Gelandet heißt nicht angekommen

Als ich nach England flog, landete ich in London Heathrow. Der Flughafen ist sehr groß, und ich dachte: Jetzt bin ich also angekommen in London. Von diesem Flughafen aus muss man noch eine Weile mit der Bahn oder U-Bahn fahren, um die Stadt selbst und viele andere Bahnhöfe zu erreichen. Die U-Bahn ist sofort voll: Alleinreisende, Familien, Geschäftsleute und jede Menge Koffer zwängen sich in die Wagen der U-Bahn-Linie Piccadilly Line. Es ist voll, aber erstaunlich ruhig. Eine gewisse Atmosphäre der Reise-Müdigkeit wabert durch den Wagen, einige sind am Handy, einige unterhalten sich gedämpft, aber insgesamt ist es trotz der Fülle still.

Einige Stationen später steigen drei Jugendliche dazu. Sie sind ohne Koffer unterwegs, London ist offensichtlich ihr Zuhause. Sie unterhalten sich – logisch. Was weniger logisch und vor allem weniger angenehm ist: Sie sind unglaublich laut und verbreiten in unserem Waggon eine unangenehme Hektik. Erst jetzt bin ich wirklich in London angekommen.

Hier so, da anders

Ein Urlaub erlaubt nur einen kleinen Einblick in und hinterlässt einen sehr unvollkommenen Eindruck von dem Ort, wo wir sind. Trotzdem: Hier im ländlichen Südengland und jetzt (Anfang Oktober) fällt mir im Gegensatz zu Deutschland auf:

Kaum einer benutzt ein Fahrrad. Spazierengehen mit dem Hund – ja. Joggen – bisweilen. Aber das Rad, um von A nach B zu kommen? Fehlanzeige. Ausnahme: Moutainbikes und Rennräder sind Sportgeräte.
Briefmarken gibt`s nach Farben sortiert, glaube ich. Rote – mit der Königin drauf – kosten 80 Cent pro Stück, das steht aber nicht drauf. Ich nehme an, blaue haben einen anderen Preis – ich weiß es aber (noch) nicht.
Bettdecken. Groß und mit extra Laken zwischen Decke und Mensch. Dieses ist für Ungeübte nachts entweder im Weg oder zu kurz.
Für Instant-Kaffee und Orangenmarmelade fehlen mir die Worte.
Auch als Fußgänger immer nach links ausweichen – sonst entschuldigen sich die Briten für die Beinahe-Kollision.
In Deutschland gibt es Wanderwege, hier gibt es „querfeldein“.
Regen? Erstaunlich wenig.
Tee. Können die Ostfriesen auch.
Postkarten – unschlagbar.
In Deutschland gibt es Supermärkte, die den Zuckergehalt in Nahrungsmitteln reduzieren wollen. Die Briten haben Chocolate Brownies…

(Unvollständige Liste.)

Draußen ist es schön!

Im Süden Englands gibt es einen kleinen Nationalpark – den New Forest. Das Besondere an diesem Landstrich ist, dass hier Pferde, Esel und Rinder von ortsansässigen Bauern frei herumlaufen und die gesamte Gegend als Weidefläche nutzen. Und als Schlafplatz. Und als Toilette – auch die Ortschaften. Draußen ist ihr Zuhause. Tagsüber teilen wir Menschen das gern mit ihnen, denn: Es ist eine schöne Gegend zum Spazierengehen, angenehm hügelig, mit Bäumen, Büschen und Wiesen. Ein bisschen müssen wir aufpassen wegen der Pferdeäpfel und Kuhfladen, aber sonst ist es wirklich schön.

Anfang Oktober und gegen Abend verändert sich das Licht ganz wunderbar. „Still senkt sich die Nacht hernieder“, heißt es in einem Lied. Das stimmt – still und schnell. Erst sieht alles grau aus, gleich darauf schwarz; außerdem wird es kalt und ungemütlich. Dann hat Mensch genug von „draußen“, freut sich über das Licht und die Wärme einer Unterkunft und wird vom Outdoor-Freund wieder zum Warmduscher. Pferde, Esel und Rinder bleiben, wo sie sind. Die sind immerzu „draußen zu Hause“.

Travel report, England – part 1

A very special holiday on my own unfortunately met with my this year`s experience of shingles. I started last Sunday and still felt rather sick. Because this trip had been planned a long time ago – with a flight and a place to stay all booked in advance – I didn`t feel the freedom to cancel last minute. So I went for it and hoped for the best. Hannover airport, check-in, luggage and the security check. I handed my ID over to a friendly but distanced looking police officer. Never once he glanced my way. So what. This was followed by an unspectacular flight from Hannover to London Heathrow – this overwhelmingly huge airport I had heard so much about but hadn`t been to in almost 30 years. Walking off the plane, walking on and on and on and finally queuing for my ID check. The man there took my ID, looked into my eyes, and said: „And you? You are traveling alone? That`s sad!“ And although I had chosen this kind of journey – alone, by plane and train and into the „Southern-English-Nowhere“: at this particular moment I felt mostly sick and tired and sad (fortunately not knowing yet, that this day would somehow stretch much further into a very long journey indeed). And this friendly man made me feel seen – and in a way not that alone anymore.

