Wie ohne Punkt und Komma

Ein paar Jahre ist es her, da fragte ich einige Freunde meiner Schwester, ob sie ihr nicht ein paar nette Gedanken zu ihr aufschreiben könnten, ich würde diese dann in einem Buch zusammenstellen; und diese Anfrage löste ein ganze Flut netter Gedanken aus, insbesondere auch von einem guten Freund, den ich bis dato gar nicht persönlich kannte, der schrieb, was es über meine Schwester zu sagen gebe, könne man doch letztlich in einem Satz zusammen fassen – eine Aussage, die mich zunächst einmal irritierte, denn das klang erstmal negativ und ein wenig abwertend, als gäbe es im allgemeinen nicht viel zu sagen über sie, und als nächste Erwartung dachte ich, es müsse ja schon ein ganz ungeheurer Satz sein, der genau auf den Punkt bringt, was meine Schwester ausmacht, und war gespannt, was das sein könnte, und dann las ich aber weiter und musste meine erste Reaktion und zweite Erwartung gleichermaßen korrigieren, denn es zeigte sich, dass Satzlängen deutlich variieren können, und dabei wurde mir klar, dass es die Länge gar nicht ist, auf die es ankommt (obwohl es gemeinhin heißt, in der Kürze liegt die Würze, und dieser Satz mit seinen 1.952 Wörtern selbst von Schachtelsatzliebhabern nicht mehr als kurz bezeichnet werden konnte), sondern vielmehr der Inhalt, und dieser entpuppte sich als überaus unterhaltsam und inhaltsreich und lobend und wertschätzend, und da hatte ich dann nicht nur einen tollen Text für mein Buch für meine Schwester und einen interessanten anderen Blickwinkel auf sie – weil einfach jeder Freund einen anderen Blickwinkel auf einen Menschen hat als ein anderer –, sondern auch einen Beitrag, der vom Stil her so anders war als alle anderen, so erfrischend und belebend und spaßig und besonders, dass ich im Nachhinein sehr dankbar war, dass mir jemand gerade so einen Satz geliefert hatte über meine Schwester, denn so einen Satz gab es von sonst niemandem über sie, und auch für sie war dieser Satz am Ende ein besonderer, was mich einerseits besonders gefreut, andererseits aber auch vor einige Herausforderungen gestellt hat, denn wie bringt man in solch einer Endlosschleife von netten Gedanken den Lesefluss erleichternde Absätze unter, ohne das Stilmittel zu zerstören – eine Frage, die mir ziemlich Kopfzerbrechen bereitet hat, für die ich dann aber die wunderbare Lösung fand, an Stellen, die leicht wie Gedankensprünge verstanden werden konnten, Fotos einzubauen, die das Ganze zu einem im wahrsten Sinne des Wortes bunten Potpourri von netten Gedanken und netten Fotos gemacht haben.

Medienkompetenz

Es heißt oft, dass man Medienkompetenz von Kindern dadurch fördern kann, wenn man sie möglichst früh an Medien (und hier sind nicht Bücher gemeint!) heranführt. Gemeinhin wird das als Begründung dafür herangezogen, dass man Fünfjährige mit einer Wii-Station spielen lässt, mit dem Eintritt in die Grundschule einen Nintendo für das Kind kauft, Siebenjährigen eine Playstation zur Verfügung stellt und Neunjährigen ein Smartphone in die Hand drückt, weil sie bald in die weiterführende Schule wechseln. Das Kind selbst steht dabei weniger im Vordergrund der Überlegungen, sondern vorrangig das Alter entscheidet über Haben oder Nicht-Haben.

Unsere Kinder hatten von all dem nichts; der Älteste durfte sich mit gut 15 sein erstes eigenes Smartphone (selber) kaufen und hatte mich nach zwei Tagen mit dem mobilen Handgerät locker rechts überholt, was die Medienkompetenz angeht. Ob unsere Zurückhaltung sich auch dahingehend auswirkt, dass er vernünftiger damit umgeht, als er es bei einem früheren Einstieg in die Handy-Welt getan hätte, bleibt sicher abzuwarten. ABER: Geschadet hat ihm der Verzicht nicht. Medienkompetenz ist ihm offenbar nicht verloren gegangen. (Und ja, seine Beziehungen sind nicht den Bach runtergegangen – weder die zu uns noch die zu seinen Freunden.)

