Pflicht oder Spaß

Es hat geregnet, alles sprießt und wächst, auch das Unkraut. Wie immer sieht man es erst dann in seiner ganzen Fülle, wenn man davor auf die Knie geht oder in die Hocke. „Unkraut jäten macht mir Spaß“, sagte ich früher, „man kann gut abschalten und sieht hinterher, was man geschafft hat.“ Der Satz war nicht gelogen, hat sich aber über die Jahre verändert. Ich kann noch immer abschalten und sehe, was ich geschafft habe, nur der Spaß hält sich in Grenzen. Selten und überschaubar ist Gartenarbeit in Ordnung – mehr aber auch nicht. Während ich das denke, fühle ich mich fast ein bisschen schlecht: Darf ich das, keine Lust mehr haben zur Gartenarbeit oder zumindest nur begrenzt?

Schließlich bin ich sozusagen `vom Fach´, habe Landwirtschaft studiert und konnte mir damals ein Leben auf dem Bauernhof vorstellen. Daraus wurde nichts – vielleicht zum Glück? Denn 30 Jahre später lebe ich höchst zufrieden ohne Acker oder `Acker light´. Ich habe weder einen Gemüsegarten noch eine Kräuterspirale und ziehe nicht jedes Jahr meine eigenen Tomaten. Mein Leben spricht seine eigene Sprache, was mir wichtig und ein Anliegen ist. Ausgiebiges Gärtnern gehört nicht dazu, obwohl ich den Garten an sich genieße und nicht missen möchte.

Ein wenig liegt es sicher an den veränderten Umständen: Ich habe weniger Zeit und mehr Rückenprobleme. Damit einhergehend haben sich meine Vorlieben und Interessen verschoben. Was mich früher begeisterte – vielleicht auch aus Gewohnheit, passt heute einfach nicht mehr so gut rein in mein Leben. Und deshalb bin ich froh, dass der Garten inzwischen relativ pflegeleicht ist und meiner Arbeitskraft nur gelegentlich und kurz bedarf. Sonst würde zu einer leidigen Pflicht, was ich früher als spaßige Abwechslung empfand.

Nicht mehr krank genug

Ich bin erkältet, schniefe rum und huste. Die Krisis war am Mittwochnachmittag. Seit gestern geht es besser; der Kopf ist nicht mehr so müde, das hilft. Meine Kräfte kommen zurück und ich reagiere angriffslustig auf eine kritische Bemerkung meines Mannes. Es geht ein bisschen hin und her; wir müssen beide lachen: weil wir beide wissen, dass unser `Streit´ an meiner überschüssigen Energie liegt. „Solltest du mal laufen gehen und kannst aber leider noch nicht?“, fragt er mich denn auch. Er hat recht, DAS wäre eine Möglichkeit. Ich bin deutlich ausgeglichener, wenn ich regelmäßig meine Runden drehen kann. Daran ändert auch ein Atemwegsinfekt nichts – zumindest nicht, wenn er schon im Abklingen ist.

Tage gibt´s …

An einem solchen Tag, an dem ich mittags von der Arbeit nach Hause radele – mit Regenhose – und es sofort anfängt, stark zu regnen, und ich nach zehn Minuten nasse Füße bekomme – Gamaschen vergessen – und auch die Unterschenkel langsam feucht werden, ich mich dann doch für den Schlenker über den Supermarkt entscheide, weil erstens der Regen etwas nachlässt und ich zweitens unbedingt einkaufen muss vor dem Feiertag, auch weil die beiden, immer hungrigen Studenten nach Hause kommen, und mir ist auch noch einigermaßen warm – wenn ich auch kaum noch ein trockenes Fleckchen an mir fühle, und ich dann ganz schnell mit dem Einkaufen fertig bin und wieder auf mein Rad steige und der Regen prompt wieder so richtig lospladdert und mir all das einfällt, was ich in der Eile vergessen habe, ich aber erstmal nach Hause fahre, was auch gut so ist, denn mehr hätte nicht in meine Einkaufs- und Satteltaschen gepasst und ich bin inzwischen sehr ausgekühlt, also an einem solchen Tag …

… freue ich mich, dass ich ein trockenes Haus habe und mir eine Wärmflasche machen kann,
… bin ich dankbar, dass ich den späteren Einkauf mit Schirm und zweiter Regenjacke absolvieren kann,
… wünsche ich mir ein Auto, weil das alles ein ganz klitzekleines bisschen einfacher machen würde.

