Christus und ich

Eine Frage, die mich seit einigen Jahren immer wieder beschäftigt, ist die nach der Berechtigung von Unzufriedenheit in meinem erfolgreichen, gesegneten Leben als langjährige Christin in einem reichen Land, in dem ich weder verfolgt noch aufgrund meines Glaubens bedroht werde. Ich weiß, dass Unzufriedenheit mit Undankbarkeit zu tun hat und nichts Positives bringt. „Sei dankbar in allen Dingen“, heißt es in der Bibel; und das stimmt ja auch wirklich, das tut mir ja auch gut. Ich höre oft, dass mit Gott alle Mauern zu überspringen sind, dass ich in IHM und mit IHM alles habe, was ich brauche, dass Dankbarkeit der Schlüssel zur Zufriedenheit ist und solche Dinge. Aber im ganz normalen alltäglichen Leben ist Gott eben nicht so häufig gleich und einfach zu erfahren. Manche Lebenswendungen erklären sich mir bisweilen auch nicht im Nachhinein – so sehr ich mich mühe, ihnen Gutes abzugewinnen. Und dann gibt es sie eben doch, diese leise Stimme, die sich hin und wieder in mir zu Wort meldet: `Es geht mir nicht so gut, wie ich es gern hätte. Ich bin unzufrieden oder sogar unglücklich, ich möchte aus meinem Leben ausbrechen, auch wenn es noch so viele sehr beneidenswerte Umstände gibt, in denen ich lebe.´ Zunächst bin ich versucht, diese Stimme zum Schweigen zu bringen, weil sie so undankbar klingt und so unheilig und so ungeistlich – und es vielleicht ja auch ist. Aber nach einiger Zeit kommt sie wieder; und immer mehr habe ich den Eindruck, ich müsste mich ihrem Reden stellen.

Zwischen Pro und Kontra

Ich bin verheiratet – ein Umstand, den sich viele wünschen und nicht haben, ich weiß. Aber das ist eben auch anstrengend. Ich habe zu Dingen eine andere Meinung als er, wir müssen uns einigen. Kompromisse sind nicht immer einfach und eben auch genau das – Kompromisse. Ja, mein Mann hat Werte und Prinzipien, unterstützt und liebt mich etc.
Dennoch gibt es manchmal eine Sehnsucht in meinem Innersten nach genau den Eigenschaften und der Art Verständnis, die er eben nicht mitbringt. Klar, ich kann mir genügen lassen an dem, was ich habe, kann dankbar sein. Aber ich darf mir auch zugestehen, dass es da ein kleines Defizit gibt, dass ich mich unverstanden fühle und nach 20 Ehejahren im Alltag zu wenig bewundert, zu wenig bestaunt (auch wenn dem de facto gar nicht so ist).

Ich habe Kinder – ebenfalls ein Segen, der nicht allen zuteil wird. Und wahrscheinlich kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, was es heißt, in diesem Bereich jahrelang auf Erfüllung starker Wünsche zu warten und zu hoffen, darum zu beten, und letztlich doch ohne Kind dazustehen. Wie schwer muss es sein, trotzdem noch Gott als den liebenden Vater zu kennen, der weiß, was gut ist für mich – wo es mir doch gar nicht gut damit geht!
Andererseits verändern Kinder ein Leben eben so umfassend, dass nicht nur Erfüllung auf der Liste steht, sondern auch Verzicht. Verzicht auf Selbstbestimmung, manchmal jahrelang. Verzicht auf Freiheit und Spontaneität, vom Verzicht in finanzieller Hinsicht, den einige noch dazu zu tragen haben, ganz zu schweigen. Verzicht vielleicht auch auf eine Arbeit und Karriere, die mich erfüllen würden, für die ich begabt wäre. Und manchmal sehe ich nur diese Seite der Medaille und fühle mich älter werdend und betrogen um Anerkennung im Beruf, eigenes Geld, Feierabend, kinderfreie Zeiten oder Zonen in meiner Wohnung, meinem Haus.