Ich wünschte mir, dass in der Hinsicht ebenso viel Wunsch nach individueller Entscheidung eine Rolle spielen würde wie in vielen anderen Bereichen auch: Wie ernähre ich MEIN Kind, was darf MEIN Kind, wie sieht die Schule/beachten die Lehrer MEIN Kind. Erziehung ist absolut Privatsache; für Mediennutzung gibt es einen gesellschaftlichen Standard, dem man sich nur schwer entziehen kann, ohne als total altmodisch zu gelten beziehungsweise wie ein Spaßverderber.

Nähe

Ich fühle mich den unterschiedlichsten Menschen nah – manchmal kenne ich sie gar nicht persönlich. Das ist eine Nähe, die Raum und Zeit überwindet, rein geistiger Natur: Da spricht mich ein Schreibstil an, bringen mich Ideen zum begeisterten Nicken, schätzt ein Autor, den ich mag, denselben Pastor wie ich – und ich fühle mich demjenigen nah, vertraut, wünschte mir die menschliche Begegnung manchmal, um das, was ich an Nähe denke, auch wirklich zu erleben. Das Internet macht es möglich, dass ich ein Bild vor Augen habe und Leute auf der Straße freundschaftlich grüßen würde, die mich aber gar nicht kennen.

Würde mir jemand einen Wunsch freistellen oder zwei oder drei – ich wünschte mir Begegnungen mit diesen Menschen, die so viel für mich bedeuten, von denen ich mich verstanden fühle, für die ich aber gar nicht existiere und die ich letztlich nur zu kennen meine. Vielleicht ist es ein Segen, dass mir keiner einen Wunsch freistellt: Ich weiß nicht, ob die tatsächliche Begegnung der Vorstellung in mir standhalten würde.

Kurznachrichten-Krüppel

Ich habe SMS nicht richtig verstanden. Meine Kurznachrichten werden immer wieder mal alles andere als kurz. Mein Sohn dagegen treibt Kurznachrichten auf die Spitze: Er reiht ein paar Anfangsbuchstaben aneinander. Die kann der Empfänger nur verstehen, wenn er einen gewissen Auflösungscode verinnerlicht hat. Manches wie U2 kennt man ja schon, anderes ist mir total schleierhaft und ehrlich gesagt anstrengender zu lesen und zu schreiben als normale Sätze. Ob sich diese Abkürzungen irgendwann wieder überlebt haben werden und vergehen wie eine unpraktische oder kurzlebige Mode? Ich sitze das mal aus – und nerve meine SMS-Empfänger weiter mit ganzen Sätzen.

Gebrauchsanweisung für Teenager-Eltern

Ich will ein Handbuch! (Es muss aber gut geschrieben sein.)

Als ich mit meinem ersten Kind schwanger war, erschien mir die größte Schwierigkeit in der Erziehung, wie ich dem neuen Menschlein das Sprechen beibringen würde. Ehrlich, darüber habe ich mir wirklich Sorgen gemacht – auch wenn befragte Schon-Eltern behaupteten, das ginge mehr oder weniger von allein. So war es dann auch. Sprechen und viele andere Dinge haben unsere Kinder von uns quasi im Vorbeigehen gelernt, meist erforderten sie keine besonderen Kompetenzen unsererseits abgesehen von Zeit, Geduld und Gemeinschaft. Die Krone: „Ich kann da allein mit dem Rad hinfahren, kannst du mir ruhig zutrauen.“

„Zutrauen“ ist dann irgendwann umgeschlagen in „zumuten“ – und ich als Mutter bin überrascht. Die Teenager in unserer Familie wollen noch immer dürfen – aber müssen, das wollen sie nicht. Und das schwierigste für mich ist nicht, was ich ihnen beibringen möchte, sondern auszuhalten, dass ich mich dabei unbeliebt mache.

Natürlich werden wir Eltern verglichen, und offenbar sind die anderen immer lustiger, cooler, großzügiger und vor allem entspannter. Ich würde gern auch so gesehen werden – vor allem entspannt; aber aus Sicht unserer Kinder bin ich im Verteilen der Rechte zu unentspannt (Ausgeh- und Medienzeiten) und im Verteilen von Pflichten zu großzügig („Muss ich da selbst mit dem Rad hinfahren????“).

