Alles wie immer – nur in Gesellschaft

„Was machst du jetzt eigentlich den ganzen Tag?“, fragte mich vor einigen Wochen jemand, „Deine Kinder sind doch vormittags alle in der Schule.“ Ich zögerte mit der Antwort, denn: Es stimmt, die Kinder sind nicht mehr IMMER zu Hause. Es stimmt nicht, dass ich deswegen nichts zu tun habe. Zum einen haben fünf Kinder nicht immer alle gleichzeitig Schule, da fällt auch mal was aus, es gibt Freistunden aufgrund der Kurse in der Oberstufe etc. Die Vormittage sind manchmal ein überraschendes Kommen und Gehen. Zum anderen wohnen die fünf Kinder weiter hier, das ist ihre Basisstation. Sie hinterlassen Spuren und brauchen Nahrung, saubere Klamotten sowie einen Ansprechpartner.

Ich bin nicht plötzlich ohne Beschäftigung, nur weil die Kinder einige Zeit des Tages in der Schule verbringen. Diese Beschäftigung ist nicht so leicht zu beschreiben, ohne dass sie nach ein „bisschen Haushalt“ klingt. Meine Antwort auf diese Frage, was ich tue, fiel daher zaghaft aus und ausweichend: „Ich weiß auch nicht so genau; aber es ist nicht so, dass ich mich langweile.“

Gestern passierte es wieder: Ein (kinderloser) Freund rief an und fragte, was wir in Zeiten von Corona den ganzen Tag machen würden. Ja, was denn eigentlich? Die Kinder gehen ausnahmsweise nicht zur Schule und müssen dafür Aufgaben erledigen, die sie von ihren Lehrern bekommen. Ich gehe – wie immer – nicht zur Arbeit und langweile mich nicht, im Gegenteil. Es läuft alles ruhiger, klar, von außen gibt es keine Termine und eine gewisse Kontaktsperre. Aber dadurch sind alle viel zu Hause – wohnen hier, essen und verschmutzen sowohl Wohnraum als auch Kleidung. Das „bisschen Haushalt“ macht sich genau wie sonst noch nicht „von allein“: Ich helfe nach und habe dabei ständig Gesellschaft.

Irgendwie erhalte ich bei solchen Fragen den Eindruck, ich müsste mich erklären…

Gerade jetzt

Persönliche Treffen sind gerade jetzt nur noch eingeschränkt angesagt. Gleichzeitig sollen wir uns weder isolieren noch zulassen, dass allein lebende Menschen vereinsamen. Was tun? Soziale Medien können Verbindungen schaffen, das gebe ich zu; aber man kann auch in anderer Weise die von außen aufgezwungene Kontaktbegrenzung aktiv, sinnvoll und zur beiderseitigen Freude nutzen. Ich plädiere für das Medium „Brief“ – wieder oder erstmalig.

Gerade jetzt haben die meisten Menschen Zeit, einen Brief zu schreiben. Ebenso haben die meisten Menschen gerade jetzt den Wunsch nach menschlicher Zuwendung wie Anteilnahme, Ermutigung und Interesse. Als Alternative zum persönlichen Gespräch ist ein Brief hervorragend geeignet: Beim Schreiben wird man in der Regel nicht unterbrochen, kann in Ruhe Ordnung in die eigenen Gedanken bringen und sich intensiv auf das Gegenüber einlassen. Neben Werbung, Rechnungen und den vornehmlich negativen Schlagzeilen, die uns täglich aus dem Briefkasten entgegen fallen, sind persönliche Briefe eine erfreuliche Besonderheit. Es ist keine Kunst, jeder kann es ausprobieren: Schreibt Briefe – gerade jetzt!

Schon wieder Corona

Eine Frau begegnet uns oft morgens auf dem Weg in die Stadt oder zur Schule. Sie radelt immer um dieselbe Zeit vom Bahnhof zu ihrer Arbeitsstelle bei uns im Stadtteil. Vor allem im Winter fällt ihre sehr leuchtstarke Fahrradlampe auf – daher heißt sie bei uns der „Scheinwerfer“. Nach Jahren fast täglicher Begegnung kennen wir uns vom Sehen und grüßen uns freundlich. Aus einem Gespräch – irgendwann – wissen wir, dass sie täglich von Hannover nach Celle pendelt.