Zwischen Ist und Soll

Ich habe so viel, was andere nicht haben. Ich könnte, nein, müsste so unsagbar glücklich und zufrieden sein. Bin ich auch meistens. Mein Jammern findet auf einem sehr hohen Niveau statt. Aber auch in meinem so optimal laufenden Leben gibt es eben Dinge, die mich anstrengen und ermüden, die mich frustrieren und enttäuschen und in denen ich Jesus erstmal nicht erlebe. Er ist in allem drin und immer an meiner Seite, das weiß ich, aber ich merke es eben nicht immer. Jedenfalls kommt es bei mir nicht an. „Lass dir an meiner Gnade genügen“, das ist eben schwierig in der Praxis, das erlebe ich nur manchmal, das sind Sternstunden. Häufiger sind die Zeiten, in denen ich das durchbuchstabiere, wie wir Christen es oft so schön formulieren, und sich das dazugehörige gute Gefühl trotzdem nicht einstellt. Es bleibt beim Verstandeswissen, es rutscht nicht ins Herz. Dann möchte ich mir nicht am unsichtbaren und nicht greifbaren Jesus genügen lassen, sondern direkte Erfüllung meiner Wünsche und Bedürfnisse. Und schon fühle ich mich nicht dankbar, sondern muss mich dafür entscheiden, dankbar zu sein.

All das klingt nach einer sehr unzufriedenen Frau. Ist mein Glas immer nur halb voll? Nein, überhaupt nicht. Meist bin ich gut drauf, schenkt Gott Gelingen, kann ich dankbar sein von „ganz allein“, verstehe ich mich gut mit Mann und Kindern, habe Freunde und fühle mich so unsagbar wohl in meinem Leben. Diese anderen Momente sind selten, aber vorhanden – und mir drängt sich die Frage auf, ob diese anderen Momente nicht aber eben diejenigen sind, in denen sich mein Christsein bewähren sollte.

Stattdessen gewinne ich zunehmend den Eindruck, in meinem Leben kaum einen Unterschied zu machen. Sehen Menschen Jesus, wenn sie mich sehen? Lebe ich anders, streite ich anders, erziehe ich anders, verzeihe ich anders, bin ich anders zufrieden? Bin ich Salz für diese Welt oder wenigstens für meine Nachbarn? Gehe ich anders um mit den Unwägbarkeiten meines Lebens, mit meinem Frust, mit meinem Stress, mit den Dingen und Menschen, die mir auf den Keks gehen? Ich hoffe es, aber oft merke ich nichts dergleichen.

Mit den Jahren, in denen ich mich besser kennenlerne, fällt es mir auf, dass der größere Teil meiner Erdenjahre über meine Kraft hinaus herausfordernd ist, dass dieses oft so wunderbare Leben hier nur ein Abklatsch sein kann von dem, was noch kommt. Das hoffe ich zumindest. Die Momente des Einsseins mit Gott, der Gottesbegegnung sind eben Momente und nicht die Regel. Gott macht sich mir so fremd, so unabhängig; seine Erhabenheit und Unerreichbarkeit drängen sich fast schmerzhaft in mein Bewusstsein. Mir jedenfalls gelingt es nicht, eine Dauergemeinschaft mit ihm herzustellen oder vielleicht auch zuzulassen und auszuhalten, weil ich eben doch so sehr Mensch bin.

Ich weiß nicht, was die Ursache ist. Ich höre in mich rein und sehe in die Abgründe meiner Seele. Ich bin egoistisch, heuchelnd, unversöhnlich, leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen (und was weiß ich noch) und eben auch manchmal unzufrieden – und ich werde ohne (und vielleicht sogar trotz) Jesus immer genau das bleiben. Nichts davon kann ich willentlich abstellen, manches davon lebe ich ganz bewusst aus, wenn auch nur in Gedanken. Da bin ich ganz Teil dieser Welt und scheine mich auch nur minimal von ihr abzuheben – wenn überhaupt.

Dennoch!

Macht mich das zu einem schlechten oder unreifen Christen? Habe ich mich vor 25 Jahren nicht schon deutlich weiter gefühlt, deutlich heiliger und besser? Wenn es so weiter geht, empfinde ich meine geistliche Entwicklung als eher rückläufig. Und ich bin ein bisschen gespannt, was noch so alles offenbar wird in mir. Und wie Jesus damit umgehen wird.

