Missverständlich

Wenn ich jemanden frisiere, wasche oder schminke, kann ich sagen: „Warte, ich bin noch nicht fertig mit dir.“ Dann wird der- oder diejenige sich gern noch ein wenig gedulden.

Wenn ich jemandem den Kopf wasche oder die Visage poliere, kann ich sagen: „Warte, ich bin noch nicht fertig mit dir.“ Dann wird der- oder diejenige nicht geduldig darauf warten, dass ich fortfahre.

Es gibt nicht viele Sätze, die man so derart unterschiedlich verstehen kann!

Schlechte Hausfrau

Bei der Arbeit erzähle ich, dass ich Tiefkühlpizza kaufen möchte, weil diese gerade im Angebot ist. „Du kaufst Tiefkühlpizza?“, fragt mich eine Kollegin, „Ich dachte gar nicht, dass du so eine schlechte Hausfrau bist.“ Es klingt entrüstet, ist aber nur halb ernst und auf keinen Fall böse gemeint. Tiefkühlpizza habe sie noch nie gekauft, schiebt sie noch hinterher. Vorher hatte ich schon offenbart, dass ich nicht nähen kann – und es auch nicht lernen will. Meine Gesprächspartnerin kann es natürlich. Beides ist mir egal, denke ich. Also lächle ich und freue mich über ein schnelles Abendbrot im Notfall und die tolle Schneiderin, die ich kenne.

Auf dem Weg nach Hause geht mir das kurze Gespräch nach: Ist es mir wirklich egal, als schlechte Hausfrau zu gelten? Was ist das eigentlich, eine schlechte Hausfrau? Alles eine Definitionsfrage, ich weiß, aber dennoch rechtfertige ich mich innerlich: Hat meine Kollegin die letzten zwei Jahrzehnte jeden Tag für ihre Familie gekocht oder nur am Wochenende? Ich mache halt lieber mit den Kindern Sport, als dass ich für sie nähe – das ist doch genauso gut, oder? 

Es ist interessant, welche Mechanismen in Gang gesetzt werden, wenn jemand beurteilt, was ich tue oder bleiben lasse. Ich hätte es lieber, dass Kritik von mir abprallt und mich nicht erschüttert. Aber das gelingt mir wohl nur in Ausnahmefällen – wenn es zum Beispiel nicht um meine Hausfrauenehre geht.

Heiß Wasser

Eine Mitarbeiterin an der Wurst-Theke will abspülen und braucht heißes Wasser. Aus dem Hahn kommt offenbar nur kaltes; sie hat ihn ganz aufgedreht. „Der Boiler ist ganz leer“, sagt ein Kollege zu ihr, „bis der wieder voll ist, das dauert. Du musst warten.“ „Mach ich“, sagt sie, lässt das Wasser laufen und dreht sich zu mir – was ich gern hätte? Ich bin irritiert, nenne ihr aber meine Wünsche. Während sie Wurst für mich in Scheiben schneidet, bittet sie einen anderen Kollegen, die Wärme des Wassers zu testen. „Noch nicht warm“, ruft der – wie zu erwarten.

Das Geräusch des strömenden Wassers macht mich ganz kirre. „Denken Sie, es geht mit dem heißen Wasser schneller, wenn Sie das kalte laufen lassen?“, frage ich vorsichtig. Sie schaut mich verständnislos an und fragt, was ich noch wünsche. Ich bestelle meinen Lieblingskäse. „Wahrscheinlich macht es keinen Unterschied, ob Sie das Wasser laufen lassen oder nicht“, schiebe ich hinterher. Als sie mit dem Käse fertig ist, macht sie endlich den Hahn zu. Mindestens vier Minuten hat das ganze gedauert – ich bin gleichzeitig erleichtert und fassungslos.

Deutschland rettet die Welt, denke ich. Wir verpacken immer weniger in Plastik, statten alte Häuser mit Wärmepumpen aus, kaufen E-Bikes und noch mehr E-Autos, packen uns Solar aufs Dach, kaufen für sehr viel Geld Bio-Produkte aus Südamerika … Dass wir tonnenweise Lebensmittel wegwerfen, sobald sie ihr Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben, fällt dagegen fast nicht ins Gewicht. Und das bisschen Trinkwasser, was hier gerade einfach so in die Kanalisation gelaufen ist – geschenkt.