Gestern trafen wir sie, als sie nach Feierabend zum Bahnhof radelte. Wir grüßten – wie immer – und sprachen sie an – ausnahmsweise: „Wo haben Sie das denn ergattert?“ In ihrem Fahrradkorb steckte DIE Corona-bedingte Mangelware schlechthin – eine XXL-Packung Toilettenpapier. Zugleich dachte ich: Diese Frage passt nicht zu diesem Land und in diese Zeit. Hier und heute gibt es normalerweise immer alles; die leeren Regale, das Hamstern, die Frage nach dem „Woher?“ – all das kenne ich von früher aus dem „Osten“. Unser „normal“ hat sich verändert, es ging ganz schnell; der Anlass ist mit bloßem Auge nicht zu sehen, die Auswirkungen sind unüberschaubar.

PS: Heute Morgen kurz vor acht klingelte es bei uns. Der „Scheinwerfer“ stand vor der Tür, in der Hand eine XXL-Packung Toilettenpapier: „Hier kommt die Notfallversorgung, limited edition“, sagte unsere alte Bekannte und flitzte zurück zu ihrem Fahrrad. Diese spontane, großzügige Freundlichkeit, dieses „für den anderen mitdenken“, das ist eine der erstaunlichen und nicht vorhersehbaren Auswirkungen des kleinen Corona-Virus. Es hat eben fast alles zwei Seiten – wie wunderbar!

Gestern nur witzig, heute mehr

Das Handy meiner Physiotherapeutin „macht“ bei jeder eintreffenden Nachricht das Geräusch eines Niesens – Hatschi! Sie hatte diese Einstellung schon, als wir uns noch nicht kollektiv mit Corona beschäftigten. Früher war „Hatschi“ nur witzig, heute klingt es zusätzlich wie eine auf ein Geräusch komprimierte Persiflage auf die derzeitige Lage. Noch treffender wäre ausgeprägtes Husten, aber dieses gibt es wahrscheinlich nicht als wählbaren Klingelton.

Corona – Nebeneffekte

Um die Kinder in dieser Zeit der erzwungenen Schulpause mit Struktur zu versorgen, verteile ich Aufgaben im Haus. Einen meiner großen Söhne bat ich heute Morgen, die Wäsche zusammenzulegen. Er konterte geschickt: „Mama, das Problem ist, dass ich das nicht kann.“ Kopfschüttelnd und lächelnd fragte ich: „Wann, denkst du, wäre ein guter Zeitpunkt, das zu lernen?“ Seine Antwort ließ mich verstummen: „Na – vielleicht ab morgen?“

Ob die nächsten Corona-Wochen in dieser Frage für erwähnenswerte Nebeneffekte sorgen werden, bleibt abzuwarten…

Corona – Hamsterkäufe

Bisher lösten Berichte über Hamsterkäufe in mir nur ein leises Kopfschütteln aus – hinsichtlich des ausverkauften Toilettenpapiers verbunden mit einem Lächeln, denn: Wir haben es nicht mit einem Durchfall auslösenden Virus zu tun, sondern mit einem, das die Atemwege befällt. Oder? Außerdem dachte ich, dass die leeren Regale sehr vorübergehender Natur sein würden.

Leider ist dem nicht so. Noch scheinen sich nicht alle eingedeckt zu haben mit Toilettenpapier und Mehl – beziehungsweise der Nachschub stockt. Das alles ist Jammern auf hohem Niveau, ich weiß. Ich komme auch mal eine Weile ohne selbstgebackenen Kuchen aus. Nicht so ohne Toilettenpapier: Seit der Schulschließung am Montag sind bei uns fünf bis sechs Menschen mehr als sonst fast ganztägig zu Hause.

