unmittelbar vor Heiligabend nicht so oft vor.

Schlange-Stehen

Im Supermarkt an der Kasse anzustehen, macht mir nicht viel aus. Von einer Schlange in die andere zu wechseln, um doch ein bisschen schneller voranzukommen – es kommt mir nicht in den Sinn, weil ich den Sinn dahinter nicht verstehe: So eilig habe ich es wirklich (fast) nie.

Trotzdem profitierte ich letztens vom Schlange-Wechseln, das war witzig: In einem großen Drogeriemarkt kurz vor Heiligabend. Alle Kassen sind geöffnet, vor allen Kassen stehen mehrere Menschen hintereinander – als Schlange eben. Ich stelle mich an und darauf ein: Es wird dauern. Vor mir die Dame zögert ein wenig und wechselt dann auf die andere Seite des Eingangsbereiches. Dort ist eine Kasse, an der scheint es schneller zu gehen. Ich rücke auf. Noch zwei Personen vor mir wird ein Mann unruhig und schaut immer wieder rüber zur Kasse (beziehungsweise zur Schlange) nebenan. Schließlich wechselt auch er.

Seitdem erkenne sogar ich einen Sinn im Schlange-Wechseln…

Echt

Einer unserer Söhne hat in zwei Monaten Geburtstag und wird dann 16 Jahre alt. „Das ging jetzt echt schnell“, sagte er kürzlich. Wie bitte? „Na, das Leben bis heute, das ging echt schnell.“ Mit fast 16 findet er, dass das Leben schnell vergeht? In dem Alter habe ich auf Geburtstage noch 365 lange Tage gewartet, war ungeduldig, ein Jahr kam mir endlos vor. Meine Omas haben eher von der Kürze des Lebens gesprochen als ich.

Mittlerweile bin ich in dem Alter angekommen, in dem sich die Zeit deutlich schnelllebiger anfühlt als früher. Schon wieder ein Jahr vorbei, schon wieder ein Geburtstag, schon wieder Weihnachten und Jahreswechsel. Ein Jahr ist „echt kurz“.

Andererseits: Während ich drinstecke, fühlen sich Tage „echt lang“ an. Vollgepackt mit Aufgaben, Anforderungen, Gesprächen etc. Es ist kaum Zeit zum Innehalten. Bisweilen habe ich sogar den Eindruck, ich wäre in einer Endlosschleife gefangen – Tag ein, Tag aus der gleiche Trott. Durch dieses Gleichmaß der Tage entgeht mir manchmal, dass sich doch etwas tut: Menschen, Aufgaben und Umstände entwickeln sich weiter. Und plötzlich befinde ich mich in einer komplett anderen Lebensphase.

Das ist „echt krass“, wie man heute sagen würde.