Worte – geschrieben oder gesprochen

Ich kann Geschriebenes besser behalten, das war schon immer so. Wenn ich lernen musste, dann reichte mündlich nicht – in der Schule, im Studium; und auch heute bleiben Gedanken besser hängen, die ich mir aufschreibe. Die anderen verschwinden schnell im Hintergrund meines Gedächtnisses, sind oft nicht mehr so leicht abrufbar. Und: Ich bekomme lieber einen Brief als einen Telefonanruf, bin selbst schriftlich besser sortiert als mündlich.

Andererseits gehen gesprochene Worte tiefer, jedenfalls bei mir. Sie können sehr aufbauen (oder sehr verletzen). Je älter ich werde, umso mehr bleiben sie hängen: Ich weiß noch genau, wie unser Ältester vor drei Jahren zu mir kam. Ich saß weinend auf dem Sofa, weil ein mir lieber Mensch nahe am Sterben war: „Mama, lass Gott einfach machen“, hat er damals gesagt – und diese Weisheit eines 14-Jährigen hat mich unglaublich getröstet und mir wirklich geholfen, meine Sorge loszulassen.

Im Schriftlichen sind es Zusammenhänge und Gedankengänge, die klar werden und mich prägen. Im Mündlichen sind es einzelne Sätze, die treffen. Ich brauche beides.

Energiebilanz zweifelhaft

Manche Frauen scheinen unbegrenzt davon zu haben – Energie. Ich nicht. Was andere Leute schaffen, lässt mich schwindeln: Job, Kinder, Ehrenamt, Marathonläuferin als Hobby oder Ausgleich, abends noch einen Tanzkurs mit dem Ehemann, kulturinteressiert am Wochenende unterwegs, was Bücher angeht immer up to date, politisch nicht nur informiert, sondern mit einem klaren Standpunkt ausgestattet. In all diesen Bereichen fühle ich mich weniger ambitioniert, müder, wahrscheinlich auch weniger bereit, mich zu engagieren. Kann ich leider nicht auf mein fortgeschrittenes Alter schieben: Die Frauen, von denen ich spreche, sind in demselben.

Woran liegt das? Innerlich fühle ich mich jung, noch nicht fertig, noch lernend, unerfahren gar. Andererseits laufe ich nur noch fünf, keine zehn Kilometer mehr, putze mein Haus weniger regelmäßig von oben bis unten, lese manches Buch nicht zu Ende und die Zeitung so, dass ich hinterher eher ratlos bin als umfassend informiert. Und ich brauche viel Schlaf. Mehr als vor zehn oder fünfzehn Jahren, als der Nachtschlaf noch regelmäßiger unterbrochen war. Die Altersphase, in der man kaum noch Schlaf braucht, habe ich noch nicht erreicht. Verwandle ich mich in ein Murmeltier? Oder ist das normal?

Diskrepanz zwischen Ist und Soll

„Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.“
Paulus in Römer 7, 19

„Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Keuschheit…“
Paulus in Galater 5, 22+23

Es gibt Situationen, Worte, Dinge, die in mir eine Reaktion auslösen, die sich teilweise von mir nicht mehr selbst kontrollieren lässt. Vielleicht will ich es auch nicht. Das geschieht häufig gänzlich unerwartet; und auch wenn die Auslöser sicherlich immer wieder ähnlich sind, überrascht mich meine eigene Ohnmacht in der jeweiligen Situation genauso immer wieder.

Inzwischen weiß ich, dass ich allergisch reagiere, wenn ich mich nicht ernst genommen fühle. Geschieht das, so werde ich wütend, reagiere beleidigt, ziehe mich innerlich zurück. Ob der andere es tatsächlich so gemeint hat oder nicht, ist dabei weniger wichtig als das bei mir erzeugte Gefühl. Da ist eine Wunde in meinem Inneren, an die lass ich keinen ran, an die komme ich selbst nur schwer ran. Im Ergebnis bin ich nicht liebe- und verständnisvoll, freundlich, geduldig, großmütig und barmherzig, um Ausgleich bemüht und versöhnungsbereit…, sondern in Verteidigungshaltung und (bisweilen sehr) angriffslustig. Aus der Perspektive des anderen verstehen? Wozu? MIR geht es gegen den Strich, ICH werde gerade doof behandelt, MEINE Gefühle werden verletzt.

Gut dass es Paulus genauso ging – manchmal. Gut dass Paulus genauso wie ich wusste, dass nur Gott unser Inneres verändern kann – hoffentlich immer mehr.