Kurz gesagt: Ich brauche demnächst neues Toilettenpapier; heute gab es keins. Morgen versuche ich es wieder. Zwei Packungen genügen – erstmal. Zum Hamstern lasse ich mich noch nicht verleiten. Ich hoffe, mit dieser Einstellung komme ich weiter durch die kommenden Wochen.

Jackenmacke

Shoppen ist nicht meine erste Gabe. Manchmal muss es aber sein. Meine jüngere Tochter braucht ein etwas schickeres Outfit für einen besonderen Anlass. Eine Freundin von mir ist die congeniale Shopping-Begleiterin schlechthin: Sie ist geduldig und hat Geschmack, berät engagiert und trotzdem unaufdringlich – und zu allem Überfluss macht es ihr auch noch Spaß. Wunderbar. Gestern hatte sie Zeit und begleitete uns zum Einkaufen.

Meine zweite Tochter kam auch mit; aber sie und ich waren nur Beiwerk in dem Unternehmen. Während die beiden Hauptpersonen sich durch diverse Kombinationen arbeiteten, standen wir still und beobachtend an der Seite oder erledigten andere Besorgungen. Auf einem dieser Gänge sah meine Tochter – die, die eigentlich gerade nichts Neues braucht – eine „tolle Jacke“. Ich signalisierte Desinteresse und Unverständnis: „Du hast doch genug Jacken, du brauchst nicht noch eine.“ Darauf sie: „Das musst du gerade sagen, Mama, du hast doch selbst eine Jackenmacke.“

Geht`s noch? Ich und eine Jackenmacke? Was ist das überhaupt? Laut stritt ich alles ab, leise zählte ich in Gedanken, wie viele Jacken ich besitze: Strick-, Fleece-, Sweat-, Softshell-, Regen-, Sommer-, Winterjacke… – nach Jacke zehn hörte ich auf zu zählen – und zu protestieren. Sie hat recht, ich habe eine Jackenmacke.

Corona – angstfrei und vertrauensvoll

Ich kann die Gefahren von Corona nicht einschätzen. Aber ich weiß, wie ich mich hinsichtlich Corona verhalten möchte: angstfrei und vertrauensvoll.

Angstfrei: In unserer Familie sind weder geschwächte alte noch gesundheitlich vorbelastete junge Menschen; wir sind auch der normalen Grippe bisher immer mit einer gewissen Ignoranz begegnet. Die ab sofort greifenden drastischen Maßnahmen betreffen uns, treffen uns aber nicht existenziell. Unsere freigestellten Kinder sind schon ziemlich selbständig, außerdem bin ich verfügbar. Sie mit Schul- und Haus-Aufgaben zu versorgen ist herausfordernd, aber machbar. Finanziell sind wir nicht abhängig von einem Geschäft, einem Restaurant oder einem Hotelbetrieb – und müssen in den nächsten Wochen nicht mit unüberschaubaren Einbußen rechnen. Von daher habe ich keine Angst.

Vertrauensvoll: Ich möchte nicht mit denen tauschen, die verantworten, welche Regeln des Zusammenlebens für die nächsten Wochen oder Monate gelten sollen. Irgendjemandem werden sie jetzt „auf die Füße treten“ – und am Ende wird es sicher Menschen geben, die die getroffenen Entscheidungen im Nachhinein bemängeln. „Mit den Maßnahmen zu weit übers Ziel geschossen“, wird es dann heißen oder auch, „zu spät reagiert“. Es gibt Politiker, die wegen eines weniger herausfordernden Krisenmanagements ihre Karriere an den Nagel hängen mussten. Ich wäre dieser Verantwortung nicht gewachsen und hätte nicht den Überblick und die Besonnenheit, die jetzt vonnöten sind. Aber ich bin mit dem, wie es in unserem Land läuft, grundsätzlich zufrieden und einverstanden. Von daher habe ich Vertrauen in die Kompetenz und Verlässlichkeit unserer Entscheidungsträger.