I must have looked as knackered and lost as I felt, so he asked me where I wanted to go from here. I told him that I needed to take a tube and the train to Southern England. And he put away my ID for a moment, took out an Oyster card (something I had heard about), and said: „My dear, you first get your luggage, than you go down and get yourself one of those and take the tube. There will be people helping you. Have a nice stay.“

I won`t forget his compassion and especially the time he took for meeting me with interest and encouragement. His job was to check the IDs of so many people before and after me, but still he made time for a short, but very personal encounter. Perhaps this was very „un-British“, but it was just what I needed!

Die Zeit vergeht

Wir waren in den vergangenen zwölf Monaten auf drei Silberhochzeitsfeiern; unser Ältester ist volljährig; und mir flatterte vor einigen Tagen eine Bescheinigung über meine künftig zu erwartende Rente ins Haus – inklusive der körperlichen Präventionsmaßnahmen, die man ergreifen kann und sollte, bevor das Alter zuschlägt…

Außerdem vorhin auf dem Parkplatz bei Edeka. Ein älterer mir bekannter Mann steigt aus seinem Auto und ruft mir zu: „Na, immer noch mit dem Fahrrad unterwegs.“ Ich erwidere, dass ich das wohl noch eine Weile so handhaben werde. Er entgegnet: „Das kann schneller vorbei sein, als man denkt.“

Jetzt erst recht, denke ich: Das Leben ist schön!

Kleiner Nachtrag zum Klimaschutz

Heute anstelle von Fridays For Future-Meldungen in der Tageszeitung: Die Leichtathletik-Weltmeisterschaft findet dieses Jahr in Katar statt. Diese Entscheidung war und ist umstritten. Als eine mögliche Lösung gegen die zu große Belastung der Athleten durch die Hitze wird ein ganzes Stadion klimatisiert…

Kann man mit Geld dann doch alles passend machen?

Äußerst selten?

In der Zeit geht es gerade intensiv um die „Fridays for Future“-Bewegung. Davon kann jeder halten, was er will – man findet in allem Positives und Negatives. Kürzlich wurde in der Zeitung ein 15-Jähriger zitiert, der sich engagiert und über das beschlossene Klimapaket der Großen Koalition aufregt – wie jeder andere Fridays for Future-Aktive derzeit. Befragt zum eigenen Beitrag zum Klimaschutz sagte er, er fliege `äußerst selten´. Daran blieb ich hängen: Äußerst selten, was heißt das? Wie häufig ist das?

Ich bin in meinem Leben bisher sechs Mal geflogen (nach meinem 15. Lebensjahr), dieses Jahr kommt ein weiterer Flug hinzu. Ist das schon äußerst selten? Ich kenne Menschen, die von Berufs wegen wöchentlich Wege mit dem Flugzeug zurücklegen; andere fliegen jedes Jahr ein- oder zweimal in den Urlaub nach Ägypten oder in die Türkei. Diese Flüge scheinen alternativlos zu sein: Wer kann schon wie Greta Thunberg drei Wochen Zeit darauf verwenden, überhaupt erst am Ziel anzukommen?!

Zudem: Die wenigsten würden wohl gern mehr Geld für Flüge bezahlen. Aber ich vermute, wer in Ägypten Urlaub machen möchte, wird es wahrscheinlich weiterhin tun. Die wenigsten fliegen aus Überzeugung wenig oder gar nicht. Wer nicht fliegt, kann es sich nicht leisten oder will nicht – und für diese beiden bleibt eine Flugpreis-Erhöhung letztlich folgenlos.

Vielleicht habe ich zu wenig Ahnung, was die Auswirkungen von Protestmärschen angeht. Kann sein. Allerdings betrachte ich die derzeitige Klima-Diskussion mit einer gewissen Skepsis. Ich will mich nicht als besonders ökologisch bezeichnen; auch mein Gewissen kann eine gewisse Schärfung gebrauchen. Aber tendenziell erscheint es mir so, als würden wir von „der Politik“ lautstark eingefordern, dass endlich etwas getan wird – ohne unseren eigenen (sehr persönlichen) Beitrag zu der ganzen Misere wirklich zu benennen und zur Debatte zu stellen.

Diejenigen, die schon eine Weile äußerst selten

das Auto nehmen,
Plastiktüten benutzen,
Fleisch essen,
Obst vom anderen Ende der Welt kaufen,
mit der halbjährlich wechselnden Mode gehen,
duschen oder baden,
fliegen,
Wäsche im Trockner trocknen,
Fertiggerichte essen
und so weiter,

fragen sich mit einem gewissen Kopfschütteln, durch welche weiteren „äußerst selten“-Maßnahmen sie ab sofort die Welt retten sollen! Noch dazu sind das auch diejenigen, in denen sich durch die derzeitige Diskussion trotzdem noch ein schlechtes Gewissen regt – auch wenn sie sich nur einmal alle zehn oder 20 Jahre in ein Flugzeug setzen.

