Wohlfühljahreszeit (2)

Heute Morgen war es kalt, die Luft klar und frisch, der Himmel blau. Auf dem Rad wehte mir ein schneidender Wind entgegen. Ich dachte an den Sommer, aber nur kurz. Ich dachte auch: „Ist gar nicht so schlecht dieses Wetter. Kein Regen, kein Schnee, die Straßen eisfrei, die Luft eisig. So mag ich Winter.“

Ich bleibe ein Sommermensch, aber unter bestimmten Bedingungen mag ich auch Winter.

Wertlos oder unbezahlbar?

Unser Fahrradanhänger ist 17 Jahre alt. 17 Jahre. Fast so alt wie unser ältester Sohn. Er sieht nicht mehr so gut aus – der Fahrradanhänger. Er ist in die Jahre gekommen. Bis auf platte Reifen hin und wieder und ein bereits mehrmals ausgetauschtes Regenverdeck haben wir nicht viel reparieren müssen in den 17 Jahren. Die zuletzt installierte Plane ist nicht mehr wirklich regensicher, aber das macht nichts: Ich muss keine Kinder mehr trocken von A nach B bringen, und für meine Einkäufe kann ich die regenfreien Stunden abpassen. Denn: In unserem Fahrradanhänger sitzt schon lange kein Kind mehr. Heutzutage dient er ausschließlich zur Beförderung von Sachgütern, aber das sehr häufig.

So sieht er auch aus. Alt, viel genutzt, oft gebraucht, ausgeblichen, teilweise zerlöchert. Wenn ich ihn mit einem Wort beschreiben sollte, würde ich „abgenutzt“ wählen. Nicht schön, wirklich nicht schön. Würden wir ihn loswerden wollen – nur noch auf den Schrott damit oder zum Restmüll. Das Ding kauft uns keiner mehr ab, das Ding nimmt auch niemand geschenkt. Geschäftlich gesprochen ist dieser Vermögensgegenstand längst abgeschrieben, im Grunde wertlos.

Für mich persönlich hat der Anhänger auch keinen emotionalen Wert. Obwohl ich dankbar bin, dass wir ihn all die Jahre hatten: Die Tatsache, dass alle unsere fünf Kinder irgendwann in dem Teil gesessen haben, ist mir keine Träne wert.

Dennoch hat der Anhänger einen Wert für mich: Aus meiner Sicht als praktisch denkende, einkaufende Frau ist er unbezahlbar.

Unterschiedliche Währungen

Mit gleicher Münze heimzahlen. Soll man ja nicht, weil es kindisch ist – und langfristig gesehen sicherlich keine kluge Vorgehensweise. Abgesehen davon ist es manchmal auch nicht einfach: Münze ist nicht gleich Münze. Was mich auf die Palme bringt, lässt meinen Mann ganz kalt – oder umgekehrt.

Hinter mir lassen

Ich habe den Eindruck, der Blick von Kindern geht nur nach vorn; als käme es im Leben darauf an, Dinge hinter sich zu lassen und abzuhaken: Etwas lernen, es dann können und das Nächste anpacken. Das gilt für alles. Laufen, Radfahren, sprechen, Schule, Ausbildung, FÜHRERSCHEIN, Jobeinstieg, Familie gründen etc. Manches wird ein Automatismus, den man wahrscheinlich nie mehr verlernt, immer nutzt, für selbstverständlich nimmt. Laufen zum Beispiel. Anderes vergisst man und lässt es wirklich hinter sich. Bei mir sind es – unter anderem – Kurvendiskussionen, Redoxreaktionen und Russisch.

Mittlerweile glaube ich allerdings, es kommt im Leben eher darauf an, Zustände zu erleben. Sie nicht abzuarbeiten, sondern in ihnen zu sein. Mensch, Freundin, Mutter, Berufstätige – die Liste ist erweiterbar. Aus dieser Perspektive ist kein Lernen irgendwann vorbei: Wie ich mich in einer Sprache IMMER weiterentwickeln kann, werde ich auch in den Umständen und Zuständen, in denen ich lebe, nicht fertig. In den entscheidenden Bereichen meines Lebens lerne ich nicht aus und lasse nicht viel hinter mir. Ich schleppe meine Erfahrungen mit mir herum wie einen Schatz – oder wie einen Klotz. Und manchmal reichen sie nicht aus für die Situation, in der ich bin, und eine neue „Lösung“ muss her. Nur für die allerwenigsten Dinge und Situationen gibt es einfache Lösungen. Und sehr selten nur eine.