Ein Einzelner?

Ich parke mein Rad vor einem Supermarkt, direkt neben den Einkaufswagen. Ein Mann schnappt sich vor mir einen, fischt einige alte Bons und anderes Papier aus seinem heraus und wirft alles in den nächsten. Interessant, denke ich. Natürlich ist es nicht sein Müll, der da in dem Einkaufswagen liegt: Er ist also nicht für dessen Entsorgung verantwortlich. Dennoch ist mir das Verhalten dieses Mannes fremd. Ich käme nicht auf die Idee, Müll – ob von mir produziert oder nicht – einfach weiterzureichen. Normalerweise entsorge ich die Überbleibsel meines Vorgängers im nächsten Mülleimer.

Schon vor knapp 100 Jahren sagte Kurt Lewin, „das Ganze (d.h. die Gruppe) ist mehr als die Summe ihrer Teile (d.h. die Individuen)“. Wenn er Recht hat, sollten wir uns mehr für den Müll der anderen interessieren – oder müssen uns in nicht allzu ferner Zukunft warm anziehen … Wir entwickeln uns offenbar immer mehr zu einer Gruppe nebeneinander existierender Individuen – ignorierend, dass unsere Stärke im Miteinander derselben besteht. Aber vielleicht interpretiere ich zu viel hinein in die gedankenlose Geste eines Einzelnen.

Pflegeauftrag, zweiter Versuch

Meine Tochter bekam schon zum zweiten Mal eine Pflanze zum Abschied geschenkt. Vor einem Jahr war es eine Orchidee, die meine Inobhutnahme nur reichlich lädiert überstand. Dieses Mal ist es ein Alpenveilchen, das sie erstmal noch nicht mitnehmen möchte in ihr Übergangszimmer am Studienort. Ich werde mein Bestes geben, ihr Vertrauen nicht wieder zu enttäuschen. Die Chancen stehen gut: Erstens erinnert mich das Alpenveilchen an die Studentenhochzeit meiner Eltern – ein in meiner Ursprungsfamilie logischerweise sehr positiv konnotiertes Ereignis. Entsprechend bin ich der Pflanze grundsätzlich wohlgesonnen. Zweitens habe ich gelesen, dass die Pflege von Alpenveilchen `relativ einfach´ sein soll – zum Glück. 

Mitbringsel

Wir bringen eine Tochter nach Frankfurt; sie fliegt für ein Jahr ins Ausland. Auf dem Rückweg setzen wir die andere Tochter an ihrem neuen Wohnort ab; für sie geht in der nächsten Woche das Studium los. Die Abschiede sind kurz und deshalb nicht sehr emotional. Ich bin sicher, dass da `noch was kommen wird´ in mir.

Etwa 800 Kilometer später sind wir wieder zu Hause – dankbar für gute Fahrten ohne Stau, Panne oder Unfall. Jetzt sind die Mädchen weg. Auf den ersten Blick bleiben mir zwei leere Zimmer und einige schmutzige Klamotten, die ich waschen und in den ziemlich leeren Schränken verstauen muss. Einige Mitbringsel der Fahrt werden uns in den nächsten Tagen noch ins Haus flattern: zwei Fotos von uns, beide vom Polizeipräsidium in Hessen in Auftrag gegeben … Rechnung kommt später!

Sinn versus Unsinn

Auf einer Internetseite lese ich folgenden Absatz: 

„… (die) das Verhältnis von Therapeut*in und Klient*in als eines definiert, in dem Therapeut*innen Begleiter und Unterstützer sind und die Klient*innen die Experten ihrer selbst. Darum sprechen Gestalttherapeut*innen auch nicht von Patient*innen, sondern von Klient*innen …“

Es steht außer Frage, dass dieser Satz sich schwierig lesen und verstehen lässt: schon allein wegen der vielen Substantive. Es wäre leicht und freundlich gewesen, die beiden Verben `begleiten´ und `unterstützen´ zu integrieren. Zudem vermisse ich als aufmerksamer Leser ein konsequentes Durchgendern. Auch Begleiter, Unterstützer und Experten existieren schließlich als männlich, weiblich oder divers. Von daher müsste es wie folgt heißen:

„… (die) das Verhältnis von Therapeut*in und Klient*in als eines definiert, in dem Therapeut*innen Begleiter*innen und Unterstützer*innen sind und die Klient*innen die Experten*innen ihrer selbst. Darum sprechen Gestalttherapeut*innen auch nicht von Patient*innen, sondern von Klient*innen …“

Allerdings sieht dieses Ungetüm noch lächerlicher aus als die erste Version. Vielleicht entschieden sich die Autoren auch deswegen dreimal für eine gender-neutrale Schreibweise. Gut so: Schließlich ist für die beabsichtige Aussage das Geschlecht der jeweiligen beteiligten Person vollkommen irrelevant. Mein Vorschlag für die Zukunft wäre eine Formulierung, die nicht nur leichter lesbar, sondern auch verständlicher ist: 

„… (ist) das Verhältnis von Therapeut und Klient als eines definiert, in dem Therapeuten begleiten und unterstützen und den Klienten dadurch helfen, ihrer eigenen Expertise zu vertrauen und diese anzuwenden. Darum sprechen Gestalttherapeuten auch nicht von Patienten, sondern von Klienten …“

Mehr als ein Moment

Ich schaue mir in der Regel keine Insta-Videos an, aber manchmal doch: Die Mitarbeiter der Krebsstation einer Klinik verabschieden sich mit Musik und bunten Bändern von einem Mädchen. Dieses hat seine langwierige Behandlung überstanden und wird nach Hause entlassen. Das Pflegepersonal singt für sie und applaudiert ihr. Denn es braucht Durchhaltevermögen, Kraft, Lebenswillen und Hoffnung, eine Krebstherapie durchzustehen. So viele Menschen haben gemeinsam für dieses eine Leben gekämpft und gearbeitet – weil ein Leben kostbar und einmalig ist. Ich finde es großartig, dass sie sich diesen einen Moment Zeit nehmen und feiern! Das Mädchen und die ganze Familie werden sich für den Rest ihres Leben daran erinnern.

Auf der anderen Seite erreichen mich täglich Nachrichten, die mich erschüttern: Jemand erschießt einen Mann, weil ihm dessen Ansichten nicht passen; eine junge Frau wird in der New Yorker U-Bahn erstochen – offenbar ohne Grund. Auch diese Leben waren kostbar und einmalig und sind von einem auf den anderen Moment vorbei. Viele Menschen werden um sie trauern und sich für den Rest ihres Lebens daran erinnern.

Nepper, Schlepper, Bauernfänger

Ich bin reingefallen auf einen Internetbetrüger; das ärgert mich sehr. Fast schäme ich mich ein wenig, dass ich nicht aufmerksamer war oder meiner anfänglichen, ganz leisen Skepsis vertraut habe. Es hilft nichts – das Kind ist im Brunnen. Sprich ein billiger Pullover aus 100 Prozent Polyester, made in china, liegt bei mir in der Wohnung. Jetzt stehe ich in regem E-Mail-Austausch mit freundlichen Mitarbeitern, die mir erklären, warum ich kein Rücksendeetikett bekomme.

Rhen schreibt, ich solle Fotos von der Ware schicken, dann würde er sich überlegen, ob ich ein Rücksendeetikett bekomme. Leider ginge das doch nicht, kommt als Antwort auf meine Fotos einen Tag später die Nachricht von Jheny. Stattdessen solle ich den Rückversand nach China selbst bezahlen. Das könne zwar dauern, aber dann bekäme ich mein Geld zurück. Als ich dankend ablehne, offeriert mir Angela schließlich Variante 3: Ich könne die Ware behalten und bekäme – aus Kulanz – fünf Prozent des Kaufpreises erstattet.

Noch reagiere ich auf sämtliche Vorschläge weiter mit höflichen Mails: „Das Produkt entspricht nicht der versprochenen Ware; ich hätte gern ein Rücksendeetikett und das Geld zurück.“ Höchstwahrscheinlich werde ich nicht erfolgreich sein. Trotzdem gebe ich noch nicht auf.

Zwar habe ich „nur“ 55 Euro bezahlt, aber erstens ist auch das viel Geld und zweitens jeder Cent einer zu viel. Wie ich weiter verfahre und wann ich meine Niederlage akzeptiere, weiß ich noch nicht. Ich weiß nur, was in meiner letzten Mail an die freundlichen Mitarbeiter in China stehen wird: „Schämen Sie sich!“