Perspektiv-Wechsel

„Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Enden.“
Matthäus 28, 20b

Wenn ich erlebe, dass Gott wirklich immer und in allem dabei ist, ändert sich meine Blickrichtung: „Alle Tage“ mögen schön oder schrecklich sein, sie kommen und gehen. „Gott bei mir“ wird zur Hauptsache, die bleibt.

Schmerzgrenze

Gestern drehten wir zu Fuß eine Runde an einem Autohaus vorbei, vor dessen Türen seit einiger Zeit mein favorisiertes Traumauto steht. In herrlicher Ahnungslosigkeit wollte ich den Preis checken – mit der vermessenen Vorstellung im Kopf, für einen gebrauchten (aber nicht wirklich alten) Bulli würde man heutzutage weniger als 20.000 Euro auf den Tisch legen müssen. Das wissende Lächeln meines Mannes hätte mich stutzig machen sollen: Aber nein, die Hoffnung auf ein Wunder-Schnäppchen stirbt zuletzt.

Der Bulli war wirklich schick. Im Grunde zu schick für uns: Ich brauche weder Ledersitze noch 205 PS; und ich träume auch nicht von einem Multivan, ein Transporter mit ausreichend Sitzplätzen würde mir reichen.

Nach einem Blick auf das Preisschild bin ich (für eine Weile) geheilt von meinen Illusionen. Ich hätte gern so ein Auto, aber ich möchte nicht so viel Geld dafür ausgeben – selbst wenn ich es hätte. Bei allem Bedauern, dass wir uns diesen Wagen nicht leisten können, muss ich zugeben: Wir wollen ihn uns auch nicht leisten. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn Geld keine Rolle spielte: Wir haben eine Schmerzgrenze, was ein Auto kosten darf.

Vielleicht ist auch diese Schmerzgrenze eine vergängliche Illusion; aber es sieht in absehbarer Zukunft nicht so aus, dass wir von ihr geheilt werden könnten…

Von Pralinen und Kröten

Eine Bekannte erwähnte vor Jahren mir gegenüber, dass die schönen Dinge im Leben (Pralinen) oft mit unangenehmen Konsequenzen (Kröten) einhergehen:

Wenn dir jemand hilft, erledigt er Aufgaben auf seine Weise und nicht unbedingt so, wie du sie selbst bewerkstelligen würdest.
Es gibt tolle Jobs mit einem super Gehalt, aber es kann sein, dass sie einen großen Teil deiner Lebenszeit auffressen.
Ein Garten ist toll, muss aber gepflegt werden.
Und so weiter.

In meinen Urlaub kürzlich war ich mit bestimmten Erwartungen aufgebrochen: Ich wollte allein sein, nicht zuständig, nicht verpflichtet, sondern unabhängig und autark. Ich wollte auch erleben, wie das ist – so allein. Ohne den Ballast von Beziehungen, die mir vertraut sind. Frei.

Während des Urlaubs war ich tatsächlich viel allein und empfand das als schön – und gleichzeitig ungewohnt. Ich fühlte ich mich ungebunden, aber auch nicht geborgen. Dieses Gefühl war nicht nur schön, sondern auch anstrengend. Denn: „Nicht allein und oft zuständig“ (Kröte) gab`s die letzten 21 Jahre meines Lebens immer in Verbindung mit „nicht für alles allein verantwortlich“ (Praline).

Mal wieder zeigte sich, dass alles einen Preis hat. Es gehört sicher nicht zu jeder Praline eine Kröte; und glücklicherweise sind Kröten oft kleiner als Pralinen. Aber im Paket des Lebens befindet sich immer eine Mischung.

Verlust

Auf einer Postkarte, die ich mittlerweile verschickt habe, stand der Vers: „Die Furcht vor Verlust ein Pfad zur dunklen Seite ist.“ Dazu ein Bild von Yoda, DEM Jedi-Master aus Starwars.

Ich bin kein Fan von „Krieg der Sterne“, ich blicke überhaupt nicht durch. Nur ein paar Namen sind mir im Laufe der Jahre durch meine Söhne immer wieder begegnet – und ich kann sie normalerweise den Guten oder Bösen zuordnen. Yoda verkörpert die Weisheit der Guten und die Macht. Wenn man das überhaupt in einem Satz sagen kann und darf.

