Solche Tage

Es gibt solche und solche Tage. Die einen sind gut oder besser – zufriedenstellend ermüdend, ausgefüllt, durchzogen von Teil-Erfolgen und Gelächter. Idealerweise: Wir streiten kaum, ich schaffe, was ich mir vornehme, und habe Zeiten der Muße.

Andere Tage fangen normal an und dann kommt sie, die Herausforderung. Verkleidet als überraschende Erkrankung (besonders unangenehm: Magen-Darm-Geschichten), ein Anruf aus der Schule („Ihr Kind hat eine Platzwunde!“), die Waschmaschine pumpt nicht ab, Genervtheit aufgrund von Schlafmangel, Streit mit meinem Liebsten oder ähnliches. Ich stolpere dann so dahin, der Tag gewinnt eine Eigendynamik, die ich nicht kontrollieren kann. Wenn ich abends ins Bett gehe, bleibt ein Rest von „nicht erledigt“ und „fremdbestimmt“. „Huch, was war das?“, ist dann der letzte Gedanke – berechtigt zuversichtlich, dass es morgen besser läuft.

Und dann sind da noch diejenigen Tage, an denen ich selbst zu nichts Lust habe, das Miteinander in der Familie durchzogen ist von Streit und Lärm, ich von einem Kind angelogen werde (und gleich meine gesamte Erziehungsfähigkeit in Frage stelle), das gute nachbarschaftliche Verhältnis durch eine blöde Meinungsverschiedenheit belastet wird, eine volle Ölflasche in der Küche auf dem Boden zerschellt, ich durchs Telefon von der ernsten Erkrankung eines lieben Menschen erfahre, das Auto nicht durch den TÜV kommt, ich mir beim Essenkochen böse in den Finger schneide oder mich beim Bügeln verbrenne …

Meist passiert nicht alles auf einmal, ich weiß. Aber einiges davon geschieht gern mal innerhalb kurzer Zeit. Solche Tage gibt es eben auch. Solche Tage sind eben auch meine Lebenszeit. Sie schmecken mir nicht, sie müssen einfach ertragen werden.

Warten im Supermarkt

Letztens habe ich viel eingekauft. Die Kasse war leer, ich konnte gleich alles aufs Band legen. Die Kunden nach mir – ein älteres Ehepaar im Rentenalter – riefen umgehend nach einer zweiten Kasse. Es dauerte ein bisschen. Eine zweite Kassiererin kam nicht so schnell wie von den Kunden gewünscht. „Welche Kasse öffnen Sie denn?“, in der Frage schwang einiges mit: Eile, Hektik, Ungeduld.

Ich kann es verstehen, ein bisschen: Auch für mich gibt es Schöneres als einzukaufen. Ich lese lieber ein Buch oder gehe eine Runde joggen. Andererseits ist das Einkaufen von Lebensmitteln keine Strafe, sondern ein Privileg: Es gibt ALLES! Das Endergebnis ist wunderbar, denn ich hole nach Hause, was uns schmeckt und satt macht. Wahrscheinlich ist es gar nicht das Einkaufen selbst, was die Leute schnell hinter sich bringen wollen. Die Eile kommt erst in dem Moment, in dem es ans Warten geht. Warten an der Käse- oder Fleischtheke, warten an der Kasse.

Ich möchte diese Wartezeit an sich nicht als „verbrannte Lebenszeit“ verstehen. Manchmal rede ich mit einer Verkäuferin, einer anderen Kundin oder der Frau an der Kasse. In aller Ruhe – ich hatte schon sehr freundliche Begegnungen mit Menschen, die dort arbeiten oder selbst einkaufen. Es ist nicht schlimm, dass wir uns treffen; es kann sogar schön sein. Und selbst wenn ich nur warte, empfinde ich die Zeit nicht als verloren. Ich erlebe sie als einen Moment des Innehaltens. Das bekommt mir besser, als wenn ich der Ungeduld in mir Raum gebe.

Ich schätze, ich brauche kaum länger fürs Einkaufen als diejenigen, die schnell nach einer zweiten Kasse rufen. Letztlich ist es mir egal: Einkaufen und das damit verbundene Warten gehören zu meinem Leben dazu – wie lesen und joggen.

Der Bessere möge gewinnen?

Eine Weisheit Dantes lautet: „Möge der Bessere gewinnen.“ Ich stimme ihr ohne Zögern zu – auf den ersten Blick.

Auf den zweiten Blick: Denke ich wirklich so gerecht? Will ich immer, dass der Bessere gewinnt? Wenn Deutschland ausgeschieden ist bei der WM, der EM oder sonstwo – ja, dann kann meinetwegen der Bessere gewinnen. Solange Deutschland dabei ist, freue ich mich immer, wenn wir gewinnen – egal ob wir wirklich besser waren oder nicht. Ich kann auch mit einem unverdienten Sieg gut leben, jedenfalls viel besser als mit einer unverdienten Niederlage! Ebenso geht es mir bei meinen Kindern und ihren Mannschaften: Sie müssen schon grottenschlecht spielen oder unfair oder von Anfang an haushoch unterlegen sein, damit ich eine Niederlage wertneutral oder zufrieden hinnehme – wenn auch hauptsächlich um ihretwillen.

Es gibt sicherlich Bereiche, in denen ist es mir egal. Ob Deutschland beim Anbau von Mangos gut abschneidet zum Beispiel, das ist mir egal, das ist nicht unser Ressort, das können andere besser – und darüber freue ich mich dann auch. Oder wenn mein Sohn den Vorlesewettbewerb nicht gewinnt, auch das kann ich gut aushalten – denn: Vorlesen ist nicht seine größte Stärke, das können andere sicherlich besser. Gewönne er, würde ich mich freuen, klar. Aber eher für ihn; ich liebe ihn auch ohne Sieg, ich bin sowieso stolz auf ihn und freue mich, dass er überhaupt liest.

Wenn es im Rahmen des Erreichbaren erscheint, dass jemand etwas gewinnt, dem ich mich irgendwie verbunden fühle: dann bin ich letztlich immer für denjenigen. Dann bin ich total parteiisch. Auch wenn mir die deutsche Nationalmannschaft nur durch ihre Nationalität nähersteht als die französische, hätte ich mich für die Deutschen sehr gefreut. Persönlich kenne ich in keiner Mannschaft jemanden; jeder hat genauso hart trainiert und genauso viel Geld dabei verdient. Es könnte mir total wurscht sein. Auch ändert sich für mich nichts, das merke ich doch: Heute ist es schon wieder Schnee von vorgestern, dass dieses Jahr die Franzosen Weltmeister geworden sind – nur eine Notiz in der Statistik. Ein Freund von mir kennt sich besser aus als ich. Er sagt, die Franzosen waren dieses Mal einfach besser. Ich schätze allerdings, das ist letztlich egal. Am Ende zählt nur der Sieg. Von wegen „der Bessere möge gewinnen“!