Und dann muss man auch noch immerzu nachjustieren in der Erziehung. Was heute funktioniert, geht in einem halben Jahr nicht mehr – weil die Kinder älter und selbständiger geworden sind. Was bei dem einen zieht, lässt den anderen kalt – weil sie unterschiedliche Persönlichkeiten haben. Beim Erstgeborenen probiert man allein rum, bei den jüngeren Geschwistern reden die älteren gern mal ein Wörtchen mit.

Erziehung ist ein Lernfeld, das kein Ende zu nehmen scheint, in dem Erfahrungswerte eine kurze Halbwertszeit haben, für das es keine pauschalen Antworten gibt und auf das einen niemand wirklich vorbereitet. Am Ende sind wir sehr auf Intuition angewiesen und müssen vor allem mit einem rechnen – Fehler zu machen.

Abgekoppelt?

Eine Hausaufgabe meines Sohnes – dritte Klasse – machte mir in erschreckender Weise bewusst, dass wir unsere Kinder abkoppeln vom deutschen Allgemein-Bildungsgut. Märchen finden bei uns nicht statt. Demnach erkannte er auch nur Hänsel und Gretel anhand von „zwei Geschwister begegnen im Wald einer Hexe“; bei Rotkäppchen war er trotz „ein Mädchen mit einem roten Käppchen will seine Großmutter besuchen und trifft auf einen Wolf“ ahnungslos, der „Frosch, den die Prinzessin gegen die Wand warf“, tat ihm eher leid… Bildungsauftrag nicht erfüllt, würde ich sagen. Dabei liegt dem gar keine bewusste Entscheidung gegen Märchen zugrunde: Ich fand und finde einfach andere Geschichten schöner zum Vorlesen. Kann ich und muss ich da etwas nachholen? Kommt man auch ohne Märchen-Wissen durch ein deutsches Leben? Was ist das überhaupt, was macht ein deutsches Leben aus? Was gehört traditionellerweise noch dazu?

Heute beim Abendbrot kam das Gespräch auf Tanzstunde. In den Klassen der beiden großen Jungen (neunte und zehnte Klasse) gehen ihrer Einschätzung nach „ganz viele“ zur Tanzstunde. Der Älteste: „Ich habe dazu keine Lust, denn ihr würdet mich da sicher in Jeans und Turnschuhen hinschicken, keinen Anzug oder so, ihr seid minimalistisch.“

Abgehängt? Sind unsere Kinder abgehängt, weil uns derartige Dinge nicht wichtig sind? Sind wir abgehängt? Unsere eigenen Tanzstunden-Erinnerungen sind – verglichen mit heutigen Standards – eher schräg: tatsächlich Jogginghose und Turnschuhe beziehungsweise ein Tanzpartner, der zu musikalisch für den Viervierteltakt war… Außerdem lässt sich mittlerweile eine gewisse Hüftsteife nicht leugnen; und so viel Gelegenheit, unsere vor Jahrzehnten gelernten Tanzschritte regelmäßig zu üben, bietet sich in unserem Alltag nicht. Lieber machen wir etwas anderes… Laufen, lesen, spazieren gehen.

Das Thema scheint uns nun doch einzuholen: In ein paar Jahren – wenn nichts dazwischen kommt – macht der Große Abitur. Heutzutage muss man beim Abiball mindestens einen Walzer hinlegen, wenn nicht drei Viertel des Abends als Paar auf der Tanzfläche verbringen können. Oje! Davon sind wir weit entfernt; und wir sind ihm ohnehin schon oft peinlich, weil wir angeblich so anders ticken als die normalen Eltern seiner Freunde.

Eine Lösung muss her – aber nicht jetzt. Wir schieben das auf: Ein Crashkurs zwei Wochen vor dem Ereignis muss reichen. Improvisation passt besser zu uns als das mühselige Herumgequäle in einem Tanzkurs für alte Anfänger. Einen Abend schaffen wir dann schon.

Tod – Juni 2016

Ganz plötzlich und – für mich – unerwartet ist einer meiner ältesten Freunde gestorben. Im Frühjahr noch habe ich dem Drang nicht nachgegeben, ihm einfach mal so zu schreiben, sondern habe mich auf den Sommer vertröstet – auf seinen Geburtstag. Im Juni erreichte mich die Todesanzeige; und ich frage mich, warum ich einen Anlass brauchte, mich zu melden? Zu spät, unwiderruflich zu spät. Wie schade!

Im Lesen seiner alten Briefe (unsere Kommunikationsebene) von vor knapp dreißig Jahren lebt die Zeit wieder auf, treffe ich das Mädchen wieder, das ich damals war. Ein bisschen ist dieses Mädchen, das so nur er kannte, mit verschwunden und nicht mal mehr in meiner Erinnerung präsent.

