Erschreckende Tyrannei

Vor einigen Monaten war in der Presse von der `Tyrannei der Ungeimpften´ die Rede: ein scharfes Urteil. Man wusste damals manches nicht, was man heute weiß – unter anderem dass gegen Corona geimpfte Menschen andere trotzdem anstecken können. Dazu herrschte ein großer Druck, etwas zu tun, ohne alle Zusammenhänge genau zu kennen. Die Formulierung passte in die Zeit und zu der Atmosphäre, die herrschte. Trotzdem hielt ich sie für mehr als unglücklich: Sie diffamiert und verurteilt Menschen, die etwas NICHT tun – und sie ist unbarmherzig. 

Heute wissen wir mehr. Und deshalb wünschte ich mir im Nachhinein eine Korrektur (nicht nur) dieser übers Ziel hinausschießenden Phrase. Leider passiert das nicht – im Gegenteil!

„Die Tyrannei der Ungeimpften? Dazu stehe ich“, lese ich in einem Interview mit demjenigen, der den Begriff damals prägte. Spätestens jetzt ärgere ich mich. Es war Zeit genug, sich zu informieren und zu reflektieren – wenn schon nicht über manche Entscheidung, dann zumindest über das Wort Tyrannei. Bei Wikipedia heißt es: `Als Tyrannei bezeichnet man in stark abwertendem Sinn eine als illegitim betrachtete Gewalt- und Willkürherrschaft eines Machthabers oder einer Gruppe.´ Diktatoren gelten als tyrannisch – gewaltbereit, willkürlich und oft illegitim an der Macht. Die meisten Ungeimpften dagegen waren weder willkürlich noch übten sie Gewalt aus; sie ließen sich lediglich – ganz legitim – nicht impfen. Dennoch wurden sie abgewertet, ausgegrenzt und wie Geächtete behandelt – offiziell und oft auch im privaten Umfeld. An manches erinnern wir uns kaum noch. Wir vergessen schnell, dabei hat mehr gelitten unsere Gesundheit: Einige Menschen sind sich nicht mehr sicher, dass es legitim ist, eine eigene Meinung zu haben.

Für mich persönlich beinhaltet das Wort Tyrannei weiterhin den Schrecken gewaltbereiter Diktatoren. Gleichzeitig denke ich daran, wie leichtfertig es in den vergangenen zwei Jahren `Otto Normalverbraucher´ von nebenan zugesprochen wurde. Dass sich im Dezember 2022 der eine oder andere noch immer nicht von dieser Formulierung distanziert, geschweige denn dafür entschuldigt, finde ich auf andere Weise erschreckend.

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