Das kann ich als frustrierend empfinden oder auch als entlastend: Ich muss flexibel sein und lernwillig bleiben. Dafür darf ich Fehler machen und keine Antwort haben. Mein Leben besteht nur zu einem sehr geringen Teil aus „abhaken“. Und erst im Sterben werde ich es wirklich hinter mir lassen.

Anders als früher

Wenn ein Kind geboren wird, hat die Mutter es in der Hand, wie wichtig sie für ihr Kind ist. Wenn ich als Mutter die Beziehung zu meinem Kind will und da bin, werde ich DIE Bezugsperson schlechthin sein und der Mensch, an dem es sich hauptsächlich orientiert. Bei uns hieß das: Sobald es Worte gab, war ich die Anlaufstelle für alles: „Mama, ich muss dir was erzählen.“

15 Jahre später frage ich einen meiner Söhne, mit wem er über wichtige, persönliche Dinge reden würde. Die Antwort: „Mit dir am allerwenigsten!“

Schmeckt erstmal bitter, ist aber eine gute Entwicklung – so muss es sein.

Wer weiß: Vielleicht wird es in weiteren 15 Jahren wieder mehr Gesprächsbedarf von seiner Seite geben. Es liegt nicht mehr in meiner Hand, aber ich bin da.

Give away

Recently I was given a „give away“ from a friend of mine. No gift, she pointed out, a „give away“. In a letter accompanying the „give away“ she explained to me, what this is about.

It´s about giving something to someone without any attached strings. No expectations that it´s the right taste, that the person receiving it is happy about it or needs it or wants to use it. The one receiving the „give away“ is deliberately set free to keep the „give away“ or to pass it on. Happily and without the least truce of guilt.

I got four items: a pair of tights, running trousers, a book and freedom. I couldn´t keep the tights because they were too long – and honestly: I didn´t like them so much. But even if they had fitted perfectly I could have given them away without feeling guilty that I don´t appreciate the „give away“ enough.

The rules existing for a „give away“ should apply for gifts, too. However much I enjoyed the running trousers on my first three chances to wear them, however eager I am looking forward to reading the book in the future: the best part was the part about being liberated to enjoy what I like and give away what I don´t. I can honestly say: thank you, my friend!

Kind-Sein

„Mama, ich werde bald 18!“, so klingt es derzeit des öfteren in unserem Haus. Als wäre das die Universalbegründung dafür, dass das Kind von uns als Eltern keine Hinweise, Ratschläge und schon gar keine Anordnungen mehr wünscht oder gar benötigt.

Es soll eine Erklärung sein, aber es klingt wie eine leichte Drohung: „Ich werde bald 18 … und dann – habt ihr mir gar nichts mehr zu sagen.“ Dabei geht es doch jetzt erst los! Jetzt hätten wir so viel, was wir dem Kind mitgeben können. Jetzt sind da so viele Entscheidungen, die es treffen muss: Wohin geht die Reise in und nach der Schule? Gerade in dieser Lebensphase sind da so viele Konsequenzen, die sein Handeln nach sich zieht: Zwei Tonnen rollende Metallbüchse im Straßenverkehr sind nicht nur ein bequemes Fortbewegungsmittel, sondern auch eine gefährliche Waffe.

Und natürlich ist ein Kind mit 18 erwachsen und strafmündig und was weiß ich; aber verhält es sich auch so? Braucht es uns als Eltern dann nicht mehr? Oder nur noch finanziell?

Kinder werden nicht plötzlich groß, es ist ein Prozess. Dieser dauert über den 18. Geburtstag hinweg an. Das ist ein Luxus unserer Gesellschaft und unserer heutigen Zeit; aber vielleicht verstehen wir das erst, wenn wir wirklich kein Kind mehr sind.

Sicheres Wetten

Ich verliere Wetten meistens und gegen meinen Mann immer, wirklich immer. Mit ihm wette ich deswegen nicht mehr. Auch wenn ich mir ganz sicher bin. Einmal haben wir darum gewettet, wie unser Auto-Kennzeichen lautet. Mein Gewinn wäre gewesen, dass mein Mann öfter kochen muss. Sein Gewinn war, dass er nicht öfter kochen muss. Er hat sich darauf eingelassen – schon das hätte mich wundern müssen.