Yoda ist so weise, dass ich ihn kaum verstehe: Auch dieser Ausspruch über die Furcht vor Verlust ist mir ein Rätsel. Eine mögliche Lösung erschloss sich mir letztens im Garten. Angst ist eine starke Triebfeder. Ich schätze, die Angst um mir liebe Menschen würde mich zu allem möglichen befähigen. Was könnte schlimmer sein als der Tod des Ehemannes, eines Kindes? Ich rede wie die Blinde von der Farbe, denke aber, dass man den Tod anderer „überlebt“. Nicht unbedingt unbeschadet, vielleicht noch nicht einmal besonders intakt. Aber danach wäre noch immer Dagmar da.

Was aber, wenn es um den Verlust meiner eigenen Identität ginge? Stünde sie auf dem Spiel, wäre ich ebenfalls zu allem bereit – und noch dazu wäre mir alles egal. Wie kann ich sie verlieren? Indem ich mich abhängig mache von der Meinung anderer, mich definiere über die Meinung anderer. Menschenfurcht nennt Gott das wohl. Überlasse ich es Menschen und nicht Gott, mir meine Identität zuzugestehen – oder eben auch nicht -, dann werde ich zu deren Spielball. Die Furcht vor Verlust der Identität könnte Yoda also meinen. Der Weg dahin ist gepflastert mit Angst:

Angst vor Ablehnung,
Angst vor Be- oder Verurteilung,
Angst, mich zu blamieren,
Angst, ein schlechtes Bild abzugeben,
Angst, nicht dazuzugehören,
und so weiter und so fort.

Diese Ängste verleiten mich zu Lüge und Prahlerei oder zum Versteckspielen.

Ist meine Identität in Gott verankert, verblassen die Ängste und erübrigen sich die Umgehungs-Strategien. Gott nimmt mich an, liebt mich, gibt mir einen Wert.

„Menschenfurcht bringt zu Fall; wer sich aber auf den Herrn verlässt, wird beschützt.“
Sprüche 29, 25

Vielleicht hat Yoda das nicht gemeint, aber so kann ich ihn verstehen.

Genug

Abgeben kann ich nur, wenn ich selbst genug habe – wobei genug durchaus dehnbar interpretiert werden kann. Das gilt für Materielles ebenso wie für Zeit, Kraft und emotionale Stabilität. Was ich nicht habe, kann ich nicht teilen. Ich bin dankbar, dass wir als Eltern in den vergangenen Jahren genug hatten für unsere Kinder – Nahrung, Kleidung, Liebe, Zeit, Geduld, Kraft. Ich bin mir darüber im Klaren, dass alles davon uns vorher selbst zur Verfügung gestellt worden ist. Vor allem diese bedingungslose Liebe von Eltern zu ihrem Kind, die normalerweise im Übermaß vorhanden ist, konnten (und mussten) wir nicht selbst produzieren: Gott selbst hat sie in uns hineingelegt.

Weisheit

Laut Wikipedia „bezeichnet Weisheit vorrangig ein tiefgehendes Verständnis von Zusammenhängen in Natur, Leben und Gesellschaft sowie die Fähigkeit, bei Problemen und Herausforderungen die jeweils schlüssigste und sinnvollste Handlungsweise zu identifizieren“. Der Duden sagt, sie wäre eine „auf Lebenserfahrung, Reife (Gelehrsamkeit) und Distanz gegenüber den Dingen beruhende, einsichtsvolle Klugheit“.

Die Bibel sagt: „Die Weisheit aber von oben her ist zuerst lauter, dann friedfertig, gütig, lässt sich etwas sagen, ist reich an Barmherzigkeit und guten Früchten, unparteiisch, ohne Heuchelei.“
Jakobus 3, 17

Wir nennen es Weisheit, dass jemand etwas weiß; Gott nennt es Weisheit, wie jemand damit umgeht, dass er etwas weiß. Uns auf unser Wissen etwas einzubilden, rangiert eindeutig hinter der Bereitschaft, unser Wissen demütig anderen zur Verfügung zu stellen.