Das ist nämlich die Kehrseite: Jesus wird mir ferner und näher zugleich. Ich staune anders als früher darüber, dass ich angenommen bin und geliebt, dass Jesus stirbt für meine Schuld, von der ich so viel mehr wahrnehme als vor 25 Jahren. Ich erlebe, wie individuell seine Wege mit uns sind, wie einzigartig (und oft auch schwer vermittelbar) unsere Gottesbegegnungen und wie viel Veränderung er eben doch schenkt in mir. Und DAS ist etwas, worin ich dann doch geistlich gesehen erwachsener werde und entspannter und über Gott juble: Er erreicht mich da, wo ich bin, und so, wie ich es brauche und tut tatsächlich etwas: Meine Rechthaberei hat über die Jahre weichere Züge angenommen, meine Bereitschaft, den ersten Schritt zu machen, ist gewachsen. Mit meinen nicht erfüllten Bedürfnisse gehe ich öfter schon mal früher ins Gebet und zu Jesus und erfahre den Frieden darüber, den eben nur er schenken kann. Es gäbe noch andere Beispiele. Nur eins: Ich bin viel dankbarer geworden für vermeintliche Selbstverständlichkeiten und nehme diese für das, was sie sind – ein Segen, ein unverdientes Geschenk. Meistens. Die noch immer auch vorkommenden Zeiten der Unzufriedenheit müssen wir beide aushalten – Christus und ich.

Dear English,

we´ve known each other for quite some time. I got officially introduced to you, when I was about twelve years old – much later than nowadays usual. Instantly I fell in love with you. You know, that German is my mother tongue. It is normal for me, a great tool to communicate and often more than just words: I know, that I can transport facts with them as well as interest, knowledge, curiosity and even emotions. Other people´s German I can really admire or enjoy – in Newspapers, in books, by people who are eloquent, funny, quick-witted. I like to deal with words myself, I like how they sound, how special phrases make me laugh or thoughtful.

But another kind of smile crosses my face when it comes to you – the English language. You are my real passion (language-wise). I am not as fluent as in my mother tongue and it´s not as easy going for me to speak or write in English as I wished. But still – I am simply fascinated by you and enjoy your company: I like listening to you, reading books, watching movies – and I am even ready to sacrifice my claim for the contents of a text just for the sake of you. If it wasn´t for you I wouldn´t have „met“ Minette Walters for instance. I don´t especially like crime novels, but with you I read them anyway – and enjoy you along the way, certain wordings I understand and admire but don´t actively use myself.

You broadened my horizon: A whole world of people, books, interviews, thoughts, ideas opened up to me through you. Expressions like ´pugnacious`, ´oblivious` or ´to get carried away`, to name only very few, expand my ability to describe my disposition or my feelings – and often make me smile.

You are generous: Even when I lack the right words (because I never studied you properly and probably never will get the chance to do so) I will always find a way to say what I want. You don´t mind, if it´s sometimes a bit off the mark: With you it´s not about perfectionism, it´s about being together and being honest and trying anyway.

You are patient with me: When Jonny Lee Miller as Sherlock Holmes speaks as fast as a shot gun, Tom Hanks as Charlie Wilson articulates almost beyond recognizability or Gary Lewis as Billy Elliot´s father Jackie pronounces his sentences as only a real Durham mineworker can – I still get it. There will be something left for me what I can understand, some phrases still sound in my brain after the words have long been spoken – and I understand. I don´t need a translation to know, what the story was about.

You are sometimes beyond my grasp – and still my friend: Lionel Shriver´s use of you in „We need to talk about Kevin“ took me to the limits of my skills, but I finished the book and even liked the challenge.

Your are forgiving: My days are filled with German words, different tasks, even some long stretches of silence. You seem to bide your time, wait for the moment of all moments when I grab an English book, write a mail to an English friend or get a phone call – and my enthusiasm is back, you fascinate me and don´t make yourself rare or refuse to be understood.