Gebraucht

Wir kaufen manches gebraucht: unser Haus, unsere Autos, Fahrräder für wachsende Kinder, Bücher, Mobiltelefone … Dabei achten wir auf ein gutes Preis-Leistungsverhältnis und einen angemessenen Zustand.

Auch das, was wir neu kaufen und gebrauchen, nutzt sich irgendwann ab: mein Fahrradanhänger, der Küchentisch, die Kissen auf dem Wohnzimmersofa, Handtücher … Nichts bleibt `wie neu´, so sehr wir uns auch bemühen. Aber unsere Perspektive ändert sich. An den Verschleiß, den wir selbst herbeiführen, gewöhnen wir uns und übersehen ihn leicht. Erst wenn wir mit den Augen eines anderen hinschauen, sehen wir, dass aus gebraucht manchmal schon verbraucht geworden ist.

Entweder Mutter oder Mensch?

Da regt eine Journalistin sich darüber auf, dass Mütter sich in den Sozialen Medien verbal gegenseitig die Augen aushacken. Die Nur-Mutter-oder-in-Teilzeit-arbeitende-Fraktion auf der einen und die in Vollzeit arbeitenden auf der anderen Seite. Die einen stöhnten den lieben langen Tag über die Anstrengungen des Mutterseins; die anderen seien einfach besser organisiert – und würden beneidet. Die Kolumnistin regt sich wortreich darüber auf, wie Mütter sich beschimpfen. Und gleich darauf wirft sie mit pauschalen Aussagen um sich, die genau dasselbe tun: schimpfen. 

Arbeiten zu gehen, vertreibe ihrer Meinung nach die Langeweile, die man als Mutter haben müsse, wenn man sich auf seine Kinder konzentriert. Und ohne Langeweile bleibe für Social-Media-Shitstorms keine Zeit mehr … Kinder bräuchten ihrer Meinung nach Mütter, die in der Welt Erfolge feiern … Es gebe nämlich etwas Wichtigeres, nämlich das Leben außerhalb ihrer Mutterschaft. „Denn in Wirklichkeit ist das Leben als Mutter nicht besonders erfüllend … Mutterschaft ist dröge. Dröge im tiefsten Sinne“, schreibt sie und hat gleich die Lösung parat: „Raus aus dem Leben als Mutter und rein ins Leben als Mensch.“

Ich bekam von diesem Gezanke auf Social Media bisher nichts mit – und mir hat nichts gefehlt. Jetzt darf ich mir bei der Zeitungslektüre die Leviten lesen lassen.

Hochmut kommt vor dem Fall

Aufgrund einer positiven Erfahrung hielt ich mich schon für einen Orchideen-Experten und muss nun feststellen, dass ich mich geirrt habe. Ich habe die Orchidee meiner Tochter in Obhut, während das Kind in Afrika weilt. Zunächst entwickelte ihre Pflanze sehr viele Knospen; eine kam dann auch, grandios über Nacht, zur Blüte. „Mama, du musst mir dann sagen, wie ich sie pflegen muss“, schrieb meine Tochter, nachdem ich ihr ein Foto geschickt hatte. Ich würde ihr alles erklären, was ich mache, antwortete ich großmütig und wissend. Weitere Knospen wuchsen und wuchsen dann auch – bis eine nach der anderen vertrocknete oder verwelkte. Weiteres Wässern half nicht, im Gegenteil: Ich beobachtete den Verfall täglich, ohnmächtig und ratlos, und schickte meiner Tochter keine weiteren Fotos ihrer dahinsiechenden Orchidee.

Vor zwei bis drei Wochen stellte ich das Gießen ein; mittlerweile wirken zwei letzte Knospen so, als hätten sie noch Potential. Aber noch immer weiß ich nicht, wie ich weiter vorgehen soll. Eins ist klar: Wenn noch irgendetwas zum Blühen kommen sollte, liegt es jedenfalls nicht an meiner Expertise, sondern ist reine Gnade. Das ist als Ratschlag für das in Bezug auf Orchideen unerfahrene Kind natürlich ein bisschen mager – aber es ist die Wahrheit.

