Zeh-Beben

Jeder ist schon mal mit dem kleinen Zeh irgendwo hängengeblieben. Bettfüße, Türen oder Türrahmen sind besonders geeignet dafür – der Schmerz ist immer derselbe: Unerwartet, sehr stark, sich in Windeseile ausbreitend über den ganzen Fuß – mit dem Epizentrum im kleinen Zeh. Erst nach einem langen Moment klingt das Schmerz-Beben ab.

Manchmal mag der Zeh gebrochen sein, meist tut er einfach nur fies weh. Wie auch immer, der Effekt ist allumfassend: Aus dem vollen Lauf oder dem müden Geschlurfe wird ein plötzliches Innehalten; Geist und Körper sind hellwach und fokussiert darauf, den Schmerz auszuhalten.

Leider ist in solchen Fällen fast nie jemand da, dem man die Schuld geben könnte. Leider verschulden wir derartige Zusammenstöße fast immer selbst – durch Unaufmerksamkeit, Müdigkeit oder schlicht durch Eile. Nur sehr emotionale Menschen machen den Türrahmen (oder so) verantwortlich und schreien nicht nur ihren Frust heraus, sondern auch den „Verursacher“ an…

Politisch unkorrekt, aber witzig

Ein Freund von uns hat seit Weihnachten ein neues Auto, einen BMW X7. Mich interessieren Autos nicht so sehr; aber mein Sohn wusste: Dieser Wagen ist noch größer ist als der, den unser Freund vorher fuhr. Als ich zu dem neuen Fahrzeug gratulierte, kam schlagfertig: „Irgendwas muss man Greta ja entgegensetzen, oder?“

Die Antwort mag noch so unüberlegt oder unreif trotzig klingen – sie brachte mich zum Schmunzeln.

Verschleiß

Wir sind vermessen, wenn wir meinen, körperlich immer gleich belastbar zu bleiben. Alles nutzt sich ab. Es gibt nichts, woran der Zahn der Zeit nicht nagt: Tote Materie wie Papier, Metall, Keramik und Plastik verrottet irgendwann. Erst recht gilt das für lebende Dinge wie Zellen, Knochen, Gewebe und die Körper, die aus ihnen gemacht sind. Ähnlich geht es dem Geist: Flexibilität und dauerhafte Lernbereitschaft sind gute Voraussetzungen, gedanklich jung zu bleiben. Aber auch das hat Grenzen. Alles unterliegt der Vergänglichkeit. Trotz aller Reparatur oder Korrektur – altersgemäßer Verschleiß ist unvermeidbar.

Wenn Abnutzungserscheinungen (an Körper und Geist) offensichtlich werden, kann es attraktiver sein, zum eigenen Alter zu stehen, als sich selbst und der Welt immerwährende Jugendlichkeit vorzugaukeln. Das nennt man Würde. Ihr kann der Verschleiß nichts anhaben. Warum, weiß ich auch nicht.

Wahl-Qual

Eine meiner Töchter möchte neue Schuhe haben – ob sie auch neue braucht, sei dahingestellt. Gestern waren wir in zwei Läden mit einer schier überwältigenden Auswahl an Schuhen. Leider blieb unsere Einkaufstour trotz des großzügigen Angebots erfolglos, aber ganz knapp:

„Wenn es die Schuhe
auch in nicht glänzend,
ohne Reißverschluss,
mit anderen Schnürsenkeln,
in einer anderen Farbe,
mit einer schlankeren Sohle,
in nicht so teuer,
ohne diesen hässlichen Aufdruck

gäbe, das wäre super.“

Wer die Wahl hat, hat die Qual – und am Ende keine neuen Schuhe.

Voll peinlich

Vor einiger Zeit wurde ich gefragt, ob ich meinen Kinder peinlich bin. Na klar, dachte ich – welche Mutter ist ihren Kindern nicht peinlich? Ich rede in der Öffentlichkeit zu laut oder bewege mich im Takt der Musik, die in Verkaufshäusern aus den Lautsprechern schallt. Es kann auch sein, dass ich in einem Restaurant so laut über etwas Lustiges lache, dass meine Kinder mich zischend zur Ordnung rufen. Oder ich spreche Söhne oder Töchter in der Schul-Teeküche mit „Na, mein Schatz“ an – voll peinlich.

Aus Liebe zu meinen Kindern versuche ich, mich in ihrer Gegenwart anders zu verhalten. Es gelingt nicht immer. Dennoch bleiben sie in solchen Momenten voll nett und barmherzig mir gegenüber. Ich freue mich darüber, denn ich weiß: Innerlich sind sie voll genervt.

Wetterfühlig?

Gestern regnete es mehr oder weniger den ganzen Tag. Mal stärker, mal weniger stark, zwischendurch intensiviert zu einer Art Schneeregen. Morgens war ich noch halbwegs trocken mit dem Rad durch den Nieselregen gekommen; ab Mittag ging draußen gar nichts mehr.

„Na, traut ihr euch raus?“, schien das Wetter uns zu fragen.

Gegen das Wetter kann man nichts tun. Manchmal ziehen wir uns wetterfeste Jacken an und gehen trotzdem raus. Gestern nicht, gestern wirkte jeder Protest zwecklos.

Deshalb lautete unsere Antwort: „Nö, wir bleiben hier drinnen. Bei DEM Wetter kann man ja gar nichts machen!“

Gar nichts? „Stimmt nicht“, dachten wir und buken Zimtschnecken. Schon beim Backen wunderbar duftend, beim Essen noch warm, weich, locker und süß – lecker.