Warum weine ich – um seinetwillen, um meinetwillen, um der verpassten Gelegenheiten willen, um seiner Familie willen, die ohne ihn weiter leben muss? Für wen sind meine Tränen? Und: Was tue ich, wenn ich das nächste Mal den Impuls verspüre, mich bei einem alten Freund zu melden?

Juni 2018: Ich vermisse ihn noch immer – besonders im Sommer. Aber vor allem bin ich dankbar für die Freundschaft, die uns verband, für die Briefe, die gemeinsame Zeit. Meine Dankbarkeit überlebt seinen Tod, mein Freund bleibt Teil meines Lebens.

Es gibt immer ein Aber?

Stimmt, habe ich gesagt, aber das war vielleicht ein bisschen vorschnell. Im Hebräischen gibt’s nämlich keins, die sagen einfach immerzu „und“. Das wirbelt mein Denken durcheinander und (nicht aber!) kann die Schwere aus manchen Sätzen nehmen. Ein „aber“ relativiert nicht nur, es schwächt ab: „Es war ein wunderbarer Tag, aber es hat geregnet.“ Also war der Tag wohl doch nicht ganz so wunderbar? Dagegen: „Es war ein wunderbarer Tag, und es hat geregnet“, heißt dann wohl, der Regen war Teil des wunderbaren Tages, er hat diesen nicht geschmälert.

Im Alltag bin ich sicherlich zu un-hebräisch für ein Leben ganz ohne „aber“ – und zu spontan, zu relativierend, zu vorsichtig. Wenn ich mir Zeit lasse, ganz sicher bin und mutig, kann ich´s ab und an weglassen.

Es gibt immer ein Aber!

Als junge Frau dachte ich – ganz intuitiv -, es gäbe immer ein Aber. Drei Jahrzehnte später weiß ich, dass diese Ahnung stimmt, weil man alles von verschiedenen Seiten, aus verschiedenen Perspektiven betrachten kann. Es stellt sich jeder Sachverhalt anders dar, wenn man ihn durch eine andere Brille anschaut. Wie sagen die Indianer? „Du kannst jemand anderen erst kennen, wenn du eine Weile in seinen Mokassins gelaufen bist.“

Ein Nachteil ist, dass sich dadurch alles endlos zerreden lässt und daraus folgend – niemand hört mehr richtig zu. Plus: Mutig geäußerte Meinungen und Überzeugungen werden immer seltener.

Als mittelalte Frau frage ich mich noch dazu, warum das so ist, warum es immer ein Aber gibt. Wollen wir tolerant und liebevoll sein? Geht es uns in erster Linie darum, den anderen zu verstehen und so stehen zu lassen, wie er denkt und argumentiert? Vielleicht haben wir auch nur ganz viel Angst, bei einer „Falschaussage“ erwischt zu werden und relativieren deshalb alles und immerzu. Wie sagte schon mein hoch verehrter Dietrich Bonhoeffer: „Den größten Fehler, den man im Leben machen kann, ist, immer Angst zu haben, einen Fehler zu machen.“

Also lasse ich manche meiner Gedanken einfach so stehen, auch wenn sie ein Thema dann eben nicht erschöpfend abhandeln, sondern (relativ) einseitig und subjektiv. Ich habe vielleicht nicht recht, aber ich liege auch nicht ganz falsch.

Zeitsprung

Vor einigen Wochen bin ich mit meinen beiden älteren Söhnen (16 und 15 Jahre alt) spazieren gegangen. Nicht ganz freiwillig (ihrerseits), sondern verordnet. Vor etwa zehn Jahren haben wir das auch öfter gemacht: `Kinder lüften´ habe ich das genannt. Sie sind damals gern mitgekommen, aber zum Zeitvertreib war eine ausgedachte Geschichte von Mama eine willkommene Zugabe. Einen hatte ich mindestens an der Hand, und die beiden jüngeren Schwestern waren sicherlich auch dabei.

Letztens waren sie weder an einer Geschichte noch am Handhalten interessiert – wie peinlich. Sie sind zehn Jahre älter und gefühlt einen Meter größer als damals. Aber – bin ich auch zehn Jahre älter? Ich kann es nicht glauben! Wir machen dasselbe, aber es fühlt sich ganz anders an.