Gute Nacht John Boy!

Ich besuche zwei Freundinnen; wir essen Zwiebelkuchen und trinken Federweißer. Anschließend radele ich am Abend wieder zurück nach Hause – und bin dort wieder nüchtern. Weil die beiden besorgt ob meiner einsamen Heimfahrt waren, schreibe ich ihnen, dass ich heil angekommen bin – und wünsche allseits eine gute Nacht. Eine von beiden antwortet: „Gute Nacht John Boy.“ Sofort denke ich an die Waltons und diese sanfte Fernseh-Serie, die heute wahrscheinlich keinen Zehnjährigen mehr vor dem Bildschirm halten würde. Und ich freue mich über Freundinnen, die durch eine simple Wort-Verknüpfung eine wohlige Erinnerung in mir auslösen.

Unterm Strich: Entschuldigung

Mit der Bahn fahre ich selten; es ist daher immer wieder ein kleines Abenteuer. Oft staune ich über die logistische Leistung, die hinter einer Bahnverbindung mit mehreren Anschluss-Zügen liegt. Derjenige, der die Fahrpläne macht, muss dafür alles Mögliche im Blick haben: Wie viele Leute wollen wann von wo nach wo? Wo treffen welche Linien aufeinander, wie verteilt man die Züge gleichmäßig auf die jeweiligen Bahnsteige, welche Umsteigezeiten sind zumutbar, wie lange wartet welcher Zug auf den nächsten? Welche Alternativ-Verbindungen kann jemand wählen, der eventuell seinen Anschlusszug verpasst? All das geschieht, bevor ich mich auf den Weg mache.

Am Reisetag selbst grenzt es an ein Wunder, dass Leute in der Zentrale eines Bahnhofes die Übersicht behalten. Es ist ein Full-time-Job, alles Nötige so zu kommunizieren, dass jeder Reisend Bescheid weiß. Entsprechend häufig sind Bahnhofsdurchsagen: Zwar versteht man meistens nur die Hälfte, weil durchfahrende Züge, laute Mitreisende oder die Lautsprecher-Geräusche von anderen Bahngleisen die Hörqualität beeinträchtigen. Dennoch ertönen regelmäßig und mehrfach Ansagen zum `baldigen´ oder auch `sofortigen´ Eintreffen eines bestimmten Zuges. Ist dieser zu spät, wird ein Grund angegeben: vorausfahrender anderer Zug, Gleisarbeiten, Änderungen im Fahrplan, Verzögerungen im Vorfeld … Abschließend entschuldigt sich der jeweilige Sprecher für die Unannehmlichkeiten, die den Reisenden dadurch entstehen. Dieser letzte Teil ist der einzige, der auf meiner letzten Bahnreise auch ins Englische übersetzt wurde. Nach jeder – ziemlich ausführlichen – deutschen Erklärung des auftretenden Problems kam: „We are sorry for any inconveniences.“ Ich musste jedesmal schmunzeln: Auf meiner Reise verursachten zwei von drei Zügen Unannehmlichkeiten – die Entschuldigungen häuften sich.

Ich stellte mir vor, ich spräche kein Deutsch. Glücklicherweise sind die Anzeigetafeln in Deutschland gut lesbar und – meist – auf dem aktuellen Stand. Denn von dem Gesagten bekäme ich nichts mit. Alles, was ich verstehen würde, wäre die fortwährende Entschuldigung für `any inconveniences´.

Ein Gesetz

Die einrichtungsbezogene Impfpflicht ist umstritten. Egal was man davon hält, fest steht: Sie ist nur äußerst schwer umzusetzen und verschärft den Mangel an Pflegekräften – ohne Not. Daher nutzen manche Bundesländer die Regelung nicht und lassen Mitarbeiter der Pflege auch ohne vollständigen Impfstatus weiter mitarbeiten.

Dieses Verhalten trifft auf große Erleichterung bei den betroffenen Personen und deren Arbeitgebern. Andere kritisieren, dass eine solch offensichtliche Unterwanderung eines Bundes-Gesetzes ein schlechtes Beispiel ist für die grundsätzliche Akzeptanz von Vorschriften. Beide Positionen haben ihre Berechtigung, das ist ein Dilemma.