Als wir glückselig das Ergebnis unserer Back-Aktion verzehrten, hatte der schlimmste Regen sich verzogen. Das klang nach: „Wenn meine Bemühungen um eine Schlecht-Wetter-Stimmung so ins Leere laufen, habe ich keinen Bock mehr.“

Geht doch.

Einfach so

2019 war ein ganz normales Jahr für uns. In unserem privaten Leben gab es keine Katastrophen und keine großen Höhepunkte. Es war trotzdem schön, keine Frage, nur ohne große Amplituden – es verlief einfach so vor sich hin. Dafür bin ich dankbar.

In meiner Küche hängt ein großer Terminkalender für alles, was so ansteht: Arztbesuche, Schulveranstaltungen, private Einladungen, manche Klassenarbeitstermine etc. Manches davon trage ich mit einem gewissen Vorlauf ein – den Kalender fürs nächste Jahr kaufe ich deshalb meist schon im Herbst und hänge ihn hinter den aktuellen. Gestern nahm ich den von 2019 einfach so ab und legte ihn in den Papiermüll.

Jetzt hängt da nur noch der Kalender für 2020, teilweise schon gefüllt mit Arztterminen, Schulveranstaltungen, privaten Einladungen, manchen Klassenarbeitsterminen etc. Dieses Jahr verläuft weiter – wie das letzte – einfach so vor sich hin. Das kann sich ändern, aber momentan ist es so. Dafür bin ich dankbar.

Auf den ersten Blick erinnert in meiner Küche nichts mehr an das vergangene Jahr, die sichtbaren Spuren von 2019 sind entsorgt. Das täuscht. Wahr ist: Die Erfahrungen und Erlebnisse von 2019 haben uns geformt – teilweise nicht ganz so sichtbar, aber dennoch mehr oder weniger deutlich. Kein Jahr lassen wir einfach so hinter uns, auch kein ganz normales. Einfach so lässt sich nur ein Kalender entsorgen – zum Glück!

Auf die Verpackung kommt es an?

In einem Werbeprospekt las ich – erwartungsgemäß – kurz nach Neujahr den Schriftzug: „Gute Vorsätze – sportlich verpackt“. Dazu abgebildet und angepriesen waren die üblichen Utensilien für regelmäßiges Laufen – Shirts, Hosen, Laufschuhe, Jacken. Es mag sein, dass derartige Produkte Anfang Januar tatsächlich mehr verkauft werden als sonst. Ob das aber auch heißt, dass die Käufer ab sofort mehr Sport machen?

Ich gebe zu: Welche Angewohnheit ich im vergangenen Jahr nicht etablieren konnte, wird sich nicht durch eine Silvester-Entscheidung und das „richtige Equipment“ in meinem Alltag verankern lassen. Wie schön die Verpackung auch aussehen mag – auf den Inhalt kommt es an.

Vernebelte Sicht

Gestern war es neblig – umfassend und flächendeckend. Ein Blick nach draußen zeigte: Die Sicht ist schlecht. Erst gegen Mittag begann die Sonne, den Nebel von oben ein wenig „wegzudampfen“. In dieser Zeit ging ich spazieren – noch eingehüllt von dichtem Nebel, Sichtweite unter 30 Metern. Auf der einzigen Brücke, die meinen Weg überspannt, erahnte – und hörte – ich einen radfahrenden Vater mit seinen Kindern: „Das ist nur Bodennebel, seht ihr, der ist nur unten am Boden.“

Ich musste schmunzeln und schüttelte verwundert den Kopf. Bodennebel kenne ich gut. Der hängt wie dicke Wattebüschel über – vornehmlich feuchten – Wiesen. Die Sichtweite in Beinhöhe beträgt maximal 30 Zentimeter, wenn überhaupt. Die Luft darüber, auf Augenhöhe, ist deutlich vom Bodennebel abgegrenzt und viel besser zu durchblicken. Was wir gestern hatten, war eindeutig KEIN Bodennebel, sondern ganz normaler Nebel – umfassend und flächendeckend. Nur in dem kleinen Moment, als die Sonne von oben den Nebel „auffraß“, konnte man vielleicht noch von einer Art Bodennebel sprechen – aber zwei Minuten später war auch das vorbei.

Wenn alles zu spät ist

Ich kann nicht nähen, überhaupt nicht. Zum einen habe ich es nie gelernt und besitze keine Nähmaschine. Zum anderen sind mir auch das Sockenstopfen und Knopf-Annähen ein Gräuel. Es kommt nichts Schönes dabei heraus, wenn ich Nadel und Faden in die Hand nehme.

Dafür kenne ich Frau P., eine begabte Schneiderin: Reparatur- oder Korrekturarbeiten in Sachen Stoff sind bei ihr bestens aufgehoben. Frau P. war schon häufig der letzte Rettungsanker für Löcher in Hosen, sich öffnende Nähte, zu lange oder zu weite Sachen oder für Jackenärmel, die durch Kaninchenzähne geschädigt sind. Ich bezahle, Frau P. repariert – und alle sind zufrieden.

Ab und zu reißt jedoch etwas entzwei, was den normalen Beanspruchungen des Alltags einfach nicht mehr gewachsen ist. Mir geschieht das häufig mit Oberteilen, die ich gern, viel und lange getragen habe. Irgendwann kommt der Tag, da geben diese Sachen nach: Es braucht keine große Strapaze, und schon ertönt das mir bekannte Geräusch zerreißenden Stoffes. Meist ignoriere ich es und schaue nicht gleich hin, denn ich weiß instinktiv: Was sich meinen Augen bietet, ist ein Zustand, den man mit „nicht mehr zu retten“ treffender nicht beschreiben könnte. Es ist bedauerlich, aber dann ist es selbst für die Rettungsbemühungen einer begabten Schneiderin zu spät!