You remain full of surprises: There always are and always will be new words, unknown expressions and the whole area of complicated grammar, irregularities, the special use of tenses – to name only a few: I often discover something I don´t have a clue about. After a sometimes initial sigh deep in my heart about my hopelessness to master you I start to enjoy even those hardships. They are rather an enrichment than a difficulty to me.

You are more than a language, more than a challenge for my brain: You touch a chord inside of me, my soul enjoys your presence, my mood lifts up, when you are around.

You are like a soul mate to me. There is no reasonable explanation and this is silly, I know, but that´s how I am wired – as it is with any other loving relationship. I was lost, when I met you, my fascination was there from the start as a teenager in school and it has grown over the years. And I am sure it will stick with me until I die or stop being able to use my brain. Although I am far away from being perfect I will go on applying you, listening to you, spending time in your presence and trying to learn more about you. I simply love you! Thanks for being my companion and friend.

Lots of love,
Dagmar

PS: Thanks for reading up to the end in spite of my inadequacy – especially concerning the punctuation!

Gleichberechtigung – geht alles gar nicht?

Als ich noch nicht wieder an Berufstätigkeit dachte …,
aber schon wieder Zeit zum Denken hatte.

Folgender Text war ein Kommentar zum Artikel „Geht alles gar nicht“ von Marc Brost und Heinrich Wefing in der ZEIT vom 30. Januar 2014.

Interessant und lobenswert finde ich Ihren Artikel zum Stress der heutigen Väter, die sich mit ihren Rollen als solche zurecht finden müssen in einer Welt, in der sie außerdem noch Ehemänner und Berufstätige sind. Und es ist in der Tat schön, wenn jemand den Stress einmal beim Namen nennt, den die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für alle Beteiligten erzeugt. Auch dass der aus meiner Sicht völlig überstrapazierte Begriff der Qualitäts-Zeit von seinem Heiligenschein befreit wird, gefällt mir.

Sie schreiben, wir wollten Gleichberechtigung; es sei gut, dass Frauen das gleiche Recht auf Karriere hätten. Haben sie doch. Nur geht das zulasten der Familie, wie Sie richtig bemerken. Aber – heißt Gleichberechtigung wirklich, dass wir alle die gleichen Aufgaben zu gleichen Teilen wahrnehmen? Und – geht das überhaupt, oder müssen wir an diesem Anspruch unweigerlich scheitern, weil wir eben nicht gleich veranlagt, gleich begabt, gleich interessiert sind? Also haben wir anstelle der Vereinbarkeit von Familie und Beruf deren Unvereinbarkeit und daraus folgend wohl die einzig logische und vielfach praktizierte Konsequenz – dass gerade hoch qualifizierte Frauen sich gegen Kinder entscheiden.

Zu dieser Kategorie gehöre ich wohl auch – habe ich doch zumindest einen Hochschulabschluss, danach noch eine Ausbildung, aber in beiden Berufen habe ich kaum gearbeitet, sondern spät – wie sollte es anders sein – mit Anfang 30 mein erstes Kind bekommen. Fünf sind es geworden, wofür ich dankbar sein kann, weil die Gesellschaft und die Frauen um mich herum nicht erwarten, dass ich das mit einem Job noch hinbekomme und ich mich somit kaum diesbezüglichem Druck ausgesetzt fühle. Mein Jüngster ist noch im Kindergarten, mein Zeitfenster noch sehr klein; aber seien wir ehrlich: Wie soll ich als Mutter von egal wie vielen (kleinen!) Kindern überhaupt einer Arbeit nachgehen, ohne sowohl bei der Arbeit als auch in der Familie nur noch halb anwesend zu sein? Von meiner Rolle als Ehefrau mal ganz abgesehen.