Vogelnest

Beim Beschneiden der Büsche im Garten fanden wir ein verlassenes Vogelnest – und waren fasziniert. Wie stabil, wie kompakt, wie schön und gleichmäßig gebaut! Anfangen muss so ein Vogel mit einem ersten kleinen Ästchen, und er hat nur seinen Schnabel als „Werkzeug“. Wie viel Geduld und Ausdauer in solch einem Nest stecken müssen, wurde mir erst durch den aktuellen Anblick eines solchen klar. Das Endergebnis ist nicht nur schön, sondern auch genau das, was die kleinen Vogelkinder für den Start ins Leben brauchen.

Ich möchte an das Vogelnest denken, wenn mir eine Aufgabe Mühe macht; ich möchte mich mit Geduld und Freude auch an die alltäglichen Tätigkeiten wagen, die ich für unnötig und lästig halte. ALLE sind Teil davon, den mir anvertrauten Menschen ein Heim zu schaffen, von dem aus sie ins Leben ziehen – was könnte wichtiger sein!

Komfortzone

Um wahrzunehmen, wie eng wir denken, müssen wir unsere Komfortzone verlassen und uns hinauswagen ins Unbekannte, Ungewisse und Unvertraute. Möglichst allein. Das ist beängstigend und vielleicht sogar unangenehm verunsichernd – eben nicht komfortabel, aber dann haben wir eine echte Chance, unseren Horizont wirklich zu erweitern.

Gelandet heißt nicht angekommen

Als ich nach England flog, landete ich in London Heathrow. Der Flughafen ist sehr groß, und ich dachte: Jetzt bin ich also angekommen in London. Von diesem Flughafen aus muss man noch eine Weile mit der Bahn oder U-Bahn fahren, um die Stadt selbst und viele andere Bahnhöfe zu erreichen. Die U-Bahn ist sofort voll: Alleinreisende, Familien, Geschäftsleute und jede Menge Koffer zwängen sich in die Wagen der U-Bahn-Linie Piccadilly Line. Es ist voll, aber erstaunlich ruhig. Eine gewisse Atmosphäre der Reise-Müdigkeit wabert durch den Wagen, einige sind am Handy, einige unterhalten sich gedämpft, aber insgesamt ist es trotz der Fülle still.

Einige Stationen später steigen drei Jugendliche dazu. Sie sind ohne Koffer unterwegs, London ist offensichtlich ihr Zuhause. Sie unterhalten sich – logisch. Was weniger logisch und vor allem weniger angenehm ist: Sie sind unglaublich laut und verbreiten in unserem Waggon eine unangenehme Hektik. Erst jetzt bin ich wirklich in London angekommen.

Hier so, da anders

Ein Urlaub erlaubt nur einen kleinen Einblick in und hinterlässt einen sehr unvollkommenen Eindruck von dem Ort, wo wir sind. Trotzdem: Hier im ländlichen Südengland und jetzt (Anfang Oktober) fällt mir im Gegensatz zu Deutschland auf:

Kaum einer benutzt ein Fahrrad. Spazierengehen mit dem Hund – ja. Joggen – bisweilen. Aber das Rad, um von A nach B zu kommen? Fehlanzeige. Ausnahme: Moutainbikes und Rennräder sind Sportgeräte.
Briefmarken gibt`s nach Farben sortiert, glaube ich. Rote – mit der Königin drauf – kosten 80 Cent pro Stück, das steht aber nicht drauf. Ich nehme an, blaue haben einen anderen Preis – ich weiß es aber (noch) nicht.
Bettdecken. Groß und mit extra Laken zwischen Decke und Mensch. Dieses ist für Ungeübte nachts entweder im Weg oder zu kurz.
Für Instant-Kaffee und Orangenmarmelade fehlen mir die Worte.
Auch als Fußgänger immer nach links ausweichen – sonst entschuldigen sich die Briten für die Beinahe-Kollision.
In Deutschland gibt es Wanderwege, hier gibt es „querfeldein“.
Regen? Erstaunlich wenig.
Tee. Können die Ostfriesen auch.
Postkarten – unschlagbar.
In Deutschland gibt es Supermärkte, die den Zuckergehalt in Nahrungsmitteln reduzieren wollen. Die Briten haben Chocolate Brownies…

(Unvollständige Liste.)