Die eine Sichtweise hat das Gesetz im Blick: Ein Gesetz ist dazu da, dass es befolgt wird. Wir Deutschen sind gut darin, Regeln nicht zu hinterfragen, sondern uns regelkonform zu verhalten. Es könnte das Vertrauen in den Rechtsstaat schwächen, Gesetze anzuzweifeln und mit Ansage zu ignorieren.

Andererseits: Ein Gesetz, das niemandem messbar hilft und manchen klar schadet, ist keine gute Idee. Es zeugt von Größe und der Bereitschaft, verantwortlich zu handeln, wenn man ein solches Gesetz nicht umsetzt. Wer das tut, hat die Menschen im Blick. Langfristig stärkt man dadurch ihr Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit unseres Landes. Blinder Gehorsam ist selten die beste Alternative.

Blöde Kuh

Meine Freundin hatte am vergangenen Freitag eine beängstigende Begegnung mit einer ihrer Kühe: Die etwa 700 Kilo schwere Dame klemmte ihre `Chefin´ unerwartet am Fressgitter ein – mit dem Kuh-Schädel voran. Meine Freundin schaffte es irgendwie bis zum Durchschlupf und aus dem Stall heraus, aber daran erinnert sie sich nur vage. Dagegen sehr eindeutig sind die blauen Flecken an ihrem Körper, ein angeschwollenes Knie und das zersplitterte Handy aus der Hosentasche. Es sind die ganz realen Folgen einer sehr gefährlichen Situation, die auch anders hätte ausgehen können.

Drei Tage später kann meine Freundin schon wieder stehen, gehen und ihre Tiere versorgen. Dennoch spüre ich bei unserer Umarmung, dass nicht nur das Knie noch lädiert ist – der Schreck sitzt ihr im wahrsten Wortsinn noch in den Gliedern. Wir beide wussten es schon die ganze Zeit, spätestens seit Freitag ist es konkret: Corona mag ein gefährliches Virus sein; das größere Lebensrisiko für diese Bäuerin ist – eine blöde Kuh.

Spontan und flexibel

Meine Tochter kommt nach der zehnten Stunde aus der Schule; mit ihr spült eine alte Bekannte zur Terrassentür herein. Es ist eine der vielen Susannes meiner Generation. Sie sei schon den ganzen Tag mit dem Rad unterwegs und wolle spontan bei mir Rast machen, bevor sie in ein Konzert ganz in meiner Nähe gehen möchte. Wenn´s passt.

Ich bin gerade mit dem Wischeimer bewaffnet im Haus unterwegs: Der Maler bearbeitet mit dem Kärcher unsere Fassade. Aus diesem Anlass wische ich von innen die Rollläden ab, die er von außen abspritzt. Außerdem läuft unter der Haustür munter Wasser in den Flur. Und wegen des am nächsten Tages umschlagenden Wetters würde ich gern noch fix den Rasen mähen … Es passt also nicht 100-prozentig. Aber was soll´s: Diese Susanne habe ich lange nicht gesehen.

Während ich den angefangenen Rollladen fertig putze, ist meine Tochter gastfreundlich und kocht einen Kaffee. Danach setze ich mich dazu und wir erzählen eine Weile. Gegen halb sechs sagt mein Überraschungsgast: „Eine gute Stunde würde ich gern noch bleiben – kann ich etwas helfen?“ Mir fällt nichts ein – ob sie auch eine Weile allein klarkommen würde? Sie nickt fröhlich und setzt sich ans Klavier. Ich bin dankbar, dass sie so unkompliziert ist, und gehe in den Garten. Nach dem Rasenmähen reden wir noch ein bisschen, dann macht Susanne sich auf den Weg zu ihrem Konzert.

Ich mag spontane Gäste, sie sind mir herzlich willkommen – besonders die, die ebenso flexibel auf mich eingehen wie ich auf sie.