Während ich also angstfrei und vertrauensvoll ausharre, trage ich meinen klitzekleinen Teil bei, dass „mein Bereich läuft“: Ich achte auf Hygiene – vielleicht sogar verstärkt. Ich akzeptiere Sicherheitsabstände, die andere einfordern. Und ich verweigere mich einer um sich greifenden Panik und pflege die Beziehungen zu Menschen in meinem Umfeld. Ansonsten lebe ich weiter wie bisher, bis sich die Situation wieder normalisiert. Was ich nicht tun werde: übertrieben vorsichtig sein, mich andauernd (laienhaft) mit Corona beschäftigen oder grundsätzlich zweifeln an der Kompetenz der Verantwortlichen. All das würde die Lage nicht verändern, sondern meinen Gemütszustand – hin zu Angst und Misstrauen. Mit beidem möchte und kann ich nicht wochenlang leben.

Menschenfurcht

Hinsichtlich meiner Macken ehrlich zu sein fällt mir nicht so schwer. Dass ich leicht zu verunsichern bin, manchmal schrecklich kritisch und beurteilend – all das darf der eine oder andere wissen. Denn ich denke, dass es anderen Menschen auch so geht – und sie mich verstehen.

Schlimmer ist, dass ich in einigen dieser Bereiche nicht weiter zu kommen scheine: Obwohl ich mich selbst bemühe und auch dafür bete, dass Gott mich verändert, wird mir von meinen Nächsten gespiegelt, dass sich (noch) nicht viel gebessert hat. Es ist höchst bedauerlich, aber ich kann die hässlichen Seiten meiner Persönlichkeit nicht einfach so ablegen. Da bin noch nicht so weit, wie ich es gern wäre.

Aber auch das könnte ich zugeben, denn ich glaube, dass andere Menschen ebenfalls lange oder immer wieder gegen ihre schlechten Gewohnheiten kämpfen – und mich verstehen. Was mich dennoch davon abhält, anderen gegenüber ganz ehrlich zu sein, ist die Tatsache, dass ich das (vielleicht im Stillen gefällte) Urteil meiner Mitmenschen fürchte – obwohl sie mich verstehen.

Ich möchte nicht – insgeheim oder ganz offensichtlich – aufgrund meiner verborgenen Macken abgelehnt werden. Mich davon unabhängig zu machen, wie andere mit dem Wissen um meine Schattenseiten umgehen, darin bin ich noch nicht so weit, wie ich es gern wäre.

Das nennt man wohl Menschenfurcht.

Erfolge im Nichtstun

Für mich gibt es täglich jede Menge Praktisches zu tun; die Ergebnisse sind immer sichtbar, nur manchmal sehr kurzlebig. Weil ich selbst einteilen kann, wann ich was mache, bleibt Raum für Pausen. Diese funktionieren nicht immer auf dem Sofa: Manchmal fällt es mir leichter, beim Nichtstun spazieren zu gehen. ICH empfinde diese Zeiten als sehr entspannend und gedanklich inspirierend, obwohl ich am Ende kein greifbares Ergebnis vorweisen kann.

In einem Artikel las ich zum Thema Nichtstun, dass es den meisten Menschen schwerfalle, wirklich gar nichts zu tun. Wir seien im Grunde immer beschäftigt und suchten Reize – und wenn es nur die neuesten (unwichtigen) Informationen auf dem mobilen Handgerät sind. Täten wir wirklich nichts – gern auch beim Spazierengehen -, dann sei das wie ein Ruhezustand für das Gehirn. Gleich darauf stand da der interessante Satz: „Was nach Entspannung klingt, ist für das Gehirn jedoch Hochleistung.“ Diesen Ruhemodus müsse man sich so vorstellen, als würden mehrere Bibliothekare bereits vorhandene Informationen durchgehen, sortieren, in gute Zusammenhänge bringen und archivieren. Das sei eine wichtige Arbeit und für das Gehirn keineswegs entspannend.

Kann sein, dachte ich; es kann sein, dass mein Gehirn sich abrackert – und ich nichts davon mitbekomme. Auch weiß ich nicht, welche Ergebnisse meine Gehirn-Bibliothekare nach diesen Sortier-Zeiten vorweisen können. Aber ich freue mich, dass in meinem Kopf Ordnung entsteht – während ich mich dem Nichtstun widme.