Was vor 40 Jahren Luxus war, ist heute Standard. Im Grunde wäre es schon ein hilfreicher Start, wir würden leben, konsumieren und uns bewegen wie die Generation vor uns. Ich befürchte aber: Kaum einer will das! Auf „die Politik“ auszulagern, was wir durch unseren Lebensstandard auslösen – ich halte es nur für die halbe Wahrheit.

Ganz abgesehen davon, dass sich von den Protestmärschen derzeit höchstens die Industrienationen beeindrucken lassen, nicht aber (bevölkerungsreiche) Länder, in denen Umweltschutz weder oberste Priorität hat noch finanzierbar ist.

Der halbe Weg

„Der erste Schritt ist der halbe Weg“, heißt es. Stimmt. Ganz oft jedenfalls. Es ist keine Schande, wenn dieser einem schwerfällt. Unterwegs stellt man dann sehr oft fest: „Der Weg ist das Ziel.“ Und das Zögern vor dem ersten Schritt erscheint einem im Nachhinein unnötig. Einmal losgegangen entsteht eine eigene Dynamik. Einmal angekommen ist die Freude kurz – ein Ziel ist kein Ort zum Verweilen. Aus der schwierigen Entscheidung vor dem ersten Schritt wird im Nachhinein manchmal der – leicht arrogant klingende – Satz: „Kenn ich, weiß ich, war ich schon.“

Dabei überbewertet man dadurch vielleicht das Ziel – obwohl das „Dahinkommen“ viel länger dauert, uns viel mehr prägt, von viel größerer Bedeutung ist.

Vernünftig

Zum dritten Mal in meinem Leben habe ich eine Gürtelrose. Jedes Mal erwischt es mich ein wenig aus blauem Himmel: Dass man sich vielleicht zu viel zugemutet hat, merkt man ja oft erst im Nachhinein. Leider ist eine Gürtelrose ziemlich lästig und auch schmerzhaft. Man kann sie behandeln, aber vor allem sollte man sich schonen. Also: Weniger tun und stattdessen ausruhen oder spazieren gehen, alles Nötige langsamer angehen, haushalten mit den eigenen Kräften. Natürlich beuge ich mich dem Diktat der Erkrankung; ich bin ausgebremst. Allerdings nervt es mich, dass ich mich nicht so belasten darf, wie ich es gern tun würde – und auch denke, dass es nötig wäre.

Und siehe da? Es funktioniert! Es geht auch in einem langsameren Tempo; es gibt immer etwas, was man nicht unbedingt machen muss, sondern einfach sein lassen kann.

Ich nehme mir (wieder) vor, langfristig besser mit meinen Ressourcen umzugehen. „Vernünftig“ ist nicht unbedingt ein Adjektiv, das mich treffend beschreibt; und von guten Vorsätzen halte ich nicht viel. Aber gerade – sozusagen in der Akut-Situation – bin ich ganz vernünftig und voller guter Vorsätze…

Mutig?

Komischerweise war ich als junger Mensch trotz all meiner Unerfahrenheit einigermaßen mutig und draufgängerisch. Ich bin einfach allein losgezogen, habe nur grob geplante Urlaube beziehungsweise längere Auslandszeiten in Angriff genommen, einen Job ohne Alternative gekündigt, wildfremden Menschen Dinge geliehen, bin per Anhalter gefahren. Vielleicht ist das nicht mutig, sondern einfach nur angstfrei, weil jugendlich unbedacht. Auf jeden Fall hat es mich mit großer Unbeschwertheit viel erleben und gute Erfahrungen machen lassen: Dass es immer irgendwie weitergeht, zum Beispiel, oder dass manche Schwierigkeit im Nachhinein deutlich kleiner aussieht als vorher. Nicht zuletzt, dass ich in den Zeiten des größten Alleinseins Gottes Nähe am stärksten spüren konnte.

Auf jeden Fall ist es heute anders. Als mutig würde ich mich nicht mehr bezeichnen. Außerhalb gewohnter Bahnen traue ich mir wenig zu. Ich erlaube Bedenken, meinen Mut zu verringern – und bedaure das sehr.

Zum einen liegt es wohl am Alter: Jugendliche Unbeschwertheit ist dem Bedürfnis einer mittelalten Frau gewichen, erst nachzudenken und dann zu handeln. Zum anderen ist seit Jahrzehnten mein Lebens-Radius eng und klar begrenzt – sowohl räumlich als auch hinsichtlich der alltäglichen Herausforderungen. Mit Unbekanntem und Neuem muss ich mich nur selten befassen. So bequem das ist, so einengend kann es sich auswirken. Ich persönlich finde das schade und habe beschlossen, mir Mut zurück zu erobern. Für eine Woche lasse ich meinen Alltag los und werde mich allein aufmachen. Meine persönliche Auszeit. Ich fühle mich nicht mutig, aber ich mache es trotzdem und bin gespannt, was passieren wird.