Meine Erfahrung ist nicht deine Erfahrung

Erfahrungen kann man schlecht für jemand anderen machen: Ein Sohn ist zum Austausch in Irland. Zwischen der Spannung (der erste Flug, wie wird das wohl?) und Anspannung (unbekannte Gastfamilie, wie wird das mit der Sprache?) schwankte das Kind – je näher der Abflugtag anrückte, desto mehr. Weder das Schöne des ersten Fluges noch die Erfahrung, mit fremden Menschen umgehen zu müssen und nicht zu wissen, wie man mit „denen“ klarkommen wird, konnten wir ihm abnehmen. Dafür wird das Erlebte auch ganz SEINS sein. Nicht vermittelbar, nicht teilbar, seine Erfahrung, sein Erleben, sein Erinnerungsschatz irgendwann. So ist es mit allem – auch mit den weniger positiven Ereignissen des Lebens.

Zwar würde ich meinen Kindern gern manches ersparen, aber schlau ist das nicht. Dass Niederlagen und Fehler nicht das Schlechteste sein müssen beim Großwerden zum Beispiel, das kann man nicht theoretisch verstehen. Dass Horizonterweiterung immer mit dem Verlassen der Komfortzone verbunden ist und darum oft beängstigend, ungewohnt und anstrengend, ebenso. Auch die Kraft von Worten – in aufbauender und in verletzender Weise – begreifen sie am ehesten durch Ermutigung und leider eben auch verbale Attacken. Und so weiter und so fort.

Was sie aus Erfahrungen lernen und wie diese sie prägen und beeinflussen, das ist dann noch einmal eine ganz andere Frage. Ersparen kann ich sie ihnen nicht, mit ihnen darüber reden schon.

Mach ich, klar

Ich sage zwar: „Ich lebe“, doch fühlt es sich manchmal eher an wie: „Ich werde gelebt“. Ich reagiere an manchen Tagen mehr, als dass ich agiere. Da ruft gleich morgens jemand an, ob ich zwei Kinder hüten kann, weil das kleine Geschwisterbaby auf die Welt kommt. Mach ich, klar. Während die beiden Jungen hier frühstücken, meldet sich eine Freundin, ob ich abends für sie Taxi spielen könnte – Fuß kaputt und aber ein wichtiger Arzttermin auswärts. Mach ich, klar. Das Mittagessen kommt mir in die Quere – heute sind wirklich alle sieben zur gleichen Zeit mittags zu Hause. Mach ich, klar. Ich habe mich verplant und muss dringend noch was einkaufen. Mach ich, klar. Meine Tochter braucht nachmittags Motivation, ihren Kaninchen Löwenzahn zu pflücken – und Gemeinschaft ist die beste Motivation, also pflücken wir zusammen. Mach ich auch, klar.

Am Ende solcher Tage fühle ich mich fremdgesteuert. Das wäre sicher anders, wenn ich einen „richtigen“ Job hätte mit klar umrissenen Aufgaben und Terminen und Präsenz-Zeiten. Hab ich aber nicht. Mein Job ist Mutter und Hausfrau – und das kann man so verstehen und so verstehen, so leben und so leben. Bei „Mutter“ ist ganz viel „selbst Schuld“ dabei, ganz viel eigene Überzeugung, wie ich eine einmal übernommene Aufgabe wahrnehme und erfüllen will. Viel, was ich für richtig, wichtig und nötig halte. An manchen Tagen bin ich für alles mögliche zuständig – Allzweckwaffe Mama.

Von mir als „Hausfrau“ müssen die meisten Aufgaben nicht sofort erledigt werden. Es gibt kaum Termindruck. Anfragen an meine Zeit kann ich leichter mit „Mach ich, klar“, beantworten als berufstätige Frauen. Das ist schön, da ist viel Freiheit. Das sehen andere auch so. Allerdings komme ich mir bisweilen vor wie Verfügungsmasse, die je nach Bedarf einsetzbar ist – Allzweckwaffe Hausfrau. Mit diesen beiden Jobs ist es bisweilen schwierig, Tage nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Anstelle ausgereifter Pläne passe ich an, modifiziere, plane flexibel, richte das oder das noch ein… Auch dafür habe ich mich entschieden, als ich Hausfrau und Mutter geworden bin.