Wegen Reichen?

`Wegen Reichen gibt es Armut`, heißt es in einem Graffiti an der Wand. Spontan stelle ich die Aussage gedanklich in Frage: Es kommt wohl darauf an, wie man Armut definiert. Natürlich sind einige Leute ärmer, wenn sie weniger besitzen als andere. Aber sind für diese Diskrepanz automatisch die verantwortlich, die mehr haben – und wenn ja, warum? Außerdem ist nicht jeder von Armut betroffen, der nicht reich ist, und überhaupt: Wo ist die Grenze zwischen arm und reich?

Was mich fast noch mehr zum Grübeln bringt, ist die Formulierung: `wegen Reichen´. Zwar liest sich `wegen der Reichen´ auch nicht viel besser – sieht aber in meinen Augen grammatikalisch korrekter aus.

Ein einfaches Graffiti, nicht besonders schön, Aussage fragwürdig. Und ich grübele eine halbe Stunde darüber nach. Wenn das der Sprüher wüsste …

Abgewatscht: Schäm dich!

Ich schreibe eine Mail und trete darin jemandem zu nahe – bin mir aber dessen überhaupt nicht bewusst. Die Reaktion kommt prompt und ist scharf. Es sei unglaublich, wie könne ich so etwas schreiben etc. Ich entschuldige mich sofort, schreibe, dass es mir leidtut und bitte um Verzeihung. Als Antwort kommt noch eine zweite vorwurfsvolle Mail, weniger scharf, dafür ironisch bis spöttisch.

In der Sache hat der Mann recht und kann mich als indiskret verstehen. Sein Tonfall trifft mich sehr. Ich spüre seine Wut körperlich, zittere und fühle mich wie ein abgewatschtes Kind. Jetzt, da ich weiß, wie man meine Worte auch auffassen kann, würde ich diese gern zurücknehmen – was natürlich nicht geht. Es dauert lange, bis ich mich wieder beruhigen kann; die Situation beschäftigt mich noch Stunden.

Interessanterweise fühle ich mich nur bedingt schuldig. Ich habe einen Fehler gemacht und dieser tut mir leid – ja. Aber bin ich wirklich ganz allein verantwortlich für diese Reaktion? Gibt es einen allgemein-gültigen Wertekanon, was man wie schreiben kann und was nicht? `Nicht mit Absicht´ ist keine Entschuldigung; auch muss mein Gegenüber mir nicht verzeihen. Aber das bedeutet nicht, dass ich jetzt bis an mein Lebensende mit einer Schuldenlast leben muss, die ein anderer definiert. Dieser Gedanke repariert unsere Beziehung nicht, bewahrt mich aber vor bodenloser Scham.

Von normal zu mühselig

Aus vielen kleinen Gründen muss ich momentan mehr waschen als normalerweise, nämlich täglich, manchmal mehrmals. Ich empfinde es als beherrschend; ich mache `nur noch Wäsche´ und schaffe nebenbei nicht viel. Gleichzeitig weiß ich, dass ich mich daran wieder gewöhnen würde.

Denn der Zustand erinnert mich an Zeiten, in denen noch alle Kinder zu Hause wohnten und drei von ihnen mehrmals die Woche Fußball spielten. Ich wusch auch täglich, aber doch war es anders: Ich schaffte alles Mögliche und machte nebenbei `nur noch schnell die Wäsche´.

Mein altes Normal erscheint mir heute mühselig – wie gut, dass gerade Sommer ist.

Den Umständen entsprechend

Je mehr Menschen um mich herum ein Tattoo tragen, umso leichter fällt es, mir auch eins stechen zu lassen.
Wenn figurbetonte und aufreizende Kleidung normal oder sogar angesagt ist, besteht die Gefahr, dass ich mich freizügiger anziehe, als mir eigentlich lieb ist.
Gehört es in meinem Freundeskreis dazu, Zigaretten zu rauchen, ist es schwer, dahingehend abstinent zu leben.

Was mir im Leben wichtig ist hängt eng zusammen mit meinem Umfeld – auch wenn ich mir noch so frei und selbstbestimmt vorkomme. Ich brauche ein Wertesystem, das unabhängig vom Zeitgeist ist. Sonst verhalte ich mich tendenziell den Umständen entsprechend.