Ich hab´s dennoch gewagt. Natürlich hatte ICH einen Zahlendreher im Kopf und habe verloren. Schade war das.

Im Laufe der Jahre habe ich die Erfahrung gemacht, dass mein Mann nur wettet, wenn er sich ganz sicher ist. Zwar wette ich auch erst, wenn ich mir ganz sicher bin; aber irgendwie ist es doch anders. Mein Mann ist sich sicherer ganz sicher.

Angriffswetter

Es gibt ein Wetter, das ist besonders ungemütlich: Es regnet Bindfäden und ist kalt, der Wind fegt um die Häuserwände und kommt immer von vorn – so wie sonst nur an der Küste. Das gibt es auch hier in der norddeutschen Tiefebene, in der ich seit 20 Jahren zu Hause bin. Mein Mann hat dafür einen Begriff mit in die Ehe gebracht, den er seit seiner Bundeswehrzeit kennt: Angriffswetter. Ob es sich dabei um einen offiziellen Titel handelt, kann ich nicht sagen; ich weiß nur, dass der Name passt. Wer sich bei dem Wetter aus dem Haus wagt, hat selbst Schuld, keine andere Wahl – oder will einen ungeliebten Feind überrollen.

Obwohl wir in einer Zeit leben, in der jede mittelgroße Kleinstadt mit mindestens drei sogenannten Outdoor-Läden ausgestattet ist, fahren an Tagen mit Angriffswetter die meisten Menschen mit dem Auto. Sogar Schüler steigen auf Busse um oder überzeugen ihre Eltern, dass sie auf keinen Fall laufen oder mit dem Rad fahren können. Es ist ja auch wahr: Schön ist es nicht. Den halben Tag draußen zu arbeiten, ist kein Spaß; sich kilometerweit durch die Walachei zu kämpfen auch nicht. Feinde zum Überrollen haben die wenigsten von uns. Kein Grund also, sich bei Angriffswetter rauszuwagen – nicht einmal für eine Stunde.

Wer es doch tut, ist am Ende nass. Und um eine Erkenntnis reicher: Angriffswetter entwickelt seinen größten Schrecken, solange man auf dem warmen Sofa sitzt. Mittendrin ist es weniger schlimm – und schneller vorbei, als man denkt. Wir müssen ja keine 36 Stunden-Übung bei der Bundeswehr durchhalten. Wir sehen hinterher nur fast so aus…

Meine Zahlen-Macke

Meine Familie belächelt mich manchmal – wessen Familie tut das nicht? -, denn: Mir sind zweifelhafte Dinge wichtig – ungerade, schräge Zahlen beispielsweise. Ich mag sie, besonders die Primzahlen. Als ich 47 Jahre alt wurde, war eine lange Durststrecke beendet – 44 (gähn!), 45 (ungerade, aber die mit der fünf hinten sind langweilig), 46 Jahre (natürlich zu gerade), dann endlich: 47. Ein Highlight, dem einige langweilige Jahreszahlen folgen: 48, 49 (ungerade, aber durch 7 teilbar), 50 (nicht nur gerade, sondern auch noch rund!!!), 51 (geht so, wenn man von der Teilbarkeit durch 17 absieht, die ja immerhin selbst eine Primzahl ist), 52 (ohne Worte), bis es dann heißt – 53 Jahre alt. Wenn ich nicht wüsste, dass bis dahin fünf weitere kostbare Lebensjahre verstrichen sein werden, wäre ich jetzt schon voller Vorfreude.

Wie bei Primzahlen üblich, werden die Abstände bei aufsteigender Zählung größer. Ich weiß. Also übe ich schon mal im Heute und bin ganz entspannt 48 Jahre alt. Meine Vorliebe für ungerade Zahlen im Allgemeinen und Primzahlen im Speziellen muss ich anderswo ausleben: Ich mag es, wenn der Wecker nicht um 6.00 Uhr klingelt, sondern 5.57 Uhr oder 6.03 Uhr. Einziges Problem: Die Wecker-Hoheit hat momentan mein Mann, und der findet meine Zahlenmacke ziemlich schräg.