Es mag ja mit ein bis zwei Kindern noch eine gewisse Vereinbarkeit existieren, aber auch hier habe ich meine Zweifel. Jedenfalls kenne ich in meinem Umfeld kaum Familien, in denen es gut klappt, wenn beide Eltern arbeiten gehen. Das halbe Leben scheint mit dem Organisieren der Kinder angefüllt zu sein – von der von Ihnen beschriebenen spontan auftauchenden Grippe in der Tat mal ganz zu schweigen. Solange alles läuft, in Ordnung. Aber wie lange läuft denn alles normal, wenn Kinder zu sehr sich selbst überlassen bleiben, wenn beide Eltern Terminen hinterher rennen, wenn meine Aufmerksamkeit als Mutter immer eine geteilte sein muss, damit ich auf dem Arbeitsmarkt mithalten kann?

Wenn es finanziell nicht anders geht, kann man wohl froh sein, dass beide Partner Arbeit haben. Ist das Finanzielle keine Frage, muss man sich jedoch fragen lassen, was die Motivation ist, sich Stress ins Haus zu holen, obwohl das der einzige Ort ist, an dem man dem Stress, den unsere Kinder heutzutage spüren, entgegenwirken kann.

Einen wichtigen Aspekt finde ich nebenbei noch: Was ist mit den Frauen, die keine Karriere machen wollen? Sind die deswegen nicht gleichberechtigt? Sind die rückschrittlich, altmodisch, Auslaufmodelle, wie einer Freundin von mir schon bescheinigt wurde, weniger mit der Zeit gehend? Ist die Aufgabe, die eine Nur-Mutter wahrnimmt, eine gleichermaßen berechtigte Tätigkeit? Meiner Wahrnehmung nach nicht. Sie muss erledigt werden, sie wird im allgemeinen nicht vergütet, und sie hat einen deutlich geringeren ideellen Stellenwert.

Ist es wirklich so, dass bestimmte Karrierewege nur lückenlos beschritten werden können? Und – sind das dann auch meine Wege? Lebe ich im Morgen, wenn ich eine bestimmte Stufe endlich erreicht haben werde, oder lebe ich im Heute, in dem meine Kinder mich einige (wenige) Jahre intensiv brauchen? Ist das auch ein mich erfüllendes Leben? Ich persönlich bin sicher nicht diejenige, die ihre Selbstverwirklichung im Kochen und Putzen findet, trotzdem bin ich nicht berufstätig, sondern investiere meine Zeit in meinen Nachwuchs. Dabei zahle ich ebenso einen Preis wie Sie.

Ich empfinde es als Vollzeitjob, meinen Kindern die Prägung mitzugeben, die mir wichtig ist, ihnen in der Schule helfend zur Seite zu stehen, Ansprechpartner zu sein, wenn sie das denn wollen und brauchen – was nicht unbedingt immer in oben erwähnter Qualitäts-Zeit vorkommt (und überhaupt selten, wenn es MIR am besten passen würde).

Mein großer Vorteil ist: Ich erlebe die Freude meiner Kinder über gelernte Dinge, erreichte Ziele, teile ihre Enttäuschungen, muss die auftauchenden Konflikte aushalten – wie jede andere Mutter auch –, bin aber meist mit dem ganzen Ohr dabei.

Mein großer Nachteil: Ich kann eben nichts anderes machen. Ich erfahre keine außerhäusige Anerkennung, meine Rente steigert sich – wenn überhaupt – nur spärlich, meine Aussichten, an diesem Zustand jemals etwas zu verändern, sinken mit jedem Jahr weiter ab. Und wenn ich Pech habe, komme ich in der gesamten Diskussion über Gleichberechtigung überhaupt nicht vor!

Was ich später einmal machen werde beruflich? Keine Ahnung, noch nicht jedenfalls. Das ist das eigentliche Problem, finde ich. Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht schwerlich (oder gar nicht, wie Sie feststellen) mit kleinen Kindern. Mit größeren Kindern sieht die Sache sehr anders aus, nur bin ich dann als bisherige Nur-Mutter zu lange aus dem Job/dem Thema raus und werde entsprechend nicht mehr eingestellt. Dabei wäre ich mit selbständigerem Nachwuchs zuverlässiger bei der Arbeit, sicherlich hoch motiviert und mit ganzem Herzen dabei. Arbeitgeber zu unterstützen, älteren Frauen eine berufliche Chance zu bieten, das wäre doch vielleicht eine langfristige und schlaue Investition. Dass wir ohne Anerkennung dennoch treu unseren Job machen, wiederkehrende Routine-Arbeiten klaglos erledigen und in der Lage sind, die eigenen Bedürfnisse nicht immer zu wichtig zu nehmen, haben wir dann ja schon zur Genüge bewiesen.