Fahrradtraining…

Es gibt gewisse Grundfertigkeiten im Leben. Das ist sicherlich familienbedingt ein etwas unterschiedlich gearteter Kanon. Für mich sind es Dinge wie sprechen, laufen, schwimmen, Rad fahren, selbständig essen, ehrlich sein, sich entschuldigen können.. Später kommen lesen, schreiben und rechnen dazu, vielleicht noch weitere Sprachen, Naturwissenschaften. Für manche ist die Schule zuständig, für manche die Eltern. (Und natürlich ist dieser Kanon nahezu unendlich erweiterbar – Essmanieren, eine Rolle vorwärts, Leistungsbereitschaft, gedankliche Beweglichkeit: Wir wollen unseren Kindern alles mögliche mit auf den Weg geben, was sie für das Leben ausstatten soll.)

Mittlerweile habe ich fast fünf Kinder durch die Grundschule begleitet und mich jahrelang mit am dort angebotenen Fahrradtraining beteiligt. Darauf verlassen haben wir uns nicht. Unsere Kinder fahren ohnehin viel Fahrrad, das fing im Kindergartenalter an und wurde lange von uns begleitet: Noch heute darf der Jüngste noch nicht überallhin allein hinfahren.

In zwei Wochen ist Fahrradprüfung, heute war das letzte Training. Löblich, dass die Schulen das machen und sich immer wieder Eltern finden, die kleine Schülergruppen begleiten, üben, erklären. Ich habe das immer gern gemacht – Radfahren liegt mir mehr als Basteln. Heute bin ich frustriert, denn: In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Grundkompetenz Fahrradfahren kontinuierlich zurückentwickelt. Ich kann es nicht aufhalten, da können wir an der Schule noch so viele Fahrradtrainingstermine einrichten.

Es gibt kaum etwas, was man lernt, wenn man ein paar Mal darüber redet und ein paar Vormittage übt. Radfahren lernt man vor allem oder vielleicht sogar NUR durchs Radfahren. Punktuell hilft nicht, kontinuierlich muss es sein. Zwar wird man das Fahren an sich nicht so leicht wieder verlernen, wenn man es einmal kann; aber dem Straßenverkehr muss man sich regelmäßig aussetzen, sonst bleibt man unsicher, reaktionslahm und ein Verkehrshindernis. Ganz abgesehen davon, dass es gefährlich ist, wenn man als Radfahrer macht, was man will.

Ich gebe zu, dass ich nichts dafür kann, dass ich gern mit dem Rad unterwegs bin und unsere Kinder im Dabeisein lernen mussten, wie das geht. Aber auch wenn ich in unser Auto verliebt wäre oder die Bewegung scheute – ich würde mich um ihretwillen bemühen. So wie ich das Schwimmenlernen ausgelagert habe, weil ich selbst keine Wasserratte bin: Sie mussten alle solange zur DLRG, bis sie sicher schwimmen konnten – bis zum Silberabzeichen.

Wird der gemeinsame Kanon der Grundkompetenzen immer kleiner? Verschiebt er sich weg von manuellen Tätigkeiten hin zu digitalen? Statte ich unsere Kinder mit genau den Fertigkeiten aus, die heutzutage nicht mehr wichtig sind?

Ein Vers für mich

„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein.“
Jesaja 43, 1

Wenn ich einen Vers nennen sollte, der mir am meisten bedeutet, der mich am meisten bewegt, der mir der liebste ist – dann wäre es dieser. Darin ist alles enthalten, was mein Verstand wissen muss. Darin ist alles, was meine Seele braucht.

Ich muss keine Angst haben – nicht vor Meinungen, Menschen, nicht vor dem Schicksal, nicht vor Herausforderungen, die mir übermächtig scheinen. Letztlich kann mir nichts was anhaben. Frei von Angst kann ich sein, auch wenn ich es manchmal so nicht fühle.

Ich bin erlöst – von meinen Schuldgefühlen, auch wenn sie sich manchmal noch melden. Dass da noch Schuld ist und Grund für Scham, ist eine Lüge des Teufels. De facto bin ich erlöst und befreit von allem, was mich belastet und trennt von Gott.

Gott kennt mich, Gott nennt mich beim Namen – das hat Kraft. Ich bin jemand für ihn, ich existiere nicht nur, ich BIN.

Ich gehöre Gott, ich gehöre zu Gott – ich bin nicht allein und muss nie mehr allein sein. Wenn ich mich auch einsam fühle und unverstanden, nicht gesehen und ab und an in meinen Bedürfnissen nicht gehört: Gott ist bei mir, versteht mich, sieht mich und hört mich. Er nimmt mich wahr und ernst und hat mich lieb.