Ganz sachlich

Es fällt mir schwer, ganz sachlich über etwas zu schreiben – schon verkehrt. So kann man nicht anfangen, wenn man ganz sachlich bleiben möchte. Schwerfallen ist kein Wort für einen sachlichen Text. Nochmal.

Rein sachliche Aussagen wirken oft blutleer und flach, ihnen fehlt die Tiefe. Dennoch können sie wahr sein und richtig und damit kaum anfechtbar – ein bisschen wie Menschen, die sich korrekt verhalten, das Gesetz beachten und allgemeine Regeln befolgen. Das funktioniert eine Weile sehr gut, in der Auseinandersetzung mit lebendigen Menschen wird es allerdings irgendwann schwierig. Ich jedenfalls weiß nicht, wie man so durch´s Leben kommen kann, aber es muss gehen. Oder?

Und schon wieder habe ich nicht sachlich geschrieben, sondern wertend – alles, was da steht, klingt ein wenig ab-wertend. Bin ich deswegen kein sachlicher Mensch?

Männern wird nachgesagt, eher die sachlichen Typen zu sein, Emotionen gar zu vernachlässigen. Ob das immer so stimmt, vermag ich nicht zu sagen; aber meine Erfahrungswerte bestätigen es in vielen Fällen. (Deshalb sind Männer auch völlig aufgeschmissen, wenn es um weinende Frauen geht, um unlogische Argumentationsweisen – und nebenbei gesagt auch um Einkaufzettel, auf denen nicht alles drauf steht, was aber ein anderes Thema streift.) Sachargumente sind oft schwerwiegend in Diskussionen. Es gibt Menschen (Männer?), die behaupten, ohne erwiesene Argumente könne man nicht miteinander diskutieren. Da fehle dann die Grundlage, sagen sie.

Auf der anderen Seite der Skala befindet sich – wer? Der emotionale Typ? Was macht den aus, wie erkennt man den? Ich glaube, das stimmt nicht: emotional ist nicht das Gegenteil von sachlich, unsachlich ist das Gegenteil von sachlich – und das hat vor allem mit negativen Emotionen zu tun.

Unsachlich also, was ist unsachlich? Wenn man mal so, mal so argumentiert? Wenn man andere nicht ausreden lässt? (Wie heutzutage in so mancher Talkshow nicht nur üblich, sondern geradezu nötig, falls man überhaupt zu Wort kommen möchte.) Wenn man lügt und alle möglichen Register zieht, um in einem Gespräch als Sieger hervor zu gehen? Unsachlich hat viele Varianten – von perfide, fast unmerklich bis hin zu offenbar und rücksichtslos, und ich weiß nicht, welche die schlimmste ist. Hinterher bleibt dann ein schales Gefühl zurück, ein G´schmäckle, wie der Schwabe sagen würde. Eins fühlt es sich jedenfalls nicht an – gut.

Wobei wir beim Fühlen sind: Empathische Gespräche gibt es nämlich auch noch, die sind aber viel schwieriger. Da geht’s dann weniger ums Faktentauschen als ums Reden, Zuhören und im Grunde um Beziehungsbau. Das ist auch nicht jedermanns Sache und ganz schön schwer. Fakt ist: Es sind die Austausch-Runden am besten, in denen beides vorkommt: klare Kommunikation der Fakten, Empathie für den Gesprächspartner, dranbleiben, nicht zurückziehen, wenn´s schwierig wird, Kritik hören wollen und annehmen, Emotionen wahrnehmen und zugeben. Persönlich anwesend sein, aber nichts persönlich nehmen, dem anderen Raum geben.

Was lehrt mich dieser Text? Nur „sachlich“ schreiben kann ich nicht so gut, und bei den empathischen Gesprächen habe ich noch Luft nach oben.

Wahrheit Weißensee?

Ich komme aus dem Osten – und meine damit die ehemalige DDR.  Als ich letztens beim Einkaufen diese Bemerkung fallen ließ, reagierte eine Mitkundin sofort: „Oh, ich schaue ja gerade `Weißensee´, das muss ja schwierig gewesen sein. Wem konnte man denn da vertrauen? Ich hätte das ja nicht ausgehalten.“

Interessant. Sicherlich war auch meine Familie bei der Stasi registriert; denn wir „hatten Westkontakte“, und das hat ja im Grunde schon gereicht, um dem Staatsapparat suspekt zu sein. Aber was ich meiner Ost-Vergangenheit eher zu verdanken habe als allgegenwärtiges Misstrauen, sind bestimmte Erinnerung, die mich zum Teil heute noch prägen:

Die Schulspeisung, an die sich wohl jedes Ost-Schulkind erinnert und die – obwohl sie mir nicht immer geschmeckt hat – es mir heute schwermacht, am Essen herumzumäkeln.
Beziehungen, die heute und hier im Westen auch noch nur demjenigen schaden, der keine hat – nur eben nicht mehr in Bezug auf Dachpappe, sondern eher hinsichtlich der beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten, dem Ergattern von zeitnahen Arztterminen…
Meine Omas, die aus allem irgendwie Essbaren Kuchen, Eingekochtes oder Eingelegtes zauberten, das uns über die langen obst- und gemüsearmen Winter gebracht hat.
Meine Fähigkeit, mich auch mit Menschen verbindlich zu verabreden, ohne mit ihnen zu telefonieren.
Meine Angst vor Verkehrspolizisten, die sich erst im Laufe vieler Jahre in einen gesunden Respekt verwandelt hat. Heute kann ich bei einer Verkehrskontrolle auch trotz vergessenen Führerscheins ruhig und fröhlich bleiben, ohne damit zu rechnen, zur „Klärung eines Sachverhaltes mit auf die Polizeistation“ gehen zu müssen.
Freude über farbige Kleidung und weiß gestrichene Häuser.
Im Nachhinein eine fast grenzenlose Bewunderung, dass meine Mutter dasselbe Blei-Lametta jedes Jahr wieder auf den Weihnachtsbaum gehängt hat. Zwar benutze ich kein Lametta, aber Dinge zu entsorgen, die noch taugen, fällt mir schwer.
Nicht abwählbare Abiturfächer. Sind sie die Ursache dafür, dass mir die Angebotsauswahl in manchen Groß-Supermärkten nicht nur auf den Keks geht, sondern mich schlicht überfordert?
Sportunterricht, zwölf Jahre lang: im Winter Gymnastik und Ballsportarten, im Sommer Leichtathletik.
Eine Abneigung gegen Wegwerfgeschirr – auch wenn es bei größeren Menschengruppen praktisch sein mag.
Ein Lächeln an Kreuzungen mit einem grünen Pfeil.

Die Aufzählung ist unvollständig, natürlich. Und total subjektiv. Wir im Osten Aufgewachsenen sind eben auch nicht alle vom selben Schlag – da gibt es Unterschiede:
Dagebliebene und Weggegangene,
die mit und die ohne Westkontakte,
die Linientreuen, die weniger Linientreuen und die eindeutig Oppositionellen,
zur Wende noch Kind oder schon erwachsen,
etc.

Ich persönlich habe Gutes mitbekommen und sicher auch manch ungute Prägung. Aber ich kann wirklich nicht sagen, dass ich grundsätzlich misstrauisch bin, wer mich wo verpfeifen könnte.

So werden wir alle denselben Film schauen können, aber etwas anderes wird uns ansprechen. Unsere eigenen Erfahrungen machen es möglich, dass wir Stilmittel wie Übertreibung, Einseitigkeit und Ironie erkennen oder eben auch nicht. „Weißensee“ zeigt nur einen Aspekt, berechtigt und im Kern sicherlich wahr; dennoch bleiben derartige Filme vor allem eins – Filme, Fiktion. Sonst hießen sie ja Dokumentationen!