Altersgemäß

Letztens hatten wir Besuch. Eine Familie mit zwei kleinen Kindern – drei und fünf Jahre alt. Als die Kleine zwischendrin fragte, wo mein Jüngster (neun Jahre) abgeblieben sei, sagte ich: „Der ist auf der Straße, geh mal gucken.“ Der Vater: „Die ist drei Jahre alt, bist du verrückt?“ Und mir wurde klar, was ich gemacht habe. Obwohl ich dem Kleinkindalter noch nicht so lange entwachsen bin, ist es Lichtjahre her für mich, dass ich unsere Kinder IMMER und ÜBERALLHIN begleiten musste. Natürlich ist ein solcher Auftrag – noch dazu in fremdem Wohnviertel – eine Komplettüberforderung für eine Dreijährige. Natürlich habe ich die Kleine an die Hand genommen und mit ihr zusammen nach MEINEM Kleinen gesucht.

Am Wochenende geht dieser Kleine für einen Tag auf ein Pfadfinderlager, abholen ist gegen neun. Abends. Finde ich viel zu spät. Die Verantwortlichen haben entweder keine oder ältere Kinder – klar. Mit zunehmendem Alter verschiebt sich „zu spät“ ganz schnell in Richtung „noch ziemlich früh“. Ich muss aufpassen, dass ich mich nicht zu sehr darüber aufrege – denn aus einem anderen als dem eigenen Erfahrungshorizont heraus zu beurteilen, zu entscheiden, das ist nicht so einfach.

Abschied auf Raten

Ich nehme Abschied von den Bedürfnissen meiner Kinder. Immerzu. Und damit auch Abschied von einer Rolle, einer Aufgabe, vom Gebrauchtwerden. Das ist einerseits schön und andererseits mit Wehmut verbunden: So sehr es mich freut, dass alle Rad fahren können, so sehr muss ich sie entlassen auf ihre Wege allein. So sehr es mich freut, dass auch der Jüngste sich lieber mit Spielpartnern trifft, als mit mir einkaufen zu fahren, so sehr blutet mein Herz, wenn er von diesen enttäuscht wird. So schön es ist, wenn der Große selbständig von einer Party nach Hause kommt, so sehr fühle ich mich außen vor, weil ich immer weniger weiß, mit wem er unterwegs ist. So sehr ich das gemeinsame Lernen nicht vermissen werde, so sehr muss ich akzeptieren, dass ich auch in anderen Bereichen keine echte Hilfe mehr für sie bin.

Ein Abschied nach dem anderen. Alle Errungenschaften meiner Kinder bedeuten eine Entlastung, aber auch eine Unabhängigkeit von mir, die sich bisweilen zwiespältig anfühlt. Irgendwann werden sie das Haus verlassen und einen anderen Ort ihr Zuhause nennen, andere Menschen näher an sich heranlassen als mich, andere Menschen mehr mögen als mich, anderen Menschen näherstehen als mir. Das ist in Ordnung, das muss so sein. Trotzdem ist es ein Abschied, der schmerzt.

Stille – schön und anstrengend

Du bist nicht verantwortlich für das, was in der Stille passiert; du bist dafür verantwortlich, dass es Stille gibt.“
Klaus Vorländer

Das ist ja genau das Problem. Stillezeiten einzubauen in unserem so bewegten Alltag, ist schwierig. Die Stille dann auch auszuhalten und nicht gleich wieder anzufüllen mit Gebet, Wunschzetteln, chaotischen Gedanken zu allem möglichen, dem Horchen auf die Umgebung, dem Ärgern über Äußerungen, die uns nicht passen… – noch schwieriger. Still sein, wirklich still sein.

Selbst Jesus ist weggegangen von den Jüngern, um allein zu sein. In den Bergen von Judäa war es sicherlich deutlich ruhiger als in der niedersächsischen Tiefebene, den bayrischen Bergen oder an der Mecklenburger Küste. Vor 2000 Jahren allemal. Aber das ist nur eine Ausrede: Die Gegend war vielleicht ruhiger, die Ablenkungen damals deutlich weniger zahlreich, aber die menschlichen Stimmen in einem selbst sicherlich ebenso unüberhörbar.

Für mich bleibt das ein Kampf – wirklich still zu werden. Gut dass ich nicht auch noch dafür verantwortlich bin, das und was darin passiert, entsteht, in Gang kommt.